
Wachsende Müllberge, Klimawandel, eine drohende Energiekrise: Es scheint wichtiger denn je, dass der Wechsel von der Linearwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft gelingt. Doch von einer ressourcenschonenden Wirtschaft scheint die Welt noch weit entfernt. Das beweisen Kunststoffprodukte. 6,28 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle fielen 2019 allein in Deutschland an (Quelle: Umweltbundesamt). Das Problem: Ein Großteil des Kunststoffs landet in der Verbrennung. Nur 16 Prozent wird zu Rezyklat (Quelle: Heinrich-Böll-Stiftung).
Einer der Gründe für die geringe Quote: Es ist bislang nur schwern möglich, aus dem Rezyklat wieder hochvollwertige Produkte herzustellen – jenseits von Müllsäcken oder dickwandigen Spritzgussteilen. Dafür trennen Sortieranlagen die Kunststoffe nicht sortenrein genug. Hersteller sehen oft noch keine Notwendigkeit in der Verarbeitung von Rezyklat gegenüber Neumaterial. Der politische und gesellschaftliche Druck nimmt aber zu.
Der Digitale Produktpass wird von Seiten der EU als technische Maßnahme zur Etablierung der Kreislaufwirtschaft gefordert, Rezyklatquoten werden vorgeschrieben und Verbraucher legen Wert auf nachhaltige Produkte. Das System der Verwertung (Aufbereitung und Einsatz der Rezyklate) muss sich in seiner Ausrichtung und Philosophie deutlich umstellen.
Vor dieser Herausforderung stehen nicht nur die Entsorger von Kunststoffabfällen, sondern alle Abfallbranchen. Die Abfallverwertung muss sich quasi entgegen der Entsorgungsrichtung der Abfallmassenströme auf die Erfordernisse der Industrie ausrichten. Letztendlich gilt es, hochwertige sekundäre Rohstoffe zu produzieren, die möglichst weit den Eigenschaften der klassischen in der Produktion eingesetzten primären Rohstoffe entsprechen sollten, so dass weder an der Produktion noch an den Produkteigenschaften Änderungen vorgenommen werden müssen. Der Hersteller entscheidet sich, einen Anteil seiner Rohstoffe aus der Kreislaufwirtschaft zu beziehen, da diese seine Spezifikationen erfüllen. Dies ist im direkten Austausch zwischen Aufbereiter, der Regranulate herstellt, und Produzent und damit für den Einzelfall zu erreichen.
Für den Aufbereiter bedeutet dies im zweiten Schritt, dass er seine Prozesse auf dieses Produktionsziel ausrichten muss. Dies bedeutet damit eine Optimierung der Technik, aber auch eine Definition der Zusammensetzung und Eigenschaften der Materialien, die er zur Aufbereitung übernimmt. Das diskutierten wir in einem Sohn@Sohn-Roundtable mit Experten aus dem Maschinenbau: Michael Baumeister, COO von Brückner Maschinenbau; Guido Frohnhaus, technischer Geschäftsführer von Arburg; Thomas Hartkaemper, CEO von Kautex Maschinenbau; Bernd Reifenhäuser, CEO der Reifenhäuser Group; Guido Spix, Group President der Multivac-Gruppe. Moderation: Gunnar Sohn.
Auch die Umweltministerien von Bund und Ländern haben einen Katalog vorgelegt, wie man das Kunststoffrecycling verbessern kann. Unser Roundtable kommt also genau zur richtigen Zeit.
Stefan Lang vom Fachdienst Euwid hat dazu folgendes berichtet:
“Wie kann das Recycling von Kunststoffen forciert werden? Zahlreiche Ideen dazu zeigt der Abschlussbericht der Sonderarbeitsgruppe ‘Rezyklateinsatz stärken’ (RESAG) der Umweltministerkonferenz. Die Konferenz hat den Bericht zur Veröffentlichung freigegeben. Bis Ende Januar hatten über 120 Experten aus Wirtschaft, Forschung in zahlreichen Arbeitssitzungen unter Leitung der Umweltministerien aus Brandenburg und Baden-Württemberg an dem Abschlussbericht gearbeitet”, schreibt Lang.
Herausgekommen sei eine umfangreiche Vorschlagsliste für Maßnahmen, die den bisher zu spärlichen Einsatz von Kunststoffrezyklaten möglichst kurzfristig verbessern bzw. die stoffliche Verwertung von Kunststoffabfällen insgesamt stärken können.
Die ökologische Dimension des Kunststoffrecyclings ist erheblich: So vermeidet jede Tonne Recyclingkunststoff, die anstelle von Neuware zum Einsatz kommt, zwischen 1,4 bis 3,2 Tonnen CO2-Äquivalente. Das bedeutet, dass durch den Einsatz von Rezyklaten schon heute jährlich zwischen 2,7 bis 6,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente in Deutschland vermieden werden. Als Vergleich: Dies entspricht ungefähr der zwei- bis dreifachen Menge an Treibhausgasen, die der gesamte innerdeutsche Luftverkehr erzeugt”, berichtet Euwid.
Gleich mit der ersten „Best of-Forderung“ werde ein heißes Eisen angefasst, an dem sich die vorletzte Bundesregierung bereits die Zähne ausgebissen hatte: “Die bundeseinheitliche Wertstoffsammlung. Vorgeschlagen wird eine gesetzliche Regelung, die ‘Kunststoffgesetz’ oder ‘Rohstoffsicherungsgesetz’ heißen könnte. Sie sollte als bundesweiter Standard Sondersammelmodelle und kreisindividuelle Lösungen ausschließen, jedoch bewährte von Herstellern getragene Rücknahmesysteme weiterhin berücksichtigen. In ergänzenden Vorschlägen zur Wertstofftonne
werden die Ausweitung der Sammlungen und Sortierung auf stoffgleiche Nichtverpackungen im Rahmen der häuslichen Siedlungsabfälle und an vergleichbaren Anfallstellen genannt. Die Sortierung und Verwertung wird dabei an Mindestquoten für Kunststoffe gekoppelt. Zudem wird die Ausweitung der Systembeteiligungspflicht auf gewerbliche Verpackungen vorgeschlagen. Dadurch könne die komplexe Abgrenzung zwischen Verpackungen von vergleichbaren Anfallstellen und gewerblichen Verpackungen entfallen. Die Gretchenfrage, wer für die Entsorgung konkret zuständig sein soll, klammert die RESAG jedoch aus”, erläutert Euwid.
Wir werden das in zwei weiteren Roundtable-Gesprächen vertiefen – in Bonn und in Brüssel. Wer von der fachlichen Seite daran teilnehmen möchte, möge sich bei mir melden.
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Frage: wo findet man den Vorschlagskatalog ?