Inspirationen durch die Forschung von Dan #Kahneman – So eine Art Nachruf

In vielfacher Hinsicht hat mich die Forschungsarbeit des Mathematikers und Psychologen Daniel Kahneman inspiriert. Vor allem die Zerschlagung der Rationalitätsmythen, die in der Ökonomik und in der Managementlehre umherschwirren. Im Alter von 90 Jahren ist Kahneman gestorben. Statt eines Nachrufs erscheinen hier noch einmal zwei Beiträge für Zeitschriften, die ich in den vergangenen Jahren schrieb. Sie haben nichts an Aktualität eingebüßt.

Beitrag Nummer 1:

Mut zur Bescheidenheit: Kahneman lesen und öfter in den Zoo gehen

Es war ein umstrittenes Jahr für die internationale Ökonomen-Debatte (. „Griechenland schrammte um Haaresbreite am Bankrott vorbei und die Wirtschaftsforscher rund um die Welt diskutierten heftig über die richtige Lösung“, so die FAZ. In diesem Streit positionierte sich der New Yorker Volkswirtschaftler Paul Krugman als heftiger Gegner der Sparauflagen für Griechenland und der deutschen Politik. Damit wurde er auch bei uns zu einem der bekanntesten Volkswirtschaftler: wie schon im Vorjahr fiel der Name Krugman am häufigsten, wenn Politiker und Ministerialbeamte gefragt wurden, auf wen sie hören. In den Medien holte er zusätzlich auf.

Kahneman verschwindet aus der öffentlichen Diskussion

2014 hatte noch der Verhaltensökonom Daniel Kahneman die Liste angeführt, der mit seiner gewaltigen Forschungsleistung punktet. „Doch Kahnemans großes Buch ‚Schnelles Denken, langsames Denken‘ verschwindet langsam aus der aktuellen öffentlichen Diskussion“, schreibt FAZ-Redakteur Patrick Bernau.

Bei der Ökonomen-Rangliste der FAZ geht es darum, wer in Medien, Politik und Forschung wirkt. In der Berechnung machen die Maße für den Einfluss der Wirtschaftsforscher in Politik und Medien gemeinsam die Hälfte des Gewichts aus. Der politische Einfluss eines Ökonomen wurde bei Abgeordneten und hohen Ministerialbeamten in Bund und Ländern erfragt. Die Bedeutung in der Öffentlichkeit wurde gemessen, indem die Zitate in überregionalen Medien, im Fernsehen und im Radio ausgezählt wurden. Die Forschung macht die andere Hälfte der Wertung aus.

Kahneman rangiert zwar noch auf dem zweiten Platz – allerdings nur gestützt durch seine Präsenz in der Forschung mit 500 Punkten. In der Politik kommt er auf ganze Null und in den Medien auch nur auf magere 14 Punkte. Krugman erzielt in den Medien 175, in der Politik 250 und in der Forschung 103 Punkte. Das Endergebnis lautet also: 529 Punkte.

Warum sich Entscheider mit System 1 und und 2 beschäftigen sollten

Das ist betrüblich. Besonders Journalisten, Manager und Politiker sollten Kahneman auf ihre Agenda setzen. Der erste Nichtökonom, der 2002 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist ein vorzüglicher Ratgeber in komplexen und schwierigen Fragen. Mit dem Biologen, Informatiker, Imker und Wissensarbeiter Erich Feldmeier habe ich deshalb via Live-Hangout einen furiosen Ritt durch die Geschichte beliebter und weit verbreiteter Entscheidungs-Irrtümer unternommen, die Kahneman dokumentiert.

Es geht um Zufall, Glück und Selbstüberschätzung im Management, in der Politik und im täglichen Leben. Eine Anleitung zum kursorischen Lesen im Opus „Schnelles Denken, langsames Denken“. Das automatische und das willentliche System in unserem Gehirn reduziert Kahneman auf System 1 und 2. Das sei schneller aussprechbar und würde bei der Lektüre zu einer geringeren Arbeitsgedächtnis-Belastung beitragen sowie unser Denkvermögen von Ballast befreien. Schließlich muss System 1 rund 20.000 Entscheidungen pro Tag treffen. Den größten Teil könne unser Gehirn nur automatisiert bewältigen. Es schaltet ohne unser Zutun in den Modus des Autopiloten. System 2 lenkt die Aufmerksamkeit auf die anstrengenden mentalen Aktivitäten. Die Operationen gehen oftmals mit dem subjektiven Erleben von Handlungsmacht, Entscheidungsfreiheit und Konzentration einher.

Autopilot dominiert

Wenn wir uns selbst beschreiben, identifizieren wir uns natürlich mit System 2, dem bewussten, logisch denkenden Selbst, das Überzeugungen hat, Entscheidungen trifft und sein Denken sowie Handeln bewusst kontrolliert. Nur steht leider System 2 nicht im Zentrum unseres Denkapparates. System 1 übernimmt allzu oft das Kommando, ist die Hauptquelle unserer Überzeugungen, Eindrücke und Gefühle.

Nur selten gelingt es System 2, die ungezügelten Impulse und Assoziationen unseres Autopiloten zu bändigen oder gar zu verwerfen. Etwa die Auslotung von Ursachen für Erfolg. Das Erfolg auf Talent und Glück beruht und großer Erfolg auf ein wenig mehr Talent und sehr viel Glück zurückzuführen ist, ist für unser Ego eine echte Kampfansage.

Glück und Zufall bringen keine Schlagzeilen

Nur allzu gern versuchen wir krampfhaft, den Faktor Glück zu ignorieren und für unser Tun eine gehörige Portion Kausalität schlichtweg zu erfinden. Wenn ein durchschnittlicher Golfer bei einem zweitägigen Turnier einen überdurchschnittlichen Start hinlegt, gehen wir davon aus, dass er auch am zweiten Tag eine gute Leistung zeigt. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings hoch, dass er wohl eher wieder ein normales Ergebnis bringt, weil das außerordentliche Glück des ersten Tages nicht anhalten wird. Für Sportreporter ist das keine Neuigkeiten.

Was Kahneman als Regression zum Mittelwert bezeichnet, bringt keine Schlagzeilen. Die Headline muss daher anders lauten: „Der Golfer zeigte Nerven und konnte dem Druck nicht standhalten“. Oder: „XY ist kein Siegertyp“. Oder auch: „Der Gegner zermürbte den Champion des ersten Tages“. Mit folgender Schlagzeile geben wir uns nicht zufrieden: „Der Golfer hatte ungewöhnlich viel Glück“. Da fehlt die kausale Kraft, die unser Intellekt bevorzugt.

Kausale Geschichten erfinden

Wir suchen krampfhaft nach einer eindeutigen Beziehung von Ursache und Wirkung, tappen damit aber in die Falle ungerechtfertigter kausaler Schlüsse. Glück oder Zufall passen nicht zur Attitüde der Welterklärer. Das gilt auch für Rückschaufehler. Ex post ist man immer schlauer und erkennt Gründe, die vorher niemanden interessierten. So erhielt am 10. Juli 2001 die CIA Informationen, wonach El Kaida einen größeren Angriff gegen die USA plane. Der damalige CIA-Direktor George Tenet unterrichtete nicht George Bush, sondern die Sicherheitsberaterin Rice.

Als das nach den Anschlägen auf das World Trade Center publik wurde, schrieb der Washington-Post-Chefredakteur Ben Bradlee: „Es erscheint mir selbstverständlich, dass man eine solche Nachricht, die Geschichte schreiben wird, direkt dem Präsidenten mitteilt.“ Was für ein Schlaumeier. Am 10. Juli wusste niemand, dass diese Neuigkeit Geschichte schreiben würde. Den gleichen Mumpitz fabrizieren jeden Tag neunmalkluge Börsenanalysten, die in ihren Ex-post-Kommentaren immer schon alles wussten, aber eben erst im Nachgang des Geschehens. Niemand würde sich vor die Kamera der einschlägig bekannten Börsensendungen stellen und sagen, dass man schlichtweg keine Peilung hat, warum es zu irgendwelchen Schwankungen an den Finanzmärkten kam.

Eine weitere Methode der Wahrheitskonstrukteure ist die ständige Wiederholung von Aussagen, um Menschen dazu zu bringen, falsche Aussagen zu glauben. Das erzeugt Vertrautheit, die sich nur schwer von der Wahrheit unterscheiden lässt. Man reduziert damit die kognitive Beanspruchung des Publikums und zahlt auf das Konto der Bequemlichkeit ein.

Konstruierte Erfolgsprinzipien

Ärgerlich sind auch jene Zeitgenossen, die aus der Untersuchung von erfolgreichen Firmen konkrete Handlungsanweisungen ableiten, um genauso erfolgreich wie jene untersuchten Firmen zu werden. Kahneman zitiert eines der bekanntesten Beispiele dieses Genres: „Immer erfolgreich“ von Jim Collins und Jerry I. Porras. Es enthält eine gründliche Analyse von 18 konkurrierende Unternehmenspaarungen, bei denen eines erfolgreicher war als das andere. Jeder Vorstandschef, Manager oder Unternehmer sollte nach Auffassung der beiden Autoren dieses Buch lesen, um visionäre Firmen aufzubauen.

„Wenn man weiß, wie wichtig der Faktor Glück ist, sollte man besonders argwöhnisch sein, wenn aus dem Vergleich von erfolgreichen und weniger erfolgreichen Firmen hochkonsistente Muster hervorgehen. Wenn der Zufall seine Hand im Spiel hat, können regelmäßige Muster nur Illusionen sein“, warnt Kahneman. Nach dem Erscheinen des Buches schwand der Abstand in Ertragskraft und Aktienrendite zwischen den herausragenden und den weniger erfolgreichen Firmen praktisch auf null. Über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erzielten die Unternehmen mit den schlechtesten Bewertungen im weiteren Verlauf viel höhere Aktienrenditen als die meistbewunderten Kandidaten. Und wenn es um Vorhersagen von Experten geht, sind die Ergebnisse noch erschütternder.

„Menschen, die ihre Zeit damit verbringen und ihren Lebensunterhalt damit verdienen, sich gründlich mit einem bestimmten Sachgebiet zu beschäftigen, erstellen schlechtere Vorhersagen als Dartpfeile werfende Affen, die ihre ‚Entscheidungen’ gleichmäßig über alle Optionen verteilt hätten. Selbst auf dem Gebiet, das sie am besten kannten, waren Experten nicht deutlich besser als Nichtexperten“, schreibt Kahneman. Also öfter in den Zoo gehen.

Göttin Fortuna 

Besonders von Top-Managern wird die Rolle von Können und Geschick maßlos überbewertet. So wollten die Google-Gründer nach einem Jahr ihr Unternehmen für eine Million Dollar verkaufen, aber dem potenziellen Käufer war der Preis zu hoch und der Deal platzte. Weil jede folgende Entscheidung des Suchmaschinen-Giganten mehr oder weniger positiv ausging, deutet die Geschichte auf ein beinahe makelloses Vorauswissen hin – „aber Pech hätte jeden einzelnen der erfolgreichen Schritte zunichtemachen können“, bemerkt Kahneman. Die Aura der Unbesiegbarkeit und des Heldentums im Management ist in Wahrheit ein Werk der Göttin Fortuna. 

Das interessiert aber die Konstrukteure von Geschichten über Sieger oder Verlierer nur minimal. Das gilt vor allem für den Wirtschaftsjournalismus. Man könne sich nur schwer vorstellen, dass sich Menschen in Flughafenbuchhandlungen anstellen würden, um ein Buch zu kaufen, das euphorisch die Methoden von Topmanagern beschreibt, deren Leistungen im Schnitt nur geringfügig über der Zufallsrate liegen, meint Kahneman. Die Öffentlichkeit lechzt nach eindeutigen Botschaften über die bestimmenden Faktoren von Erfolg und Misserfolg im Wirtschaftsleben, und sie brauchen Geschichten, die ihnen Sinnzusammenhänge vermitteln, auch wenn sie noch so trügerisch sind. Das Opus von Kahneman hat sich zwar gut verkauft, wird aber von Entscheidern in Politik und Wirtschaft wenig genutzt. Zeit zum ändern. 

Beitrag Nummer 2:

Helden des Glücks 

In seinem neuen Buch „Luck: A Key Idea for Business and Society“ fordert der Verhaltensforscher Chengwei Liu ein Ende des Kults um Vorstandschefs und hochrangige Persönlichkeiten – dazu würde ich auch Parteivorsitzende zählen. Seine These: Der Faktor Glück spielt besonders in Top-Positionen eine entscheidende Rolle.„Wir haben eine romantische Vorstellung von Anführern und denken, dass das Wohl der gesamten Gruppe, des gesamten Unternehmens oder gar der Nation von ihnen abhängt. Das tut es nicht. Forschungen zeigen, dass die Ernennung von CEOs den Erfolg von Unternehmen viel weniger beeinflusst, als die Finanzmärkte anfangs glauben. Topmanager können einfach nicht so viel ausrichten, wie wir es gern hätten.“

Auch Chefs sollten daher per Zufallsverfahren ausgewählt werden, schlägt Liu vor. Anführer im antiken Griechenland wurden per Losentscheid rekrutiert. Vieles weise darauf hin, dass dies auch für Unternehmen sinnvoll wäre. Zufallsmechanismen würden zu besseren Ergebnissen führen. Ein derartiges Vorgehen werde als fairer wahrgenommen, es kann Korruption verhindern und zu mehr Stabilität führen.

Unternehmen sollten zudem bedenken: Wer hochrangige Führungskräfte über die pseudo-rationale Bewertung von Leistung bestimmt, schafft Interessenkonflikte: „Es kommt zu politischen Spielen. Die Bewerber arbeiten gegeneinander, um hervorzustechen, und schaden so dem Unternehmen. Ein Losentscheid macht dies überflüssig. Weil die Manager auf der höchsten Ebene ohnehin alle gleich gut qualifiziert sind, kann dies tatsächlich die beste Wahl sein“, resümiert Liu, Professor für Strategie- und Verhaltensforschung an der Berliner Business School ESMT. 

Und was machen Führungskräfte in Politik und Wirtschaft? Sie perfektionieren Methoden der Täuschung, sie bauen glitzernde Fassaden auf, suchen Sündenböcke, wenn mal etwas schief geht, hauen andere in die Pfanne und erfinden für dieses Ego-Management nette Fantasie-Namen wie Agiles Management, Shareholder Value oder Scorecard-Leadership-Schnick-Schnack. Sie landen in der Falle der Maßlosigkeit und der Selbstüberschätzung. So wollten die Google-Gründer nach einem Jahr ihr Unternehmen für eine Million Dollar verkaufen, aber dem potenziellen Käufer war der Preis zu hoch und der Deal platzte. Weil jede folgende Entscheidung des Suchmaschinen-Giganten mehr oder weniger positiv ausging, deutet die Geschichte auf ein beinahe makelloses Vorauswissen hin – „aber Pech hätte jeden einzelnen der erfolgreichen Schritte zunichtemachen können“, bemerkt Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman.

Die Aura der Unbesiegbarkeit und des Heldentums im Management ist in Wahrheit ein Werk der Göttin Fortuna. In der Rückschau neigen wir zu Scheinkorrelationen, die sich bei eingehender Betrachtung als Hirngespinst herausstellen. Die meisten Vorstandschefs beeinflussen den Erfolg ihres Unternehmens nur minimal. Das interessiert aber die Konstrukteure von Geschichten über Sieger oder Verlierer nur minimal. Das gilt vor allem für den Wirtschaftsjournalismus und für die PR-Einflüsterer. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass sich Menschen in Flughafenbuchhandlungen anstellen würden, um ein Buch zu kaufen, das euphorisch die Methoden von Topmanagern beschreibt, deren Leistungen im Schnitt nur geringfügig über der Zufallsrate liegen. Die Öffentlichkeit lechzt nach eindeutigen Botschaften über die bestimmenden Faktoren von Erfolg und Misserfolg im Wirtschaftsleben, und sie brauchen Geschichten, die ihnen Sinnzusammenhänge vermitteln, auch wenn sie noch so trügerisch oder verlogen sind. Krampfhaft versuchen die „Siegertypen“ des politischen und wirtschaftlichen Systems, ihre Handlungen und Intentionen umzuschreiben. Da werden Ursachen den Wirkungen zugeordnet, obwohl es diesen Zusammenhang gar nicht gibt. Höchste Zeit, dieses Regime der Selbstüberschätzung zu sabotieren und zu ignorieren. 

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