
In Anlehnung an Wladimir Iljitsch Lenin besagt ein altes Bonmot aus obrigkeitsstaatlichen Tagen, die Deutschen lösten, bevor sie die Revolution proben, erst einmal eine Bahnsteigkarte. Als CDU-Generalsekretär machte Heiner Geißler darauf aufmerksam, dass es bei Revolutionen gar nicht mehr darauf ankomme, Bahnhöfe oder Telegrafenämter zu besetzen. Viel wichtiger sei es, Begriffe und Gedanken zu bestimmen. „Denn nicht die Taten sind es, die die Menschen bewegen, sondern die Worte über die Taten“, so Geißler. Das war in den 1970er Jahren. Wir können das Framing, Narrative, Storytelling, Streben nach kultureller Hegemonie, Rhetorik, Kunst der Verstellung, Sophismus, Fama oder wie auch immer nennen. Wohl immer haben Menschen versucht und werden es in Zukunft versuchen, über Kommunikation bestimmte Ziele zu erreichen und dafür auch Techniken der Manipulation einzusetzen.
Als CDU-Generalsekretär hatte Kurt Biedenkopf 1973 seiner Partei den guten Rat erteilt, die “Sprache als ein wichtiges Mittel der Strategie” einzusetzen. Ähnlich formulierte es damals auch sein Parteifreund Gerhard Mahler, baden-württembergischer Wahlkampfleiter und Staatssekretär beim Ministerpräsidenten. Die Sprache der CDU sei zu langweilig und pomadig. Man müsse sich um die semantische Qualität der Aussagen kümmern.
“Unter dem anspruchsvollen Namen ‘Projektgruppe Semantik’ sammelte der gelernte Wirtschaftswissenschaftler Mahler Philologen, Marketing-Fachleute und Journalisten, um prominenten CDU-Politikern Formulierungshilfen für bessere Reden an das Wählervolk zu leisten. Bei der Lektüre von John F. Kennedys Reden und einer Roosevelt-Analyse des Politologen Waldemar Besson war Mahler die Bedeutung griffiger Kurzformeln für den Erfolg von Politikern aufgegangen”, schreibt der Spiegel.
Wie kommen Begriffe und Zeichen an
Auch in der CDU-Bundesgeschäftsstelle beherzigten junge Parteifunktionäre die Aufforderung von Biedenkopf, sich an der “Revolution der Gesellschaft durch die Sprache” zu beteiligen. “Um den Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, Peter Radunski, und den Planungsreferenten des Konrad-Adenauer-Hauses, Warnfried Dettling, formierte sich ein Arbeitskreis, der das Sprachdefizit der Christdemokraten beseitigen will. Dettlings Devise: ‘Wir müssen fragen. wie bestimmte Begriffe, Zeichen überhaupt, ankommen und bewertet werden'”, so der Spiegel in einem Bericht aus dem Jahr 1974.
Biedenkopf und der rastlose Wahlkampf-Macher Radunski waren für die Aufgabe wissenschaftlich vor geprägt. Der eine als Gründungsdirektor der Ruhr-Universität und der andere im RCDS. Im Einstellungsgespräch von Radunski sagte Biedenkopf: Man müsse sich im Rahmen der Trias Wissenschaft, Wirtschaft und Politik in seinen Lebensplänen bewegen. Radunski wiederum betonte die Verbindung von wissenschaftlicher Betrachtung und praktischer Politik. Als Heiner Geißler 1977 CDU-Generalsekretär wurde, intensivierte sich der methodische Stil der Kommunikation durch den asketischen Arbeitsstil des Jesuiten Geißler. Um ihn bildete sich ein Kreis mit verschiedenen Temperamenten und Kompetenzen: Der Pressesprecher Jürgen Merschmeier, die politischen Denker Wulf Schönbohm und Warnfried Dettling (Nachfolger war Wilhelm Staudacher) als Hauptabteilungsleiter Politik und natürlich der Berliner Dynamo Peter Radunksi. Letzterer hatte übrigens eine Vorliebe für Niccolò Machiavelli, Geißler für den revolutionären Kämpfer Girolamo Savonarola. Sine ira et studio (lat. ohne Zorn und Eifer) lautete die Maxime, mit der die Polit-Strategen Entwürfe für Reden und Kampagnen konzipierte: Neues und Zugespitztes entstand, Konter wurden überlegt. Etwa als Helmut Schmidt die Union im Bundestag als “Kriegstreiber” und als “Sicherheitsrisiko” einstufte. Der Planungsstab der CDU-Bundesgeschäftsstelle reagierte mit Plaketten, die die Aufschrift “Ich bin ein Sicherheitsrisiko” trugen. “Verstärkt wurde diese Maßnahme natürlich auch durch Flugblätter, Anzeigen und Plakate. Unsere massive Reaktion hat Schmidt so sehr überrascht, dass er solche Äußerungen künftig unterließ”, schreibt Radunski in seinem Buch “Aus der politischen Kulisse”.
#WirsinddieBots
Ähnlich wirksam sind die Reaktionen auf die Einlassungen des CDU-Europaabgeordneten Sven Schulze:
“Jetzt kommen wieder sekündlich Mails zum Thema #uploadfilter & #Artikel13 rein. Mal ganz davon abgesehen, dass diese inhaltlich nicht richtig sind, stammen ALLE von #Gmail Konten.

Mensch #google, ich weiß doch das ihr sauer seid, aber habt ihr diese #fake Aktion wirklich nötig?”
Mit dem Slogan #WirsinddieBots wird die Union in der Urheberrechtsdebatte kräftig durch den Kakao gezogen. Zu recht. Kluge Konter dürften der Union beim Bruch des Koalitionsvertrages schwer fallen. An den von mir erwähnten Beispielen wird ersichtlich, dass durchdachte semantische Strategien im politischen Meinungsstreit nichts Neues und auch nichts verwerfliches sind. Das ist Tagesgeschäft, das wird in jedem Wahlkampf und in jeder wichtigen politischen Auseinandersetzung gemacht.
Polit-Kampagnen als High-Tech-Geschäft
Polit-Kampagnen sind mittlerweile ein High-Tech-Geschäft mit hohem Tempo. Schlagkraft wird in der neuen deutschen Polit-Profi-Szene in „K“ gemessen: Kampagnenfähigkeit. Längst glaubt ja keiner mehr daran, dass sich Politiker und Organisationen wie Waschmittel nur mit bunten Bildern und Wort-Seifenblasen glaubwürdig verkaufen lassen. Zu groß ist das Misstrauen der Wählerinnen und Wähler, zu aggressiv und feindselig die Grundstimmung, zu hart vor allem die Konkurrenz wechselnder Themen und Trends, mit der das Publikum nicht nur informiert, sondern auch unterhalten werden will, zu schnell der Nachrichten-Rhythmus.
Wer nicht nur ratlos zusehen will, wie andere täglich eine neue Themensau durchs Dorf treiben, der muss eben kampagnenfähig sein. Man muss seine Truppen ordnen und zur strikten kommunikativen Disziplin verdonnern, Kampffronten und Themendiskussionen strategisch planen, auch bei Störfeuer und Meuterei in den eigenen Reihen konsequent durchmarschieren und Scharmützel nur taktisch einsetzen, wenn sie dem strategischen Ziel dienen.
Der SPD ist das 1998 letztmalig gelungen mit der Wahlkampf-Truppe “Kampa” – da waren die mal gut. Das Strategiekonzept konzentrierte sich damals auf die Leitmedien und den Medientenor.
Die SPD gewann die Wahl, weil sie hinreichend viele Wähler davon überzeugen konnte, sie habe die geeigneten Konzepte, um gleichzeitig Arbeitsplätze und gerecht verteilten “Wohlstand für alle” zu schaffen. Die Rhetorik bestand darin, Maßnahmen zum Thema zu machen, die ohne Folgen für Einkommen, Anforderungen und Sozialleistungen seien. Für diese Botschaft eignete sich der Slogan “Bündnis für Arbeit – Innovation und Gerechtigkeit schmieden” aus dem SPD-Programm. Die Wählerschaft glaubte der SPD-Kampagne, man könne an “Runden Tischen” Arbeitsplätze schaffen und die Gesellschaft dabei gleichzeitig auch noch innovativer und gerechter machen. Die SPD-Formel war so eingängig, dass im Westen 30, und in Mitteldeutschland 43 Prozent der Bürger einen sanften Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus befürworteten.
Die “Kampa” hatte eine einfache und zweckmäßige Struktur mit klar definierten Aufgaben für die verschiedenen Abteilungen: Presse/Medien, Meinungsforschung, Finanzcontrolling, Gegnerbeobachtung, und die Aktion “32 Wahlkreise”. In der “Kampa” arbeiteten etwa 70 Mitarbeiter. Insgesamt engagierten sich mehr als tausend Mitarbeiter aus der Parteizentrale, aus der Fraktion, den Ländern, Schulen, Universitäten und Medien in Vollzeit für einen SPD-Wahlsieg. Neben den Parteiorganen stellte die SPD der “Kampa” acht Partneragenturen zur Seite.
Das Drehbuch der Gegenseite
Es gehört mittlerweile zum Standard, das „Drehbuch der Gegenseite“ zu kennen und entsprechende Gegenmaßnahmen vorzuhalten. So ist es wohl auch völlig in Ordnung, die Strategien der Rechtspopulisten genau unter die Lupe zu nehmen: Etwa das Kampagnen-Konzept “Wer nicht zum wahren Volk zählt, gilt als Verräter”. Erfolgreiche Populisten unterschiedlicher Couleur sind Meister der Inszenierung und bauen auf die Reflexe einer Öffentlichkeit, die in immer kürzeren Intervallen auf die theatralische Regie der Populisten reagiert. Schaut man in das Hauptwerk „Strategeme“ des Sinologen Harro von Senger, der die berühmten 36 Strategeme der Chinesen aus drei Jahrtausenden darlegt, ist dieses Vorgehen kein neues Phänomen. Etwa das Strategem Nummer Sieben: „Aus einem Nichts etwas erzeugen“ – etwas aus der Luft greifen; etwas Erfundenes als Tatsache ausgeben (neudeutsch: Fake-News); Gerüchtefabrikation; Verleumdungs- und Lügenkampagne („Merkel muss weg“); Diffamierungstaktik; Aufbauschungsmanöver.
Teflon-Strategie der Populisten
Was die populistischen Gedankenkonstrukteure dabei bedienen, folgt einer psychologischen Funktion: Sie reduzieren die Komplexität der Wirklichkeit und schaffen eine einfache Struktur im Kopf. Als Projektionsfläche der Vereinfachung dienen Sündenböcke und Dämonen, die man für alles Böse, Unverständliche und Ungerechte verantwortlich macht. Die Identität der eigenen Gruppe erzielt man dabei mit dem David-gegen-Goliath-Erzählmuster. Für zufällige Ereignisse, für unvorhersehbares Handeln, für menschliche Fehler oder komplizierte Verfahren ist dabei kein Platz. Stets gibt es nur eine einzige Ursache, die als Beweis für das dunkle Spiel eines übermächtigen Gegners herangezogen wird. Jeder Gegenbeweis wird als Fälschung tituliert, jeder fehlende Beleg ist ein Indiz für eine absichtliche Unterschlagung. Mit dieser Teflon-Strategie wollen sich Populisten unangreifbar machen.
In der nationalistischen Variante, die wir bei den Populisten in Europa und den USA erleben, kommt noch eine weitere Taktik hinzu: Sie behaupten: „Wir sind das Volk.“ Sie meinen jedoch: „Wir – und nur wir – repräsentieren das Volk.“Nachzulesen in dem lesenswerten Essayband „Was ist Populismus“ von Jan-Werner Müller. Damit werden alle, die anders denken, als illegitim abgestempelt, „ganz unabhängig davon, mit wie viel Prozent der Stimmen ein offizieller Volksvertreter ins Hohe Haus gewählt wurde“, so Müller.
Populisten seien zwangsläufig antipluralistisch; wer sich ihnen entgegenstellt und ihren moralischen Alleinvertretungsanspruch bestreitet, gehört automatisch nicht zum wahren Volk. „Das mag wie eine Banalität klingen, ist aber von entscheidender Bedeutung in Auseinandersetzungen mit Populisten, die behaupten, den Willen des Volkes zu repräsentieren und zu vollstrecken – in Wirklichkeit jedoch eine symbolische Repräsentation des angeblich ‚wahren Volkes’ instrumentalisieren, um demokratische Institutionen, die dummerweise nicht von Populisten dominiert werden, zu diskreditieren“, führt Müller weiter aus.
Vereinnahmung des “Volkes”
Populismus ist demnach eine ganz bestimmte Politikvorstellung, die ein imaginäres Volk als moralisch rein und homogen definiert und gegen unmoralische, korrupte und parasitäre Dunkelmänner und Dunkelfrauen in verschiedenen Institutionen in Position bringt. Wer diese anmaßende Vereinnahmung des „Volkes“ in Frage stellt, wird kurzerhand vom „einzig wahren Volk“ abgetrennt. Das reicht von der Lügenpresse bis zur „Volksverräterin“ Merkel.
Populisten interessieren sich nicht für plurale Willensbildung, für das langwierige Bohren dicker Bretter bei der Bewältigung von Problemen; ihre Kritik gilt auch nicht dem Prinzip der politischen Repräsentation. Ihre Agitation richtet sich gegen die amtierenden Repräsentanten, die angeblich nicht die Interessen des „Volkes“ vertreten.
Da niemand sagen kann, wo die Interessen eines jeden Einzelnen liegen, sind populistische Demagogen an Teilhabe, Offenheit und Pluralität überhaupt nicht interessiert. Sie geben sich als die Kenner des wahren Volkes aus und hebeln jeden aus, der sich ihnen in den Weg stellt. Wer sich den Populisten nicht anschließt, wird ausgeschlossen. Wer Volk sagt, meint in Wahrheit Ent-Individualisierung und sogar Ent-Menschlichung, die bis zur Inhaftierung und Beseitigung aus dem öffentlichen Leben reichen kann. Populisten sind keine Problemlöser, sie nutzen Probleme, um das politische System zu destabilisieren. Wer das durchschaut, sollte klüger vorgehen – im Journalismus, im politischen Diskurs und in seinem Verhalten im Social Web. Und auch bei der Formulierung von Gutachten im Auftrag der ARD.
Mit heißer PR-Framing-Luft kommt man jedenfalls nicht weiter:
“Das Berkeley International Framing Institute hat übrigens institutionell nichts mit der berühmten Universität zu tun – der Name des Instituts ist eher ein Fall von geschicktem Framing. Und Wehlings Erfolg, Begriffshirnwäsche als Kognitionswissenschaft zu verkaufen, dürfte jeden Sophisten vor Neid erblassen lassen”, schreibt Ijoma Mangold in der aktuellen Ausgabe der Zeit.