Homo Digitales gesucht jenseits der ahnungslosen Schwätzer 

Leblose digitale Begriffskaskaden befördern Entscheider in Politik und Wirtschaft ins tatenlose Koma. Und das ist schon seit Jahren so. Egal, ob die Digitalisierung in Koalitionsverträgen, Talkrunden oder von so genannten Top-Speakern aufgegriffen wird: Digitaler Wandel? Alles nur Gequatsche. Das Wortgeklingel erinnert den Marketingspezialisten Michael Zachrau an den römischen Staatsmann Cato mit seinem Ausspruch: „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam – im übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“. Wer ständig die gleichen Begriffe herunterleiert und sich in elend langweiliger Powerpoint-Rhetorik übt, bewirkt gar nichts.

Pseudoschlaue Blindfische reden über Künstliche Intelligenz, Disruption, 5G, Content Management Systeme und das Internet der Dinge. Sie können kaum Bits von Bytes unterscheiden. Hauptsache die Phrasen wirken modern und innovativ. Wenn digitale Idioten auf digitale Idioten in unterschiedlichen Kontexten treffen, kommt Bullshit heraus: Tarnung, Lüge, Angeberei, Täuschung und Leerformeln erzeugen technologischen Schrott.

Das gilt auch für die Beurteilung von innovativen „Hochleistungen“ des Silicon Valley. In ihrem Buch „Wie wir mit Wissenschaft und Technik die Welt wieder in Balance bekommen“ verweisen Thomas Ramge und Rafael Laguna de la Vera verweisen auf Untersuchungen des Techniksoziologen Lee Vinsel: Selbst in den Big-Tech-Unternehmen dominiert eine pathologische Mischung aus Selbstüberschätzung und Realitätsverweigerung. Je offenkundiger es werde, dass die großen Innovationssprünge ausblieben, desto stärker drehe das Technologiemarketing den Lautsprecher auf.

Das gilt übrigens auch für das Nachhaltigkeitsmanagement. Häufig bearbeiten die Marketingabteilungen dieses Thema. „Auf ihren Bühnen beherrschen die Innovationsschauspieler ihren Innovationssprech in Perfektion“, schreiben Ramge und Laguna de la Vera. Das Ganze ist nicht nur ermüdend, sondern sogar gefährlich. Das Innovationstheater beschert uns Firmen, die uns schädliche Produkte, Software und schlichtweg Schwindeleien unterjubeln, wie etwa Wirecard. Zudem lenken die Geschichtenerzähler mit ihren Hyperloops und Superintelligenzen von den wahren Problemen ab:  Man braucht sich nur den Zustand der Verkehrsinfrastruktur in den USA anschauen oder unsere Brücken, Schienen und Straßen. 

Die Schwätzer im Innovationstheater bewirken das Gegenteil ihrer Beschwörungen: Es bleibt alles so, wie es vorher schon war. Darauf verweist brandeins-Autor Wolf Lotter beim Zukunftsdiskurs der D2030-Initiative.

Wer Interesse an einer wirklichen Veränderung habe, muss auf ein neues Leistungsbild schauen und nicht einfach an die Stelle alter Routinen neue Dogmen setzen. „Viele beten nach, was andere predigen, statt die Welt mit eigenen Augen und kritischem Verstand verstehen und gestalten zu wollen“, so Lotter, der zu diesem Thema ein Buch verfasst hat. Titel: Strengt Euch an!

Wir sollten nicht jenen an den Lippen hängen, die über Technologie schwadronieren, sondern Persönlichkeiten nach vorne bringen, die wirklich Impulse setzen in synthetischer Biologie, in der Chemie, Medizin, Agrarwirtschaft, in der Chip-Entwicklung, Robotik und bei der Anwendungen von KI in der Industrie. Wir müssen die echten Innovatoren erkennen und die Schwätzer links liegen lassen. Wer ist wirklich ein Homo Digitalis, der im 21. Jahrhundert Akzente setzen kann? 

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