
Seit Jahrzehnten berichte ich nun schon über den Niedergang des Mehrwegsektors bei Getränken und nun kommen Lidl sowie die FDP mit der Behauptung um die Ecke, es fehle an Ökobilanzen. “Mit dem Ziel der Abfallvermeidung wurde im Jahre 2019 im Verpackungsgesetz festgelegt, den Anteil von Mehrweg bei Getränkeflaschen auf mindestens 70 Prozent zu steigern. Noch setzt die Politik dabei auf Freiwilligkeit. Doch mit einem Mehrweganteil von nur rund 43 Prozent wird die gesetzliche Zielmarke weit verfehlt. Deswegen fordern die Mehrweg-Vertreter eine Abgabe auf Einwegflaschen oder eine verpflichtende Mehrwegquote – am besten beides zusammen. Genau solche Maßnahmen will Lidl verhindern”, schreibt die FAZ. Argument von Judith Skudelny, umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, gegenüber der FAZ: „Wenn die Kunden Getränke in Mehrwegflaschen kaufen möchten, gibt es genügend Märkte mit einem entsprechenden Sortiment.“ Im Übrigen sei es nicht so, dass Mehrweg stets vorteilhaft sei, wenn man etwa an die ökologischen Kosten langer Transportwege für schwere Flaschen aus Glas denke. Es sei bedauerlich, dass wegen der Lidl-Kampagne nun wieder Regularien gegen Einweganbieter ins Spiel gebracht würden. „Wir sollten uns doch lieber freuen, dass es Lidl gelungen ist, mit seinem Einwegsystem einen ökologischen Weg zu finden“, so die FDP-Politikerin.
Faktisch hat die Niedrigpreis-Politik der Discounter, die schon immer nur auf Einweg gesetzt haben, zu einem Niedergang der mittelständischen Getränkebetriebe geführt, die auf einheitliche Flaschen, einheitliche Mehrwegkästen und dezentrale Rücknahme gesetzt haben. Das wurde von den Discountern zu Lasten des Mittelstandes und zu Lasten der Mehrwegquote pulverisiert. Man hat die mittelständische Mehrwegbranche soweit ruiniert, dass nun das Argument der Transportwege und das Gewicht von Glasflaschen als Argument gegen Mehrweg ins Feld geführt wird. Ähnlich argumentierten ja auch einige Beethoven-Freunde in Bonn. Die Beethovenhalle wurde in den vergangenen Jahrzehnten derartig heruntergewirtschaftet, dass nur noch ein Abriss als sinnvolle Maßnahme dargelegt wurde. Alles nur Rabulistik.
Mit der Glasflasche sind 50 Umläufe oder mehr möglich. Da kann Einweg-Plastik nicht mithalten. Entscheidend für alle Getränkearten:
Einigt Euch auf einheitliche Flaschen und einheitliche Mehrwegkästen für unterschiedliche Abfüllmengen: 0,33 Liter, 0,5 Liter und 1,5 Liter. Das Marketing läuft über das Etikett und die klassische Werbung. Das muss doch machbar sein.
Vor Ewigkeiten schrieb ich diesen Artikel: „Politik liefert den Discountern kostenloses Kundenbindungsprogramm“
Auszug: Die Preise für Mineralwasser haben in den vergangenen Jahren stetig nachgegeben. Discounter wie Lidl und Aldi verkaufen zurzeit eine 1,5-Liter-Flasche für 19 Cent, das ist billiger als das Pfand, das pro Einwegflasche erhoben wird. “Für die mittelständischen Anbieter, von denen es in der Region Stuttgart noch etliche gibt, sind die Gewinnspannen kleiner geworden, und die Arbeitsplätze unsicherer. Zurzeit bangen etwa die Beschäftigten des Abfüllbetriebs der Mineralbrunnen AG in Waiblingen-Beinstein um ihre Arbeitsplätze. Bis Mitte Juli soll ein Gutachter entscheiden, ob der Traditionsbetrieb, der Mineralwasser in Mehrwegglasflaschen abfüllt, eine Zukunft hat“, so die Stuttgarter Zeitung
„Die Todesspirale für den Mittelstand ist in vollem Gange. Einen vergleichbaren Preisunterschied zwischen Discountern und dem Getränkehandel mit einem Faktor von 4,5 findet man in keinem anderen Zweig der Lebensmittelbranche. Die Politik liefert den Discountern ein kostenloses Kundenbindungsprogramm. Normalerweise kalkulieren diese Konzerne einen Erlös von 10 Prozent. Mit den Pfandeinnahmen über die nicht zurückgebrachten Einwegflaschen erwirtschaften die Discounter mit dem Segen der Bundesregierung eine Spanne von über 40 Prozent. Die lachen sich ins Fäustchen“, monierte damals Ullrich Schweizer, Marketing-Geschäftsführer der Firma Hassia Mineralquellen.
Durch die eingesparten Gebühren für den Grünen Punkt, durch Pfandschlupf und Recyclingeinnahmen für das sortenreine Verpackungsmaterial erzielen die Discounter nach Berechnungen von Branchenexperten jährliche Mehrerlöse von über 400 Millionen Euro. Mit diesem Geld könnten sie über Quersubventionen den Preis für Mineralwasser in Einwegflaschen künstlich niedrig halten. Es gebe nach Erkenntnissen von Schweizer keine anderen Sortimentsbestandteile, wo Discounter soviel verdienen könnten. Die Speerspitze für den ruinösen Preiskampf lieferte die Regierung – übrigens unter Bundesumweltminister Jürgen Trittin.
In der Konsequenz führe das zur Aldisierung oder Wal-Martisierung der Gesellschaft, wie es David Bosshart, Chef des Schweizer Gottlieb-Duttweiler-Instituts, in seinem Buch „Billig“ vorausgesagt habe: „Wo wir auf der einen Seite von Bergen von günstigen Produkten für Kunden profitieren, beschleunigen wir auf der anderen Seite die Rationalisierung der Arbeitsplätze, miserable Karrierechancen und das Anwachsen von schlecht bezahlten Jobs“, zitiert Schweizer aus dem Bosshart-Buch.
Die Situation stelle sich für die deutsche Brunnen-Industrie genauso dar.
„Die Atomisierung unserer Unternehmen, die regional tätig sind, führt zu einer Anpassung an die Discounter. Wer aber mit diesen Konzernen Geschäfte macht, wird zu deren Double. Das gilt nicht nur für Lieferanten, sondern auch für den klassischen Lebensmitteleinzelhandel. Es läuft alles nur noch über den Preis“, führt Schweizer aus. Jeder Verbraucher, der noch einen normalen Mineralwasser-Mehrwegkasten kaufe, müsse sich als Idiot vorkommen. Soweit ein Ausschnitt meines Beitrages, der 2008 (!) erschien.
Den wahren Hintergrund für die Lidl-Lobbyschlacht bringt die FAZ ganz zum Schluss:
Auf EU-Ebene wird derzeit über die geplante EU-Verpackungsverordnung beraten. Der Entwurf der EU-Kommission sieht Mehrwegpflichten im Getränkebereich vor. Die Einweglobby möchte eine solche Quotenregelung verhindern, die Mehrweglobby deutlich schärfere Verpflichtungen. Ein Ende der Debatte über die richtige Getränkeverpackung ist also noch längst nicht in Sicht.
Die ganze Dumping-Politik der Discounter im Getränkesektor ist eigentlich ein Fall für die Bundeskartellamt.
Anfang des Jahres 2023 diskutierten wir die EU-Verordnung bereits in einer Fachrunde: