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“Ein Kollege brüllte immer ‚Der Mensch’ und wir antworteten ‚…ist eine Sau.’”: Wie es so zugeht und zuging beim Spiegel

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Photo by Leah Kelley on Pexels.com
Der ehemalige Spiegel-Korrespondent Walter Tauber

Über den Arbeitsalltag im Spiegel schrieb ich vor ein Jahren folgendes: Was früher ehrfürchtig als “Agentur-Geschwindigkeit” galt, ist heutzutage der Normalzustand. Ende der 1970er Jahre war das noch ganz anders. Etwa beim Spiegel: „Man hat am Montag seine Themen angeboten und intensiv darüber gesprochen. Mit dem Ressortleiter konnte ich mich sehr ausgiebig streiten, ohne nachteilige Auswirkungen befürchten zu müssen“, so der ehemalige Spiegel-Redakteur Walter Tauber.

Die Arbeit in der Zentralredaktion habe ihm Spaß gemacht. „Wir hatten kleine Einzelbüros und ließen die Tür offen. Ein Kollege brüllte immer ‚Der Mensch’ und wir antworteten ‚…ist eine Sau.’ Ein deftiges und liebevolles Ritual. Wenn ich konzentriert schreiben musste, schloss ich die Tür und wurde von den Kollegen in Ruhe gelassen. Technisch waren wir sehr einfach ausgestattet. Olympia-Schreibmaschine, Papier und Telefon. Wenn ich den Artikel fertig hatte, wurde das im Sekretariat mit Durchschlägen abgeschrieben und vom Ressortleiter redigiert. Eine kleine Marotte hatte mein Chef. Wenn ich telefonierte, benutzte er die Gegensprech-Anlage, um mir mitzuteilen, dass ich in sein Büro kommen solle. Generell war die Atmosphäre sehr angenehm“, betont Tauber.

Noch angenehmer war es in seiner Zeit als Auslandskorrespondent in Brasilien. „Ich mietete in Rio de Janeiro einen Büroraum in einer Villa, die auch von Newsweek, BBC und Los Angeles Times genutzt wurde. Ich hatte ein Panoramafenster mit einem wunderbaren Blick auf die Bucht von Guanabara. Traumhaft. Ab und zu ging ich mit den internationalen Kollegen zum Mittagessen. Wenn ich dann die zweite Runde Caipirinha bestellte, mussten die Vertreter von Newsweek und der Los Angeles Times passen. Sie könnten noch Arbeitsaufträge bekommen. Ich schaute auf die Uhr und sagte, in Hamburg sind schon alle im Feierabend. Die Zeitverschiebung kann bei Abstimmungsfragen lästig sein, in diesem Fall hatte sie auch Vorteile“, sagt Tauber.

Ganz so sympathisch klingt die Arbeitsatmosphäre beim Spiegel nicht mehr, wenn man die Titelstory von Kress liest: “Den Machtkampf gegen Chefredakteur Steffen Klusmann hat Geschäftsführer Stefan Ottlitz für sich entschieden. Der Preis allerdings ist hoch.” Das entspricht eher dem Credo des Kollegen vom Walter Tauber: “Der Mensch ist ein Sau”.

“Ottlitz, ein ehemaliger Onlinejournalist, war 2017 als Leiter der Produktentwicklung von der ‘Süddeutschen’ gekommen und hatte seine bei der SZ erprobten Bezahlmodelle erfolgreich auch beim ‘Spiegel’ umgesetzt. Dadurch war er in nur drei Jahren zum Geschäftsführer aufgestiegen. Allem Anschein nach ist der gebürtige Regensburger inzwischen so überzeugt von sich und seinen Ideen, dass er die zusammen mit der Redaktion und dem Verlag erzielten Erfolge stark für sich reklamiert. So jedenfalls sehen es sehr viele Führungskräfte, mit denen ‘kress pro’ sprechen konnte. Sie erleben den einst smarten Hoodie-Journalisten als überraschend herrisch und besserwisserisch. Damit hat er sich nicht nur bei Klusmann, sondern auch einem Großteil der Redaktion sowie im Verlag unbeliebt gemacht. ‘Ottlitz tritt auf, als ob er das Internet erfunden hätte’, spottet etwa ein erfahrener Redakteur. Für Ottlitz spreche allein der Erfolg. Sobald ihm der abhandenkomme, werde es schwierig für ihn werden. Nach Fürsprecher könne man lange suchen”, schreibt Kress. Uff. Klingt ungemütlich.

Mal schauen, ob es in nächster Zeit weitere Personalwechsel gibt.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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