HR-Trends 2022 auf Basis der Analysen von Professor Karlheinz Schwuchow auf der Zukunft Personal Europe in Köln

Ein Trend, der sich klar abzeichnet, ist ein Mehr an Flexibilität. In der Krise haben wir einen Pragmatismus erlebt, wie wir ihn in Deutschland nicht erwartet hätten. Das sollten wir uns erhalten und nicht die Uhr zurückdrehen. Unbürokratisches Homeoffice, flexible Handhabung von Arbeitszeit und virtuelle Betriebsratsarbeit sind nur einige Beispiele. Aber auch ein Mindset, das offen war für digitale Tools und neue Arbeitsweisen, hat uns durch die Krise getragen. Dass wir alle heute mit verschiedensten Videokonferenz- und Kollaborations-Tools umgehen können, ist kein Verdienst lang geplanter Weiterbildungskonzepte. Es waren die Umstände, die uns einen Schub gegeben haben.

Unzufriedenheit mit Führung durch Fehler im System

Die Unzufriedenheit der Mitarbeiter mit ihrer Führung trägt stark zur schon fast grundsätzlich negativen externen und internen öffentlichen Meinung der realen Führungspraxis bei. Hinzu kommt, dass praktisch jede im Arbeitsprozess stehende Person Anekdoten schlechter Führungspraxis zum Besten geben kann – durch eigenes Erleben oder auch nur von realen Geschichten aus der Frühstückspause«. Diese oftmals unglaublichen High-Lights werden der gesamten Führungs-Wirklichkeit jedoch kaum gerecht. Es ist erkennbar, dass die Bewertung von Führung allzu oft auf den Faktor Mitarbeiter(un)zufriedenheit reduziert wird. Tatsächlich wird eine derartig einseitige Betrachtungsweise dem komplexen Ziel- und Aufgabenbündel der einzelnen Führungskräfte kaum gerecht. Dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter einen Einfluss auf deren Motivation und Leistungsbereitschaft hat, ist zweifelsfrei Konsens. Inwieweit Führungsverhalten aber ursächlich für das Befindlichkeits-Level der Mitarbeiter und deren (Un-) zufriedenheit ist, wird selten hinterfragt.

Die wichtigsten Herausforderungen für die Hidden Champions 

Demografischer Wandel und wachsender Fachkräftemangel sind neben Globalisierung und Digitalisierung die aktuellen Kernherausforderungen, deren erfolgreiche Bewältigung Gegenstand dieses Buches ist. Auch in Krisenzeiten zeigen die Hidden Champions eine bemerkenswerte Resilienz und sind daher ein wesentlicher Pfeiler der Robustheit der deutschen Wirtschaft im internationalen Vergleich. Mit der Ausnahme von China weist kein anderes Land ein derart hohes Industrialisierungsniveau auf und konnte sich dem Trend der Deindustrialisierung bislang erfolgreich entziehen. So sind denn auch 46 Prozent der von Hermann Simon identifizierten 3.406 mittelständischen Weltmarktführer in Deutschland angesiedelt.

Aktuell nehmen Vernetzung und Kooperation im Rahmen von Business-Ökosystemen zu, es entstehen Netzwerkorganisationen, in der Unternehmen ihre Fähigkeiten gemeinsam nutzen, um Innovationen voranzutreiben, neue Produkte auf den Markt zu bringen oder Kundenbedürfnisse besser zu befriedigen – so zum Beispiel die Kooperation von Trumpf (Laser), Zeiss (Optik) und ASML (Lithografiesysteme für die Halbleiterindustrie) (vgl. Beitrag Simon in diesem Buch und Simon 2021). Im Mittelpunkt stehen stets ein klares Zukunftsbild, bestimmt durch Langfristorientierung und unternehmerische Verantwortung, und der Mut zur konsequenten Fokussierung auf die eigenen Kernkompetenzen.

Die Führungskräfte vermitteln Klarheit und Orientierung. Sie stehen für eine positive Führungskultur und entfesseln intrinsische Motivation, indem sie im Sinne von Management by Objectives auf das Ziel fokussieren, nicht auf das Wie der Aufgabenerledigung. Dies geht mit einem aktiven Empowerment und wachsender Verantwortung der Mitarbeiter für das eigene Handeln einher. Diese partnerschaftliche Führung erfordert in starkem Maße die Fähigkeit zur Selbstreflektion und zum Erkennen eigener Denk- und Handlungsmuster. Die von Jim Collins im Rahmen seines Buches „Der Weg zu den Besten“ herausgearbeiteten Persönlichkeitskriterien großartiger Führungskräfte stimmen hiermit überein. Die von ihm identifizierten Level-5 Führungskräfte sorgen durch eine Kombination von persönlicher Bescheidenheit und entschlossener Durchsetzungskraft für nachhaltige Spitzenleistungen. Der Unternehmenserfolg steht für sie über ihren individuellen Zielen. Wie am Beispiel der Unternehmen Knauf und Trumpf deutlich wird, hat sich ein Wandel von der Rolle der Führungskraft als Entscheider zur Führungskraft als Coach vollzogen. Es geht darum, erfolgreich in Spannungsfeldern zu navigieren und Einfluss zu nehmen, statt Macht auszuüben. Auch auf den unteren Führungsebenen gibt es Veränderungen im Selbstverständnis

Die Mitarbeitergewinnung und die Mitarbeiterbindung stellt eine der größten Herausforderungen dar. Mit der geburtenstarken Generation der Babyboomer scheidet bis zum Ende des Jahrzehnts in zahlreichen Unternehmen mehr als ein Viertel der Belegschaft aus, gleichzeitig geht die Erwerbsbevölkerung zurück und es fehlen die notwendigen Nachwuchskräfte. Zusätzlich belasten die Hidden Champions die sinkende Attraktivität einer beruflichen Ausbildung zugunsten eines akademischen Studiums sowie ihre Standorte in oftmals sehr ländlichen Regionen. Letzteres haben Unternehmen wie Zeppelin oder ottobock mit Blick auf die Rekrutierung von nationalen und internationalen Top Talenten durch die Einrichtung von Technologielaboren in Berlin gelöst. Mit dualen Studiengängen, die Studium und Berufsausbildung verbinden, sprechen mittlerweile nahezu alle Unternehmen gezielt Abiturienten an. Für Hochschulabsolventen werden Traineeprogramme als Instrument der Mitarbeiterentwicklung und -bindung angeboten. 

Auch ermöglichen die Fokussierung der Geschäftstätigkeit sowie die vergleichsweise geringe Größe der Hidden Champions eine im Vergleich zu Großunternehmen schnellere Übernahme von Verantwortung, gleichzeitig eröffnet die globale Präsenz zeitnahe internationale Perspektiven. So bieten die Unternehmen einerseits eine familiäre Arbeitsatmosphäre mit hohem individuellem Gestaltungsspielraum, andererseits ein dynamisches internationales Umfeld. 

Um die Arbeitgeberattraktivität zu steigern, investieren die Unternehmen in das Employer Branding, wobei die Mitarbeiter die wichtigsten und authentischsten Botschafter der Arbeitgebermarke darstellen. Gleichzeitig gewinnen im Rahmen des Recruiting die direkte und persönliche Ansprache sowie Mitarbeiterempfehlungen im Sinne des Active Sourcing an Bedeutung. Dabei setzen Hidden Champions auf in gleicher Weise zielgruppenspezifische und persönliche wie schnelle und effiziente Rekrutierungsprozesse. Hinzu kommen individuelle und bedarfsgerechte Entwicklungsmöglichkeiten, um vorhandene Talente zu halten und Potenziale zu fördern. Hier vollzieht sich ein Wandel von der fürsorglichen Personalentwicklung zur Befähigung der Beschäftigten als interne Kunden, ihren eigenen Qualifizierungsbedarf vorausschauend zu erkennen, aus Eigeninitiative die richtige Maßnahme zu wählen und selbstorganisiert zu lernen. 

Im Zuge der Individualisierung von Lernpfaden gewinnen kollaborative und digitale Lernformen an Bedeutung. Die Personalentwicklung versteht sich zunehmend als Plattformbetreiber und Vermittler, um das jeweils individuell passende Angebot zu finden. Die Grundidee der Lernenden Organisation wird durch ein das Lernen verstärkendes Führungsverhalten und das arbeitsintegrierte Lernen – Mitarbeiter schulen Mitarbeiter – unterstrichen. Es strebt die individuelle Reife des einzelnen Mitarbeiters im Sinne der Personal Mastery an. 

Lebensphasenorientierte Personalentwicklung, systematische Nachfolgeplanung und der Aufbau von Potenzialpools sind weitere Maßnahmen. Hier lassen agile Arbeitsweisen latente interne Mitarbeiterpotenziale Mitarbeiterpotenziale sichtbar werden und helfen, die Hidden Champions unter den Beschäftigten im Unternehmen zu entdecken. Angesichts der Know-how-Intensität der Unternehmenstätigkeit ist das Wissensmanagement von grundlegender Bedeutung, insbesondere mit Blick auf die Sicherung des impliziten Erfahrungswissens beim Ausscheiden langjähriger Mitarbeiter. Auch hier zeigen die Hidden Champions, dass dies mit einer hoch motivierten Mannschaft ohne Stabsstelle und entsprechende Regelwerke funktioniert.

Karlheinz Schwuchow ist seit 1999 Inhaber der Professur für Internationales Management an der Hochschule Bremen und leitet das CIMS Center for International Management Studies. http://www.hs-bremen.de/cims

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