Die Zukunft des Facebook-Netzwerks und die Sorkin-Verschwörung

Mit einer neuen Gruppenfunktion, die am Mittwoch von Mark Zuckerberg vorgestellt wurde, könnte sich das Wesen von Facebook fundamental ändern, meint zumindest die Süddeutsche Zeitung. „Facebook wird privat – zumindest, wenn die Nutzer dies künftig möchten. Das größte soziale Netzwerk der Welt erlaubt es seinen Mitgliedern ab sofort, sich in geschlossenen Gruppen zu organisieren“, so die SZ.

Wer Facebook Gruppen verwendet, erhält die Möglichkeit, Kontakte gezielt auszusuchen und ihnen den Zugriff auf die eigenen Fotos, Videos, Daten und Fakten zu ermöglichen. Bislang konnte man Daten entweder offen präsentieren oder ganz verstecken. Zudem bietet Facebook ein Dashboard, auf dem die Nutzer sehen können, welche Apps sie aktiviert haben und mit welchen Daten diese Apps operieren. Recht praktisch ist die Möglichkeit zum Herunterladen der eigenen Daten. Sie werden nach Passworteingabe in einen Zip-Ordner verpackt und zum Download bereit gestellt.

Ob sich über die neue Gruppenfunktion ein Paradigmenwechsel abzeichnet, ist umstritten. Netzwertig-Blogger Peter Sennhäuser geht von einer deutlichen Richtungsänderung aus: „Der Umstand, dass alle, mit denen ich mich verknüpft habe, grundsätzlich auch alles mitkriegen, was ich poste, sorgte bisher für ein Bewusstsein für ein soziales Gefüge. Die weit höhere Komplexität der in Gruppen verschiedener Intensität unterteilten Netzwerke schafft neue Möglichkeiten, hebt aber auch dieses simple Gefühl von Verbundensein oder eben nicht auf. Anders gesagt: Fußt der Erfolg von Facebook nicht auf der extrem vereinfachten Abbildung sozialer Beziehungen – ich kenne jemanden, also gehört er in mein Netz? Oder ist Facebook als System vielleicht jetzt groß genug, um neue Layer einzuführen? Für den Nutzer dürfte der Überblick komplizierter werden. Das Risiko, etwas aus Versehen auf der eigenen Wall und damit öffentlich statt in einer bestimmten Gruppe zu posten, dürfte steigen, so der Netzwertig-Blogger: „Die Gruppen können wie bisher öffentlich sein (jeder kann sich ihr anschließen), geschlossen (das Profil der Gruppe ist sichtbar, man kann eine Mitgliedschaft auf Knopfdruck bei den Administratoren beantragen) oder ‚geheim‘: noch nicht mal die Existenz der Gruppe ist öffentlich (ich bin gespannt, was die NSA und das Homeland-Departement dazu sagen…). Die Nachrichten aus der Gruppe werden indes im Newsstream der Mitglieder auftauchen.“

Olaf Kolbrück sieht Vorteile: „Mit den neuen Facebook-Gruppen können Nutzer nun einen Raum für wichtige Menschen in ihrem Leben einrichten. Dort können sie Informationen teilen, die für einen ausgewählten Kreis bestimmt sind. Zudem gibt es einen Gruppen-Chat und eine gemeinsame Mailingliste für alle Gruppenmitglieder. Die neuen Gruppen erlauben damit eine engere Zusammenarbeit und erzeugen ein exklusiveres Ambient.“ Das schaffe nicht nur Anreize, das eigene Netzwerk weiter und differenzierter zu organisieren, es verbessert auch den Social Graph. „Die Intensität und die Verbindung der Menschen jenseits bereits vorhandener Kommunikation manifestiert sich deutlicher. Milieus und spezialisierte Verbindungen bilden sich klarer heraus. Damit lässt sich der Social Graph noch besser vermarkten, weil sich die Verbindung der Menschen untereinander qualitativ genauer darstellen lässt. Dem Targeting eröffnen sich damit neue Optionen. Obendrein dürfte die Kommunikation in Gruppen die Verweildauer erhöhen“, schreibt Kolbrück.

Völlig daneben geht allerdings die Wertung des FAZ-Redakteurs Jordan Mejas, der über die Folgen des Kinofilms „The Social Network“ für Facebook sinniert. Die Einsamkeit, Planlosigkeit und Unbeholfenheit der Geeks, die in Harvard herumsaßen und dabei ziemlich unversehens eine Sache aufstöberten, die später Facebook heißen sollte, würden den Drehbuchautor Aaron Sorkin an Situationen und Konditionen in „Freedom“ von Jonathan Franzen erinnern: „Niemand sagt klar und deutlich, Zuckerberg und seine Gefährten (fast hätte ich sie ,Freunde‘ genannt) wüssten nicht zu leben, wie es jemand von den Berglunds früh in Franzens Buch sagt, aber das Problem scheint dasselbe zu sein.“ Was aber, wenn „The Social Network“ sich in den kommenden Wochen tatsächlich als Film erwiese, in dem der Mensch zeitgeistmäßig in Gestalt des Nutzers nicht nur mit seiner Isolation konfrontiert wird, sondern auch mit seiner Illusion, in einer möglichst unüberschaubaren Ansammlung von Mitnutzern endlich die Freunde zu finden, nach denen er sich im nichtdigitalen Leben vergeblich sehnt, fragt sich Mejas.

„Die Saga vom Geek und Nerd wäre dann weniger ein moralisches Gleichnis traditioneller Bauart als ein Spiegel, der eine halbe Milliarde Menschen herausforderte, sich in ihm wiederzuerkennen. Dass sie sich von dem, was sie da sähen, enttäuscht oder gar bestürzt abwendeten, wäre kaum anzunehmen. Eher dürften sie an dem Glauben festhalten, dass ihnen ein Mausklick die zwischenmenschliche Wärme bringt, die sich sonst so rar macht, dass er die Leere füllt und die Einsamkeit vertreibt, in der Angst und Melancholie gedeihen“, führt der FAZ-Feuilletonist aus. Ist das der Netzwerkgedanke von Facebook. Erwarte ich zwischenmenschliche Wärme per Mausklick? Was für ein Schwachsinn.

Wer sich auf Facebook mit anderen verbindet, ist fortan auch eingebunden in die sozialen Interaktionen seiner „Facebook-Freunde“. Hier spielt sich das ab, was der Soziologe Mark Granovetter in seiner Netzwerktheorie als schwache und starke soziale Bindungen bezeichnet hat. Mit den engeren Kontakten kommuniziere ich über E-Mail, Skype, Telefon – die öffentliche Kommunikation in sozialen Netzwerken zielt auf die entfernteren Bekanntschaften und auf die anonyme Gemeinschaft aller anderen Mitglieder. Sonst würde ich ja wieder im eigenen Saft schmoren – deshalb erwarte ich auch nicht so viel von den geschlossenen Gruppen.

Onliner, die sich in Netzgemeinschaften organisieren sind zudem keine lichtscheuen Elemente oder Bildschirmjunkies, die sich hinter ihren Monitoren verkriechen – eingebettet von Pizzakartons. Sie verbringen ihre Zeit im Netz nicht auf Kosten der Pflege von Offlinekontakten, sondern auf Kosten ihres Konsums von klassischen Massenmedien. Insofern geht der Kinofilm überhaupt nicht um Facebook. So verkündet der Drehbuchautor Sorkin im Interview mit der Welt stolz, dass er nicht auf Facebook war, bevor er begann, sein Drehbuch zu schreiben. „Und ich bin es noch immer nicht. Ich benutze Technologie, aber ich liebe sie nicht.“ Na toll.

Da stürzt man sich lieber auf den reißerischen Schinken „Milliardär per Zufall“ von Ben Mezrich, der die Popularität von Facebook nutzt, um Auflage zu machen, die „Technik des rekonstruierten Dialogs“ einsetzt und sich auf die Seite der Winklevoss-Brüder und Eduardo Saverin schlägt. Das Ganze wird dann noch kräftig mit College-Saufereien, Sex, Geld, Macht und Betrug vermischt.
Vielleicht wollten die drei Antipoden den Nerd und Underdog nur ausnutzen, um an das schnelle Geld zu kommen? Vielleicht war der Facebook-Macher auch nur sauer auf das elitäre Gehabe der Zwillinge und führte sie deshalb am Nasenring durch die Web-Arena?

Aus der angedachten Website „Harvard-Connection“ sollte doch nur ein exklusives Dating-Portal mit dem Harvard-Siegel werden. Wäre daraus mehr geworden, als ein elitärer Netz-Zirkel von großen Jungs aus gutem Hause, die bei der kleinsten Schwierigkeit den reichen Daddy einschalten und sich ansonsten in der edelsten Studentenverbindung des Campus auf die Karriere als Ruderer für die olympischen Spiele vorbereiten?

Selbst im Kinofilm wird klar, „dass Geld für Zuckerberg nichts bedeutet. Doch warum hat er dann Facebook erschaffen? The Social Network gibt keine Antwort auf diese Frage, außer vielleicht, dass er als Outsider zu den Insidern gehören wollte. Doch dies erklärt noch lange nicht, was er geschaffen hat und vor allem warum. Und damit ist der Film grob vereinfachend. Er will uns nicht vermitteln, dass Zuckerberg die Welt vernetzen wollte und eine elegante Organisation von Internet Communities anstrebte. Der Film ignoriert das einfach. Es ist ein Film über Taktiken, nicht über Strategien. Es geht darum, dass Menschen hartherzig miteinander umgehen. Woanders nennt man das einfach Business“, so Jeff Jarvis in einem Namensbeitrag für evangelisch.de.

Drehbuch-Autor Sorkin kenne die Entwicklung von Facebook im Jahr 2010 überhaupt nicht. Er brüstet sich sogar damit (siehe Welt-Interview). Sein Interesse für Computer beschränke sich auf das E-Mail-Schreiben an seine Freunde. Seine Wahrheit sei nicht die Wahrheit; er möchte eine Geschichte erzählen. „Also Mist erfinden“, so Jarvis. Mark Harris vom „New York Magazine“ beschreibe in einer Nebenbemerkung, worum es in dem Film wirklich geht: „In The Social Network bespucken die alten Medien die neuen Medien gezielt mit Papierkügelchen“. Doch nicht die alten Medien bespucken die neo-neuen Medien, bemerkt Jarvis. „Sorkin ist Mitglied der Young Curmudgeons‘ Guild, der unter anderem auch Vertreter wie Gladwell, Carr, Anderson, Rowan, Morozov und Lanier angehören. Die alten Medien sträuben sich vor Veränderung. Diese Typen möchten am Internet kein gutes Haar lassen“, moniert der Medienprofessor.

„The Social Network“ sei ein Anti-Computerfreak-Film. Der Film behaupte, dass das Internet keine Revolution ist, sondern die Erfindung einiger seltsamer Maschinenmenschen, die in der Schule nur gehänselt wurden. „The Social Network“ revanchiere sich für die Revanche der Computer-Nerds. „Ich sehe in Zuckerberg und Facebook – und dem Internet – eine viel größere und bessere Story als die von Sorkin. Bei meinen Recherchen für Public Parts stieß ich auf das wunderbare Buch ‚The Gutenberg Revolution‘ von John Man, der sich durch dürftige Aufzeichnungen kämpft, um zu verstehen, warum der Mensch Technologien benutzt, um die alte Welt zu zerstören und eine neue Welt zu erschaffen. Gutenberg war ein Technologe, verschlossen und kontrollierend. Er war Geschäftsmann (ein früher Kapitalist, der einen der ersten Industriezweige erschuf). Er verhandelte hart, er war konkurrenzfähig. Er wurde von den Holländern beschuldigt, die Idee eines anderen gestohlen zu haben. Oh, und er hat sich scheinbar nicht gerade gütlich von mindestens einer Frau getrennt, bezeugt Man. Würde Sorkin ihn heute beschreiben, wäre Gutenberg nur ein Spinner: Wir glauben nicht daran, was er unserer Welt antut. Wir verstehen es nicht, also mögen wir ihn nicht“, resümiert der Buzzmachine-Blogger.

Heute um 17,20 Uhr habe ich mir am Premierentag den vermeintlichen Facebook-Thriller angeschaut. Die Sitzreihen waren recht spärlich besetzt – muss nicht viel bedeuten. Das Filmchen hat mich nicht vom Hocker gehauen. Es gibt die üblichen amerikanischen Uni-Klischees zu sehen. Wilde Partys, elitäre Studentenverbindungen, arrogante Schnösel aus den besten Kreisen des Landes und nette Uni-Streiche.

Daher bleibt „Animal House“ der einzig wahre College-Film. Der Kampf der Studentenverbindung Delta – die Underdogs – gegen die superspießigen Verbindungsstudenten vom Omega-House – sozusagen die Harvard-Connection. Mit dabei: der legendäre John Belushi.