Entbürokratisierung gelingt seit Jahrzehnten nicht so richtig: Abschaffung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein nennt der Wettbewerbsökonom Justus Haucap als mageres Ergebnis #ZukunftstagMittelstand #SchubkraftTV @haucap

In der „Station“ am U-Bahnhof Gleisdreieck in Berlin fanden sich Protagonisten aus Wirtschaft, Verbänden, Politik und Wissenschaft auf dem Zukunftstag Mittelstand des BVMW zusammen. Im Fokus der Diskussionen standen die Herausforderungen, mit denen der deutsche Mittelstand konfrontiert ist: ein undurchdringlicher Bürokratie-Dschungel und eine zunehmend marode Infrastruktur.

Professor Justus Haucap, Wettbewerbsökonom in Düsseldorf, erörterte in einer Paneldiskussion und einem anschließenden Interview mit SchubkraftTV die derzeitige Lage. Seine Diagnose fiel ernüchternd aus. Die Teilnehmer des Panels beklagten zwar die Zustände der deutschen Infrastruktur, doch viel gravierender empfanden sie die Last der Bürokratie.

Haucap schilderte, wie die Bürokratiebelastung, angefangen bei der Nachweispflicht über Zertifizierungen bis hin zur geforderten Transparenz, nicht nur die Kosten für die Unternehmen in die Höhe treibt, sondern sie zudem in einen unfairen Wettbewerb mit internationalen Konkurrenten zwingt. Besonders die neuen Regelungen zur Energieeffizienz, die neben der Nachweispflicht zusätzliche Zertifizierungen und Transparenzanforderungen mit sich bringen, stießen auf Unverständnis. Ein Unternehmer berichtete, dass seine Konkurrenten in den USA, Russland und China „sich totlachen“ würden, da er nun gezwungen ist, Unternehmensgeheimnisse preiszugeben, was nicht nur zusätzliche Kosten verursacht, sondern auch seine Wettbewerbsposition schwächt.

Doch es blieb nicht nur bei der Kritik am nationalen Bürokratieaufwand. Die EU-Taxonomieverordnung, die unmittelbare Rechtskraft in den Mitgliedstaaten entfaltet, wurde als weiteres Beispiel für regulatorische Hürden genannt, die den Mittelstand belasten. Insbesondere die indirekten Anforderungen durch die Berichtspflichten großer Unternehmen entlang der Lieferkette führen dazu, dass selbst kleinere Unternehmen in die bürokratische Pflicht genommen werden. Haucap illustrierte die Absurdität dieser Situation anhand eines Unternehmers, der zufällig ein Paket Schrauben aus Südafrika erhalten hatte und nun deren CO2-Fußabdruck nachweisen muss.

Die Diskussion offenbarte eine tiefe Frustration über den Standort Deutschland, der durch hohe Energiepreise, Steuerlasten und einen Mangel an Arbeitskräften gekennzeichnet ist. Die Bürokratie erscheint dabei als das Zünglein an der Waage, das die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstands zusätzlich schwächt.

Haucap zog Parallelen zur deutschen Fußballnationalmannschaft, deren Tiefpunkte und gelegentliche Aufschwünge er als Metapher für die Notwendigkeit kontinuierlicher Verbesserung und Anpassung an neue Gegebenheiten heranzog. Er betonte, dass Entbürokratisierungsbemühungen zwar seit Jahrzehnten auf der politischen Agenda stehen, aber nur selten in greifbare Ergebnisse münden. Als Beispiel nannte er die Abschaffung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein als eine der wenigen tatsächlich realisierten Maßnahmen seiner eigenen Vorschlagsliste zur Entbürokratisierung.

Der Vergleich mit den USA, wo der Inflation Reduction Act pragmatisch und mit enormen finanziellen Mitteln neue Impulse setzt, während in Deutschland kleinteilige Antragsverfahren und Plausibilitätsprüfungen die Innovationskraft lähmen, rundete das Bild ab. Haucap empfahl eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, die nicht nur auf eine Senkung der Körperschaftssteuer abzielt, sondern auch eine umfassende Digitalisierung und Modernisierung des öffentlichen Dienstes sowie eine grundlegende Deregulierungskommission umfasst, um den Mittelstand zu entlasten und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken.

Über laufendende Forschungsprojekte sagte Haucap:

„Ich habe mich intensiv mit der Soziologie der Kartelle auseinandergesetzt. Dabei habe ich versucht zu verstehen, welche Art von Menschen Kartelle bilden. Die ökonomische Theorie beschäftigt sich ausgiebig mit der Frage, welche Unternehmen Kartelle bilden und wie die Marktstruktur aussieht. Es zeigt sich jedoch, dass es oft von den Menschen in diesen Unternehmen abhängt, ob ein Kartell entsteht oder nicht. Um dies genauer zu untersuchen, habe ich eine Vorstudie mit einer Doktorandin durchgeführt. In unserer Studie haben wir 15 große Kartelle in Deutschland untersucht, an denen insgesamt 156 Personen beteiligt waren. Von diesen waren nur zwei Frauen. Diese geringe Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen ist kein Zufall. Hier spielt das sogenannte ‚Old Boys Network‘ eine Rolle, ähnlich wie beim Führerscheinentzug oder in Gefängnissen. Aus diesem Grund haben wir uns gefragt, ob es möglicherweise einen kollateralen Nutzen von Diversität gibt. Es könnte sein, dass letztendlich auch die Verbraucherinnen und Verbraucher davon profitieren, da möglicherweise weniger Kartelle entstehen. Dieses Thema interessiert mich sehr und wir arbeiten kontinuierlich an diesem Projekt. Neben der Untersuchung von realen Kartellen haben wir auch Laborexperimente durchgeführt. Es ist interessant zu sehen, dass sich bisher nur wenige Menschen, selbst in der Soziologie, mit den konkreten Kartelltätern beschäftigt haben. Das hatte ich so nicht erwartet.“

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