Über Haushaltssperren, Evaluationen von Innovationen und den Bürokratismus @SPRIND @th_sattelberger @Bundeskanzler @InitiativeD2030

In bürokratischen Organisationen gedeiht eine trügerische Fantasie der Rationalität. Sie verschanzt sich hinter Controlling-Kennzahlen, Erbsenzähler-Monitoring-Systemen, ISO-Normen, Zertifikaten, Testaten und sonstigen Hilfsmitteln der Planungsgläubigkeit. Das kann aktuell auch bewundert werden bei den innovationspolitischen Akzenten der Ampel-Regierung. So schreibt Dr. Jan-Martin Wiarda zum überraschenden Rücktritt von Thomas Sattelberger als parlamentarischer Staatssekretär im BMBF:

„Da hatte die von Sattelberger vorangetriebene Gründung der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) einen weiteren empfindlichen Rückschlag erlitten. Schon vor Wochen hatte das Finanzministerium von Christian Lindner (ebenfalls FDP) initiiert, dass vom Budget für die geplante Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) dieses Jahr 15 Millionen Euro gesperrt werden sollten – bis zur Vorlage eines ’schlüssigen Konzepts‘. Gestern dann stellten die Bundestagshaushälter – unter Mitwirkung der FDP-Abgeordneten – weitere Bedingungen: Nur wenn der Haushaltsausschuss zustimme, dürfe das Geld vom Finanzministerium entsperrt werden. Sattelberger, der sich persönlich so für die DATI exponiert hatte, dürfte diese Entscheidung empört haben. War das für ihn der erreichte Punkt, von dem er heute etwas nebulös sprach? Auch der bereits 2019 gegründeten Agentur für Sprunginnovation (SPRIND) sperrte der Haushaltsausschuss in seiner Bereinigungssitzung einen erheblichen Teil der Ausgaben. Dem Vernehmen nach 20 Prozent. Sie soll es erst geben, wenn eine Evaluation der bisherigen Tätigkeit von SPRIND vorliegt – und auf der Basis ein Bericht über die geplante Weiterentwicklung.*

Von DATI halte ich auch nichts. Aber wenige Monate nach Vorstellung des Koalitionsvertrag sind solche haushaltspolitischen Bremsen bei den Innovationsvorhaben schon bemerkenswert. Wer von notwendigen Evaluationen spricht und notwendigen schlüssigen Konzepten spricht, bereitet Begräbnisse zweiter Klasse vor.

Professor Benedikt Hackl sprach vor einigen Jahren beim HR-Festival auf der re:publica von einer verhängnisvollen Zahnradlogik, die in vielen Organisationen das Tagesgeschäft dominiert. 

Es werden mit analogen und digitalen Instrumenten Regel-Befolgungs-Automaten herangezüchtet: „Fast überwunden geglaubte Herrschaftsformen leben wieder auf und verschärfen sich teilweise in Form von Benchmarking- und anderer Evaluationspraktiken. Im Grunde hat der Taylorismus nur eine andere Form angenommen und sich vertieft“, mahnt Reinhard K. Sprenger in seinem Buch mit dem vielsagenden Titel „Das anständige Unternehmen“, erschienen im DVA-Verlag.

Mitarbeiter-Bashing mit Monitoring-Systemen

Freiräume werden immer mehr eingeengt, die letztlich in massiven Freiheitsbeschränkungen münden. Was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am meisten runterzieht, sei nach Auffassung von Sprenger nicht das offene Misstrauen der Vorgesetzten: „Es ist das Pseudovertrauen, das knitterfreie, korrekt-opportune Verbalvertrauen, das mit der Forderung nach Transparenz einhergeht und sich dadurch ad absurdum führt.“

Man sagt seinem Gegenüber nicht mehr offen die Meinung, sondern versteckt die Giftpfeil-Attacken gegen Untergebene hinter Reporting- und Monitoring-Systemen. Denn Zahlen können ja nicht lügen – kleiner Scherz. 

Mit Ethik-Seminaren zum betreuten Arbeiten

Mit den Tabula rasa-Steuerungsmethoden zerschlägt man das individuelle Anderssein. Jede Abweichung von einer Norm wird pathologisiert. „Dahinter steckt eine weit verbreitete Optimierungsideologie“, so Sprenger, der von einer Pädagogisierung der Unternehmensführung spricht. Unterschiede werden über das Personalmanagement wegtherapiert. Übrig bleibt eine geschmeidige Formmasse, die einer Sekte sehr nahe kommt. Dazu zählt Sprenger auch Mitarbeiterbefragungen, Ethik-Seminare oder ganzheitlich-idiotische Feedback-Rituale, die zur Entmündigung des Menschen beitragen. Übrig bleibt „betreutes Arbeiten“.  Es werden immer mehr Distanzen und Freiräume verschüttet, die sich mit menschlichem Anstand nicht vereinbaren lassen. Die Distanzlosigkeiten werden als solche oft gar nicht wahrgenommen und falls doch, werden sie als Fürsorge und Hilfe interpretiert. „Aber der Preis ist hoch. Man lebt wie unter einer Glasglocke“, führt Sprenger im Welt-Interview aus. 

Mechanistisches Denken in der Wissenschaft und im Management 

Hinter den „Managementmoden“ steckt nicht Ansicht von Professor Rupert Hagenzagl ein mechanistisches Verständnis der Wirtschaftswelt: „Diese an die Naturwissenschaften angelehnten simplen Organisationsvorstellungen sind aber auch Grundlage der Betriebswirtschaftslehre und des Bürokratismus.“

Aufgrund der extremen Vereinfachungen, besonders bei der Abbildung sozialer Realitäten, sei die BWL aber nicht in der Lage, komplexe soziale Vorgänge auch nur annähernd abzubilden. Die Einfachheit des Organisationsverständnisses der BWL macht sie für die Prediger von Managementmoden so attraktiv. „Das umso mehr, als das Weltbild der mechanistischen Theorien sich gut mit der atheoretischen Praxis deckt. Auf der Strecke bleiben Manager, die versuchen, überwiegend auf Basis der BWL-dominierten akademischen Managerausbildung ihre Unternehmen zu steuern“, kritisiert Hagenzagl. Die dürftige theoretische Durchdringung des ökonomischen Geschehens mit pseudo-rationalen Modellen kompensieren Führungskräfte mit dem Einsatz von Macht und steigern damit die Bürokratisierung ihrer Organisationen. 

In Lehre, Praxis und in der Politik dominieren Aufzählungs-Friedhöfe, moniert Axel Gloger in seinem Opus „Betriebswirtschaftsleere – Wem nützt die BWL noch?“. Je stärker das Kästchendenken die Regentschaft in Organisationen prägt, desto geistloser funktioniert das System. In diesem Sperrgut der Leerformeln gedeihen Kontroll-Biotope, Misstrauen, ermüdende Rechtfertigungs-Meetings und gefälschte Erfolgsmeldungen.   

Akademisches Wissen und eine Ausbildung, die eine Profession begründen, fehlen dem Management, so das ernüchternde Resümee von Hagenzagl: „Würden Sie zu einem Arzt gehen, der im Vorberuf Fleischhauer war und dann vielleicht in drei einwöchigen ‚Arzt Development-Ausbildungen’ Praxisvorstellungen vermittelt bekommt? Für Manager inmitten ihrer komplexen Umwelt ist eine derartige Karriere aber leider viel zu häufig Realität.“ 

Das gilt übrigens auch für jene Zeitgenossen, die sich als digital-transformatorisch-darwinistische Bühnenredner in Szene setzen. Auch sie singen das BWL-Lied der Optimierung und der Effizienz-Hubererei. Es ist altes Denken in digitalen Schläuchen, so der Einwand von Ole Wintermann von der Bertelsmann-Stiftung. 

Wo lernt man Disruption?

Der ökonomische Mainstream – ob nun in der BWL oder in der VWL – versagt kläglich bei der theoretischen Fundierung von Entwicklungsdynamiken. Und das ist nach dem Philosophen Immanuel Kant eben keine gute Theorie – eine Theorie mit der sich praktisch arbeiten ließe, um Entwicklung zu fördern. 

Die herrschende ökonomische Lehre bietet nichts an, um Entwicklungsprozesse zu erklären oder anzustoßen: „Sie ist leer und nichtssagend, soweit sie richtig ist, und falsch, soweit sie etwas sagt“, schreibt der Joseph Schumpeter in seiner Entwicklungstheorie vor über hundert Jahren. In dieser Sichtweise dominiert das Routineunternehmen:

„Es ist das Anwenden dessen, was man gelernt hat, das Arbeiten auf den überkommenden Grundlagen, das Tun dessen, was alle tun. Auf diese Art wird nie ‚Neues‘ geschaffen, kommt es zu keiner eigenen Entwicklung jedes Gebietes, gibt es nur passives Anpassen und Konsequenzenziehen aus Daten“, bemerkt Schumpeter. 

Kein Unternehmen könne dauerhaft existieren und keine Volkswirtschaft den Lebensstandard ihrer Bürger erhalten, geschweige denn erhöhen, wenn nur die Kosten verringert, aber keine neuen Märkte mit neuen Gütern erschlossen werden, warnt der Schumpeter-Forscher Jochen Röpke:

„An welchen Universitäten, in welchem MBA-Programm lernt man Disruption? Und disruptiv wollen die Absolventen auch nicht tätig sein, sonst würden sie nicht in die ‚Industrie’ gehen, sondern ihr eigenes Unternehmen hochziehen. Ihr universitäres Wissen ist ausgerichtet auf die Problemfälle inkrementellen Managements“, schreibt Röpke in seinem Buch „Reisen in die Zukunft kapitalistischer Systeme (Co-Autor Ying Xia). Wirkliche Innovationen, Neukombinationen und umwälzende technische Erfindungen gehen in erster Linie von neuen Unternehmen aus. Und nicht von der Bundesregierung. Mit dem Evaluationsbürokratismus für Innovationen habe ich ja eine schöne Steilvorlage bekommen für meinen Vortrag bei D2030.

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