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Wir sind keine Wissensökonomie, sondern eine Ökonomie der schlecht bezahlten Dienstleistungsberufe: Mögliches Thema für die Next Economy Open #NEO23

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In Deutschland bekommen 21,5 Millionen von 39,8 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Stundenlohn von unter 20 Euro brutto. Mehr als jeder Dritte bekommt weniger als 16 Euro brutto pro Stunde. “Das geht aus einer Auswertung des Statistischen Bundesamtes hervor, die die Linkenbundestagsfraktion in Auftrag gegeben hat”, berichtet die Zeit.

Die Zahlen basieren auf einer Verdiensterhebung von Oktober 2022. Die Daten schließen die Löhne von Auszubildenden nicht mit ein.

54 Prozent der Beschäftigten in Deutschland verdient demnach weniger als 20 Euro brutto in der Stunde. Unter 16 Euro erhalten 13,6 Millionen Menschen, was einen Anteil von 34 Prozent ausmacht. 6,6 Millionen Beschäftigte verdienen weniger als 13 Euro brutto pro Stunde – das sind rund 17 Prozent.

“Deutschland hat einen der größten #Niedriglohnsektoren Europas. Die hier im Regelfall un- und angelernt tätigen #Basisarbeitenden halten in unserem Land zwar oftmals den Laden am Laufen, haben aber kaum #Aufstiegschancen, nehmen nur in geringem Maße an #Weiterbildungen teil und sind aufgrund des geringen Verdienstes zudem massiv von #Altersarmut bedroht.
Um #Basisarbeitenden eine Perspektive zu geben, muss es zu einem Politikwandel kommen, bei dem das Individuum im Mittelpunkt steht. Dr. Robert Peters, Klaus Burmeister und ich haben im Jahr 2021 für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Phänomen Basisarbeit untersucht und Vorschläge zur Verbesserung abgeleitet”, schreibt Marc Bovenschulte vom Institut für Innovation und Technik auf LinkedIn.

Besonders im Dienstleistungssektor ist die Bezahlung miserabel: Vom Einzelhandel bis zu Tourismus, Hotel und Gaststätten. Hier werden gerne auch die sogenannten Arbeitnehmer auf Abruf eingesetzt.

Arbeit auf Abruf, auch bekannt als “Abrufarbeit”, stellt eine flexible Arbeitsform dar, bei der Arbeitnehmer je nach Bedarf des Arbeitgebers arbeiten. Kling erst einmal harmlos. Während dies für Arbeitgeber vorteilhaft sein kann, gibt es verschiedene kritische Aspekte dieser Arbeitsform für Arbeitnehmer:

  1. Unvorhersehbarkeit: Arbeitnehmer wissen oft nicht im Voraus, wann sie arbeiten müssen, was ihre persönliche und familiäre Planung erschwert.
  2. Finanzielle Instabilität: Durch die unregelmäßigen Arbeitsstunden können Einkommen und finanzielle Sicherheit variieren.
  3. Mögliche Unterbezahlung: Es besteht das Risiko, dass Arbeitnehmer nur für die tatsächlich geleisteten Stunden und nicht für ihre ständige Verfügbarkeit bezahlt werden.
  4. Fehlende Arbeitsrechte: In einigen Fällen können gesetzliche Regelungen umgangen werden, die den Schutz von Arbeitnehmern gewährleisten sollen.
  5. Psychischer Druck: Die ständige Bereitschaft kann zu Stress und Burnout führen, da Arbeitnehmer ständig in Erwartung eines Abrufs leben.

Rund 1,5 Millionen Menschen arbeiten unter diesen Bedingungen. Von Arbeitenden in Bonner Gaststätten weiß ich, wie hier Chefs agieren.

Ich selbst komme aus einem Arbeiterhaushalt. Meine Mutter und mein Vater haben beide Vollzeit gearbeitet und konnten sich im Laufe der Jahre hoch arbeiten in leitende Positionen. Dazu kamen noch die Tätigkeiten meiner Mutter im DGB und als Betriebsrätin. Beide bekamen durch ihre guten Einkommen eine ordentliche Rente. Das hat sich in der so genannten Dienstleistungsökonomie geändert. Metaller, Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst waren und sind immer noch gut gewerkschaftlich organisiert erzielen vernünftige Gehälter. Das gilt generell für alle Beschäftigen in der Industrie. In Handel, Logistik, Tourismus und Gaststätten sieht das leider anders aus.

Menschen müssen sich in der Dienstleistungs- und Netzökonomie besser organisieren. In der industriellen Revolution ist das durch Arbeitervereine und Gewerkschaften geschehen. Die zersplitterte und hoch moderne Arbeitswelt unserer Tage hat den Organisationsgrad der Beschäftigten dramatisch reduziert.

Von einer Wissensökonomie sind wir weit entfernt. Wir brauchen eine massive Qualifizierungsoffensive für den Niedriglohnsektor. Hier liegt das Potenzial, um den Fachkräftemangel zu beheben. Das muss schon in der Schule anfangen.

Ein weiterer Punkt liegt in der Machtpolitik:

Wir brauchen Zugänge zu Wissen, Technologie, Diensten und Ideen in offenen und vernetzten Strukturen – ohne verkrustete Hierarchien, Seilschaften und Pseudoeliten. Was wir häufig in Deutschland erleben, ist das genaue Gegenteil. Die alten Eliten verbinden sich zur Absicherung ihrer Herrschaft bei gleichzeitiger Desorganisation der Gesellschaft. Je stärker das Internet die Vernetzung vorantreibt und jeder nicht nur Empfänger von Botschaften ist, sondern auch Sender, desto stärker versuchen sich die alten Eliten abzusetzen, damit es nicht zu einem übermäßigen Vordringen von “gewöhnlichen” Leuten in die innere Welt der Cliquen und Klüngel kommt. Der Zugang zu den Netzwerken der Herrschenden bleibt versperrt. Nachzulesen im Standardwerk von Manuel Castells “Das Informationszeitalter I – Die Netzwerkgesellschaft”. Zu beobachten in der Logistik- und Startup-Branche, wo jede Gründung eines Betriebsrates als Kriegserklärung gewertet wird von der Arbeitgeberseite.

Die Theorie von Castells betont, dass in der heutigen Gesellschaft Wissen und Information zu zentralen Faktoren geworden sind. Durch die beschleunigte Kommunikation und die Globalisierung von Informationen können herkömmliche gesellschaftliche Strukturen und Machtverhältnisse ins Wanken geraten.

Gegenmaßnahmen zur Desorganisation in der Netzwerkgesellschaft: Eine Kombination aus Bildung, verstärkter lokaler Vernetzung und Aufbau von digitaler Medienkompetenz könnte helfen, die Desorganisation zu mildern. Ebenso könnten Regierungen und Organisationen Maßnahmen ergreifen, um die digitale Kluft zu überbrücken und sicherzustellen, dass alle Bürger Zugang zu Informationen und Technologien haben. Wäre doch ein Thema für die Next Economy Open am 7. und 8. Dezember.

Siehe auch:

Die Nasenring-Systeme in der Netzökonomie

Über die Desorganisation der Netzbewegung und die Herrschaft der alten Eliten

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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