Brief, Fax oder Dosentelefon: Über digitale Services in Deutschland, die gar keine sind

shallow focus photography of paper crane
Photo by Miguel Á. Padriñán on Pexels.com

Banken und Behörden lassen sich nicht beirren. Sie lieben Medienbrüche und sie lieben Briefe. Behörden, Banken, Krankenkassen, Finanzamt oder Rentenversicherung greifen nach wie vor zum Umschlag: „Selbst jene Banken, die sich besonders für ihr digitalisiertes Geschäft rühmen, schicken PIN-Codes oft per Post. Wer als Kunde voll digitalisiert durchstarten will, muss also erst mal einige Tage, manchmal auch länger, auf ein Stück Papier warten“, schreibt Sarah Huemer in der FAZ.

Der Brief sei eben am zuverlässigsten, heißt es vom Bundesverband der Volksbanken und Raiffeisenbanken. „Das mag erst mal verwundern. Die Oma rügt man schließlich, wenn sie für ihre Enkel einfach ein paar Geldscheine ins Kuvert steckt und per Brief schickt. Und nun werben ausgerechnet Banken damit, dass dieser Weg der verlässlichste sei?“, fragt sich Huemer.  

In den meisten Fällen handele es sich um einen Normalbrief. Soll heißen: Er lässt sich nicht nachverfolgen. „Erst wenn der Kunde sich beschwert, erfährt die Bank, dass das Schreiben nicht angekommen ist. Einen kleinen Trick wenden die Banken aber noch an, um die Sicherheit deutlich zu erhöhen: Sie schicken nicht alles auf einmal. Karte und PIN kommen jeweils in einem eigenen Brief, die die Bank zeitlich versetzt und oft auch mit einem anderen Anbieter versendet. Erst die Karte, dann die PIN, das ist der übliche Standard.“

Was war das für ein Schwachsinn bei der Neuberechnung der Grundsteuer. Alle Daten liegen dem Staat vor – nur werden sie von unterschiedlichen Stellen verwaltet. Folge: Der Hauseigentümer bekommt die Arschkarte zugeschoben, die nötigen Unterlagen zu suchen, mit Androhung von Bußgeldern. Steuerbescheid einscannen und der Rentenversicherung per E-Mail schicken. Nee, nee. „Da kommt erst ein Formular per Post und da heften Sie dann den Steuerbescheid dran und schicken uns das wieder zu.“

Ein Konto ändern mit Umzugsservice für Lastschriftverfahren? Kann man getrost vergessen. Funktioniert nur in Ausnahmefällen. Der Inhaber muss dat schriftlich einreichen in jedem Einzelfall. Warum bietet die Bank eigentlich keinen Umzugsservice für die Kontonummer, wie bei den Mobilfunkbetreibern? Bankangestellten sind Kundeninteressen wohl scheißegal: „Sie brauchen ein neues Konto, dat stand doch in der Tageszeitung.“ Der Kunde ist der Dödel mit Bringschuld. Das wollte mir meine Duisdorfer Bank wohl mitteilen.

Warum soll ich denn kostbare Lebenszeit für sinnlose Tätigkeiten aufwenden, wenn sie nicht ins Zentrum der eigenen Interessen passen. Beim Kaffeetrinken ist mir das Innenleben des Vollautomaten völlig egal. Kommt es zu einer Leistungsverweigerung des Apparates, reicht meine handwerkliche Grobmotorik sowieso nicht aus, um der Maschine wieder Leben einzuhauchen. Hier ist Reparaturservice gefragt und nicht die Notwendigkeit, im zweiten Bildungsweg noch Kompetenzen als Mechatroniker zu erwerben. Mutiere ich unter diesen Voraussetzungen zum Sklaven einer nicht beherrschbaren Technik. Mitnichten. Ich kann mit der Roten Karte reagieren und den Hersteller wechseln, der wartungsfreundliche, leicht bedienbare und robuste Geräte anbietet. So ist es im Idealfall. In der Regel geht es beim Wechselspiel von Mensch und Anwendungen um einen Wettstreit, bei dem nie eindeutig gesagt werden kann, wer eigentlich wem dient. Nicht nur Versagensängste und die tägliche Plage im Umgang mit Services werden als schmerzliche Erfahrung der Moderne empfunden. Der Benutzer ist zudem einem Generalverdacht der Anbieter ausgesetzt: Kunden sind ein potentielle Störenfriede. Man durchläuft eine Zirkulation von Schuldzuweisungen und Unterstellungen.

Schuldig ist nicht der Anbieter, sondern der dümmliche und idiotische Kunde. „Der Philosoph Ludwig Wittgenstein sagte: ‚Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.‘ Darin kommt all das zum Ausdruck, worum es eigentlich geht“, resümiert die freiberuflich beratende Ingenieurin Anett Dylla. Systementwickler leben in einer anderen Welt als Konsumenten. Und jeder spricht seine eigene Sprache. Hier könnte ein neues Berufsbild entstehen für Fachleute, die diese verschiedenen Welten vereinen.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.