
Nachhaltigkeit gehört aktuell zu den Top-Themen in den deutschen Chefetagen. Nach einer Studie der HypoVereinsbank sehen 67 Prozent der Mittelständler die Entwicklung von nachhaltigen Geschäftsmodellen als wichtige Herausforderung. Dazu gehören auch die ab 2023 geltenden Nachhaltigkeitsberichtspflichten für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern. Wichtigster Treiber: Der Kapitalmarkt!
„Das schärfste Schwert sind die Finanzen. Wenn sie nicht in Nachhaltigkeit investieren, bekommen Unternehmen kein Kapital, keine Kredite und keine guten Rankings mehr….. Unternehmen werden nachhaltig oder sie verschwinden“, warnt Professor Rupert Felder, Personalchef der Heidelberger Druck AG, im Sohn@Sohn-Interview.
Wir diskutierten das in einer Expertenrunde. Teilnehmer: Christian Traumann, Geschäftsführender Direktor Multivac; Harald Suchanka, CEO Handtmann Filling & Portioning; Bernd Eßer, Mitglied des Vorstands BALPro + CEO Berief Food; Friedrich Büse, Founder & Partner Endori; Angela Julie WADENPOHL, Reset Yourself.
Der größte Handlungsdruck entsteht durch institutionelle Anleger, die auf Nachhaltigkeit setzen, wie beispielsweise der weltweit größte Finanzinvestor BlackRock. Das Unternehmen hat klare Richtlinien etabliert, um Nachhaltigkeit in die Investitionsentscheidungen einzubauen. Der Investor berücksichtigt ESG-Kriterien bei der Bewertung potenzieller Investments. So haben Vertreter des Investors im Jahr 2020 auf den Hauptversammlungen von Unternehmen mangelnde Nachhaltigkeit kritisiert und gegen den Jahresbericht gestimmt. Es geht dabei in erster Linie nicht um Kosten, sondern um strategische Investitionen in die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens zu betrachten. These: Nachhaltigkeit und Digitalisierung gehen Hand in Hand. Mit verantwortungsvoller Digitalisierung lässt sich die Nachhaltigkeit beschleunigen, beide Themen gemeinsam erschließen neue Wertschöpfungsquellen.
7 von 10 Verbrauchern suchen gezielt nachhaltige Produkte und erwarten Transparenz über die CO2- Bilanz. Nachhaltige Investments entwickeln sich dynamisch. Drei Viertel der Anleger bevorzugen Fonds mit einer besseren CO2-Bilanz und erhoffen sich davon auch bessere Renditen. Die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit kommt auch aus den Unternehmen selbst. Häufig sind es die jüngeren Mitarbeiter und Bewerber, die zum Beispiel Mobilitätskonzepte fordern.
Regulierung sorgt für sofortigen Handlungsbedarf in Unternehmen
Die „EU Corporate Sustainability Directive” erweitert die Berichtspflichten von Unternehmen ab 250 Mitarbeitern um Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen sowie die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung. Bei Nichterfüllung des Gesetzes drohen Bußgelder von bis zu 10 Mio. Euro. Auch das Lieferkettengesetz kennt empfindliche Bußgelder von 100.000 bis 800.000 Euro. Mit der EU-Taxonomie kann sich der Kapitalmarktzugang für nicht konforme Unternehmen erschweren.
Eine wichtige Neuerung: Der Nachhaltigkeitsbericht muss Bestandteil des allgemeinen Lageberichts sein und darf nicht getrennt veröffentlicht werden. Außerdem reicht die Veröffentlichung als PDF oder Druckwerk nicht, er muss den Behörden in digitaler Form im ESEF-Datenformat zugänglich gemacht werden. In seinem Inhalt muss der Bericht einer doppelten Wesentlichkeitsperspektive („Double Materiality”) folgen. Unternehmen müssen also erstens die Auswirkung von Nachhaltigkeitsaspekten auf die wirtschaftliche Lage festhalten und zweitens die Auswirkungen des Geschäftsbetriebs auf Nachhaltigkeitsaspekte verdeutlichen. Zudem fordert die neue Richtlinie Angaben zu Nachhaltigkeitszielen, der Rolle von Vorstand und Aufsichtsrat, nachteiligen Wirkungen des Unternehmens und nicht bilanzierten immateriellen Ressourcen. Bestehende Technologien können lediglich etwa 65 Prozent der für das Netto-Null-Ziel erforderlichen Emissionen reduzieren. Einen wichtigen Beitrag leisten deutsche CleanTech Startups und „Twin Transformer”. Sie verknüpfen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Nachhaltigkeit wird ab 2023 verpflichtend. Das macht ein Strategie-Update notwendig, um Nachhaltigkeit in den KPIs zu verankern, Transparenz und Compliance zu erreichen. Smart Analytics identifiziert Emissionsquellen, erfüllt Berichtspflichten und gibt Hinweise zu
Reduktionsstrategien. Intelligentes Ressourcen-Management und transparente Lieferketten gibt es nur mit digitalen Technologien.
Herausforderungen: „In zehn bis 15 Jahren gibt es keinen Maschinenbau mehr in Deutschland, wenn die Unternehmen nicht auf serviceorientierte, digitale Geschäftsmodelle umsteigen. Diese Geschäftsmodelle sind die eigentliche Innovation. Doch das digitale Denken in As-a-Service Modellen ist noch nicht überall vorhanden“, so Professor Michael Braungart. Wir diskutieren das in einem Roundtable am 17. Januar in Bonn:
Das CO2-Einsparpotenzial ist in einzelnen Bereichen unterschiedlich. Hohes Potenzial gibt es bei der Industrieproduktion, im Bereich Mobilität und Logistik und bei Gewerbegebäuden. Eine beispielhafte Erkenntnis aus der Bitkom-Studie: Das Einsparpotenzial durch Digitalisierung der Fertigung liegt bei 64 Megatonnen CO2-Äquivalent – rund 17 Prozent des Gesamtziels. Vor allem der Einsatz von Digital Twins ist wirkungsvoll. Digitale Zwillinge simulieren Produkte, Maschinen und Anlagen, sodass Planung und Steuerung einfacher werden. Sie verbessern die Produktionsqualität, senken die Durchlaufzeit und reduzieren den Ressourceneinsatz. Durch Optimierungen mit ihren Ergebnissen werden CO2- Emissionen, Energie- und Wasserverbrauch, der Einsatz von Chemikalien und die Abfallmenge systematisch reduziert.
Remote Design und digitale Produktentwicklung steigern Ressourceneffizienz. Ein wichtiger Trend ist Remote-Design, bei dem Prototypen und Vorserienprodukte zunächst einmal am Computer simuliert werden. Diese Form des Designs senkt den Materialverbrauch der Entwicklung. In der Autoindustrie ist Remote-Design üblich und sogar die Crashtests werden nur ganz am Ende der Entwicklung aufgrund gesetzlicher Anforderungen in der Realität umgesetzt; die meisten Tests geschehen im Computer.
Der Einsatz von 3D-Druckern ist einer der wichtigen Nachhaltigkeitstrends in der gesamten Industrie. Die schnelle und individuelle Fertigung erzeugt eine höhere Kundenbindung und -zufriedenheit. Da der Materialaufwand geringer ist, gibt es weniger Verschnitt und Nachbearbeitung. Werden die Geräte als Ersatzteildrucker genutzt, so können defekte Maschinenteile ausgetauscht und eine längere Lebensdauer erreicht werden – mit den entsprechenden Effekten auf die Nachhaltigkeit. Als digitales Lager oder in der On-Demand-Produktion sorgen 3D-Drucker dafür, dass Lagerflächen eingespart werden.
Partnerschaftsmodelle und Wertschöpfungsnetzwerke steigern Ressourceneffizienz. Das Ziel neuer Geschäftsmodelle ist, Kunden und deren Daten mit Partnern zu teilen. So entstehen Synergie-Effekte, die zu Innovationen führen. Die Ressourceneffizienz des eigenen Geschäftsmodells steigt, wenn Zulieferer und Geschäftspartner in die Nachhaltigkeitsstrategie einbezogen werden. Der Sustainable Twin erweitert die Idee des digitalen Zwillings auf Aspekte der Nachhaltigkeit. Wie der digitale Zwilling ist auch der Sustainable Twin das virtuelle Ebenbild eines physischen Produktes. Über Daten- und Informationsverbindungen sind beide Objekte, also Original und Zwilling, miteinander verbunden. Der Sustainable Twin sammelt über den gesamten Produktionszyklus hinweg Informationen zum Produkt und begleitet sein physisches Gegenstück während des gesamten Wertschöpfungsprozesses. Die Digitalisierung bewirkt eine Dematerialisierung und senkt damit den Ressourcenverbrauch. Durch Remote Services entfallen manche Dienstreisen, digitale Zwillinge sparen Material bereits im Entwurfsstadium und vereinfachen Schulungen ebenso wie den Vertrieb. Insgesamt geht es nicht um Kosten, es geht um Innovationen!
Die Rolle des Kapitalmarktes ist für die Entfaltung von Nachhaltigkeitsstrategien wohl wichtiger als die Nabelschau-Rhetorik des Staates.
Siehe auch:
Das Problem von Blackrock-Boss Larry Fink
Feine Aktion: Supermarkt Netto bringt Balkonkraftwerk
Man hört, sieht und streamt sich am 17. Januar in Bonn.