Künstliche Intelligenz und die Automation des Entscheidens #DigitalXAdhoc #Autorengespräch

Vor einigen Jahren machte eine Studie Furore. Die Ökonomen Carl Frey und Michael Osborne fragten: Wie anfällig sind Tätigkeiten, die bisher von Menschen ausgeübt werden, für Automation? Dafür betrachteten sie den amerikanischen Arbeitsmarkt. Mithilfe eines aufwendigen Forschungsdesigns wurden 702 Arbeitsprofile seziert. Die Autoren zerlegten dafür jede Arbeit in eine Ansammlung von Einzeltätigkeiten . Anschließend verglichen sie, welche Anteile davon bis zum Jahr 2030 Maschinen leisten könnten . Ihre Schlussfolgerung war niederschmetternd: „Nach unseren Schätzungen sind etwa 47 Prozent aller Beschäftigten in den USA gefährdet.“ Der Befund erregte weltweit Aufsehen.

„Frey und Osborne behaupteten nichts weniger, als dass Roboter und künstliche Intelligenz fast die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung hinwegfegen würden. Das hätte verheerende Konsequenzen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.  Müssen wir diese Horrorszenarien widerspruchslos akzeptieren? Sollten wir uns besser auf das Schlimmste gefasst machen: Die Übernahme der Herrschaft durch seelenlose Maschinen? Eher nicht. Denn in der Diskussion wurde selten eine wichtige Frage gestellt . . Haben Frey und Osborne überhaupt sauber gearbeitet“, fragt Stefan Holtel in seinem neuen Buch „KI-volution“, erschienen im Redline-Verlag.

In den vergangenen sieben Jahren seit Erscheinen der Studie ist nicht eine einzige Vorhersage eingetroffen. Das zumindest bestätigt Frey in einem Zeitungsinterview. Höchste Zeit, sich pragmatisch und realistisch mit der KI zu beschäftigen. Holtel beherzigt das in seinem Opus. Als Metapher zu besseren Einordnung unterschiedlicher KI-Anwendungen und Einsatzgebiete schlägt er folgendes vor: Künstliche Intelligenz ist die Automation des Entscheidens.

„Wenn Sie heute eine Konferenz besuchen, präsentieren benannte oder selbsternannte Experten gerne künstliche Intelligenz. Sie schwelgen in Aussagen wie: ‚Künstliche Intelligenz wird dem Internet vergleichbar alle Lebensbereiche revolutionieren.‘ Die meisten bleiben aber die Antworten schuldig. Es wird nicht erklärt, was das genau für Arbeit und Alltag bedeutet. Und noch wichtiger: wie man praktisch damit umgeht. Deshalb das Wichtigste: Glauben Sie nicht an das Versprechen vermeintlich letzter Antworten auf die großen Fragen der künstlichen Intelligenz“, schreibt Holtel. Niemand könne mit Sicherheit wissen, wie sich Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in den nächsten fünf oder zehn Jahren durch künstliche Intelligenz verändern werden.

Die Automation des Entscheidens sieht Holtel als ein Denkwerkzeug. Mit ihrer Hilfe könne man viele Probleme aus der organisationalen Praxis mit künstlicher Intelligenz thematisieren, ohne vorher Experte dafür geworden zu sein. „Jeder versteht diese Metapher ohne Vorkenntnisse, dabei vereinfacht sie nur vordergründig die komplexe Materie. Richtig anwendet erschließen sich damit neue Einsichten in die künstliche Intelligenz, und so vergrößern sich die Spielräume des Handelns. Sie lernen, mit mehr Klarheit und Zuversicht durch die Ära mächtiger Entscheidungsmaschinen zu navigieren.“

Am Beispiel des Zentauren-Schachs macht der Buchautor die Chancen für Mensch-Maschine-Interaktionen deutlich. Es geht nicht immer um einen Ersatz an menschlicher Arbeit durch KI. Es geht auch um die Verbesserung menschlicher Fähigkeiten durch die Kombinatorik mit KI.

Der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow hatte eine interessante Idee: „Könnte man die besten Schachspieler und besten Schachcomputer gemeinsam an ein Schachbrett setzen? Menschen und Maschinen würden ihre Fähigkeiten zusammenbringen und von denen des anderen profitieren. Der Computer wäre schnell und hätte Speicherplatz für die Analyse von Schachzügen. Der Mensch brächte Einsichten, die auf Erfahrung, Intuition und Bauchgefühl beruhten. Beide zusammen ergäben eine unschlagbare Kombination, würden eine neue Ära des Schachspielens einläuten. Im Juni 1998 startet Kasparow den ersten Versuch des ‚fortgeschrittenen Schachs‘ (advanced chess156). Sein Gegner heißt Veselin Topalow, ebenfalls Schachgroßmeister . Beide Spieler dürfen jede Hard- und Software ans Schachbrett stellen, die helfen könnte, ihre Partien durchzubringen. Also rufen beide Schachgroßmeister historische Partien ab oder fordern Züge aus der Schachsoftware von der Stange, wann immer sie glauben, dass dadurch ihre Gewinnchancen steigen. Einen Monat vorher hat Kasparow in einem Turnier Topalow ohne Computer mit 4:0 Spielen geschlagen. Nun kann Topalow durch den Einsatz von Compu- tern seine Siegchancen deutlich steigern und erkämpft ein 3:3-Unentschieden. Und das ist kein Einzelfall . 

Die menschliche strategische Führung in Verbindung mit der taktischen Schärfe eines Computers sei überwältigend, meint Kasparow. „Er benutzt den Begriff ‚Zentaur‘, um diese Mensch-Maschine-Kombination zu beschreiben. Die griechische Kreatur aus der Mythologie ist eine Chimäre mit einem menschlichen Torso mit Kopf und Armen und dem Körper und den Vorder- und Hinterläufen eines Pferdes.  Es ist zu erwarten, dass diese Dynamik der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine nicht zum Stillstand kommt oder auf einen Bereich kognitiver Fähigkeiten wie das Schachspiel beschränkt bleibt“, schreibt Holtel. In vielen Berufsfeldern, die noch vor einem Jahrzehnt nicht von der maschinellen Intelligenz bedroht schienen, werden Mensch-Maschine-Teams entstehen.  

Hier sieht Holtel die eigentlichen Herausforderungen beim Einsatz von KI.

Hier das Autorengespräch mit Holtel in der Sendung #DigitalXAdhoc:

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