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Mittelstand noch Rückgrat der Wirtschaft? @kfw_research

Ist der Mittelstand noch das Rückgrat der Wirtschaft in Deutschland? Es gibt Handlungsbedarf. Die Investitionsbereitschaft im Mittelstand ist nach KfW-Analysen erheblich an die Person der Unternehmensinhabenden gekoppelt. Und da gibt es eine negative Entwicklung: 

Die Neigung zu investieren sinkt mit zunehmendem Alter massiv. Das gilt für das Investitionsvolumen und für Kapazitätserweiterungen. Dieses Muster verhindert enorme Investitionen – seit 2002 ist das Durchschnittsalter der Inhaber um acht Jahre gestiegen. Hinzu kommt vielfach eine bevorstehende Unternehmensnachfolge. Je näher der Zeitpunkt der geplanten Nachfolge rückt, desto seltener werden Investitionen angegangen. Ungeklärte Nachfolgen drücken das Investitionsniveau zusätzlich.

Zudem hat die Corona-Krise die Investitionslaune des Mittelstands erheblich gedämpft.

Noch nie haben so viele kleine und mittlere Unternehmen ihre ursprünglichen Investitionspläne nicht wie vorgesehen umgesetzt. Größere Vorhaben wurden von den Betrieben häufiger zurückgestellt.

Dagegen dominierten kleinere Investitionsvorhaben zur Anpassung und Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs in der Krise. Die durchschnittliche Investitionshöhe im Mittelstand verringerte sich deutlich um 22 Prozent. Dadurch erhielten die Investitionen insgesamt einen empfindlichen Dämpfer, der Rückgang zieht sich durch alle Segmente.

Zwar gilt der Mittelstand mit seinen rund 3,8 Millionen Unternehmen zu Recht als das Rückgrat der Wirtschaft in Deutschland – an den gesamten Neuinvestitionen der Unternehmen beträgt sein Anteil mittlerweile allerdings „nur“ noch 42 Prozent. Auch dies ist nicht ausschließlich, aber auch eine nicht zu vernachlässigende Krisenfolge.

Die Investitionstätigkeit des Mittelstands (-7 Prozent) war im Jahr 2020 etwas stärker von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen als Großunternehmen (-4 Prozent). KMU haben in den vergangenen Jahren – selbst ohne Corona-Krise – kontinuierlich an relativer Bedeutung für das gesamte Investitionsgeschehen im Unternehmenssektor verloren. Im Jahr 2008 lag der Mittelstandsanteil am gesamten Investitionsvolumen der Unternehmen in Deutschland noch
bei 49 Prozent. Seitdem gingen demnach 7 Prozentpunkte verloren. Die Krise beschleunigt daher eine sich schon länger abzeichnende Entwicklung.

Enormer Investitionsbedarf voraus: Transformation in Richtung Klimaneutralität und Digitalisierung müsste auf der Agenda stehen

Ob es einen raschen Nachholeffekt bei den Unternehmensinvestitionen geben wird, ist gegenwärtig noch nicht abzusehen. Der Wunsch nach mehr Absicherung und Stärkung der finanziellen Robustheit könnte zur Zurückhaltung wesentlicher Zukunftsinvestitionen führen. Dabei steht die Transformation zu einer klimaneutralen und nachhaltigen Wirtschaft auf der Agenda (Klimaneutralität bis 2045), auch bei der Digitalisierung gibt es großen Nachholbedarf.

So beziffert eine aktuelle Studie im Auftrag der KfW die notwendigen Klimaschutzinvestitionen zur Erreichung des Ziels der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 auf rund 5 Billionen Euro oder rund 190 Milliarden Euro jährlich. Gleiches gilt für die digitale Transformation. Gegenwärtig rangiert Deutschland bei der Anwendung digitaler Technologien in der Wirtschaft im EU Vergleich bestenfalls im Mittelfeld. Um zu vergleichbaren Ländern aufzuschließen, müssten sich die Digitalisierungsinvestitionen in Deutschland von 49 Milliarden Euro auf 100 bis 150 Milliarden Euro jährlich verdoppeln bis verdreifachen. Allein im Mittelstand müssten die Digitalisierungsausgaben von jährlich 18 Milliarden Euro auf 35 bis 50 Milliarden Euro  zunehmen.

Für die stark inlandsorientieren kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wirkt dabei die heimische Nachfrage besonders stimulierend. Die Auslandsnachfrage hat hingegen eine untergeordnete Relevanz. Innovationen und Digitalisierungsanstrengungen sind weitere wichtige Treiber der Investitionen im Mittelstand.

Den Ausschlag für ein konkretes Investitionsvorhaben gibt am Ende vielfach schlicht das vorhandene finanzielle Polster. Ginge es allein danach, ließe sich seit Jahren eine Investitionsrally im Mittelstand beobachten – denn die Unternehmen haben ihre Gewinnzuwächse weitgehend einbehalten und Rücklagen aufgebaut. An zweiter Stelle der Rangfolge stehen die Erfahrungswerte der Inhabenden. Dies macht deutlich, dass die Investitionsbereitschaft im Mittelstand oft weniger stark durch die Einbettung in ein strategisches Gesamtkonzept gekennzeichnet ist, sondern generell erheblich an die Person des Unternehmensinhabers gekoppelt ist. Vor allem bei kleinen mittelständischen Unternehmen ist dieser Aspekt deutlich höher gewichtet als klassische Faktoren von Investitionsentscheidungen wie Amortisation, Kosten oder Rendite. Darin kommt auch die Kleinteiligkeit des Mittelstands zum Ausdruck – denn auch rund eine Million Soloselbstständige zählen dazu. Und die werden in Deutschland eher mangelhaft unterstützt, kritisiert der brandeins-Redakteur Wolf Lotter: „Niemand in der Politik setzt sich tatsächlich für die Interessen der Selbständigen ein. Das wird sich auch in der neuen Regierung nicht ändern.“ 

Man müsse sich halt um seinen eigenen Kram kümmern und den auch durchsetzen. Und dem wirken leider demographische Prozesse entgegen. 

So sinkt die Neigung zu investieren mit dem Alter des Inhabers erheblich. Viele Investitionen besitzen bei hohem Alter aus Inhabersicht schlicht eine zu lange Amortisationszeit – die finanzielle Verpflichtung wird dann eher gescheut. Dies gilt besonders bei eher umfangreichen, aber den Wettbewerb stärkenden Investitionen. Dies lässt sich in Zahlen belegen: Während im langjährigen Mittel (2004–2020) etwa 57 Prozent der jüngeren Inhaber unter 40 Jahren Investitionen vornehmen, sinkt dieser Anteil bei
den älteren Inhabern (über 60 Jahre alt) auf nur noch 36 Prozent.

Die entsprechende Lücke im Investorenanteil von etwa 20 Prozentpunkten ist dabei im Zeitverlauf recht konstant. Zudem investieren jüngere Inhaber einen größeren Anteil ihres Gesamtvolumens in Kapazitätserweiterungen (50 gegenüber 20 Prozent), weisen häufiger positive Nettoinvestitionen (38
gegenüber 22 Prozent) sowie eine deutlich höhere Investitionsintensität auf. Führt man sich dabei den raschen Alterungsprozess vor Augen, den die Inhaberschaft im Mittelstand durchläuft, zeigt sich die in den vergangenen Jahren gestiegene Relevanz dieses Aspekts. Gegenwärtig liegt das Durchschnittsalter eines Inhabers im Mittelstand bei 52,8 Jahren. In den vergangenen zehn Jahren ist dieser Wert um drei Jahre gewachsen, seit 2002 sogar um acht Jahre. Zum damaligen Zeitpunkt waren gerade einmal 20 Prozent der Inhaberschaft 55 Jahre oder älter. Aktuell ist es mit einem Anteil von 50 Prozent bereits jeder Zweite.

Firmenchefin Kerstin Hochmüller sieht dennoch die Perspektiven für den Mittelstand positiv. „Besonders im technischen Sektor sehen wir eine hohe Investitionsbereitschaft.“ Familienunternehmen würden generell vorsichtiger agieren. „Wir hatten Jahre des Wachstums, wo Kapazitäten extrem ausgelastet waren. Bevor man das nächste Investment tätigt, schaut man sich sich die aktuellen Geschehnisse genau an“, so Hochmüller vom Antriebsmotorenhersteller Marantec. Zur Zeit werden so viele Themen gespielt, von Liegenschaften über die Finanzierung von Maschinen, die zu einer Verunsicherung führen. Wenn sich das Krisenszenario abschwächt, geht die Firmenchefin von einem gewaltigen Investitionsschub aus.  Die Störungen der Angebotsseite – Lieferketten, Inflation, Energiepreise – werden wohl das ganze Jahr noch anhalten.

„Auf jedem Fall ist mit Preissteigerungen zu rechnen. Das liegt deutlich über unseren Erwartungen. Weitergeben können wir das nicht wirklich. Entsprechend sinken Margen und  Liquidität.“ Von der neuen Bundesregierung erwartet Hochmüller klare Vorgaben für Homeoffice und einer Flexibilisierung der Arbeitswelt. Zudem müsse der Förderdschungel durchleuchtet werden.  Hier sei Einfachheit gefragt: Unternehmen nicht als Bittsteller betrachten, sondern nachhaltig fördern. Ein wichtiges Thema, dass wir mit unserem Konzertprogramm „Schubkraft“ unterstützen. Um bei der Digitalisierung weiterzukommen, brauchen wir eine gute Navigation durch die Förderprogramme https://geschaeftskunden.telekom.de/vernetzung-digitalisierung/foerderungen-homeoffice/digitale-foerderung/foerderung-unternehmen.

Generell ist für die Marantec-Chefin der Zeitpunkt gekommen für Kooperationen und Netzwerke. „Wir müssen jetzt Dinge tun, die wir vorher nicht für nötig gehalten haben.“ Besonders Mittelstandsunternehmen seien bereit, ins Risiko zu gehen. Optimismus ist dabei ein Kriterium für die Bereitschaft für Neuinvestitionen, betont die KfW-Chefvolkswirtin Dr. Fritzi Köhler-Geib. Wenn die Barrieren weggeräumt werden, könnte es noch 2022 zu einer dynamischen Entwicklung kommen. 

Das korrespondiert mit der Neujahrsumfrage des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, die ich Ihnen ans Herz legen möchte. Trotz Corona-Pandemie, Lieferengpässen, Rohstoffknappheit und explodierende Energiekosten startet der Mittelstand mit Zuversicht ins neue Jahr. Mehr als die Hälfte der befragten Mittelständler schätzen die eigene Geschäftslage als gut oder sehr gut ein, knapp ein Drittel als befriedigend. Zudem rechnen vier von fünf Unternehmen damit, dass sich die Geschäftslage im kommenden Jahr gleichbleibend oder sogar günstiger entwickeln wird.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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