Die Welt ist weniger vernetzt als viele glauben #DHLGCI

Die Welt ist immer noch deutlich weniger vernetzt als viele Menschen glauben. Das belegt der DHL Global Connectedness Index (GCI), der in Amsterdam vorgestellt wurde (ich selbst war zu diesem Event zwar eingeladen worden, konnte aber aus beruflichen Gründen leider nicht teilnehmen). Die meisten Ströme und Austauschprozesse finden immer noch auf inländischer und nicht auf internationaler Ebene statt. Beispielsweise werden nur rund 20 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung exportiert, ausländische Direktinvestitionsströme belaufen sich auf gerade einmal sieben Prozent der globalen Bruttoanlageinvestitionen, etwa sieben Prozent der weltweiten Telefonate (Gesprächsminuten, einschließlich der Anrufe über das Internet) entfallen auf internationale Gespräche, und lediglich drei Prozent der Menschen leben in einem anderen Land als ihrem Geburtsland.

In einer 2017 in sechs Ländern durchgeführten Umfrage unter Führungskräften aus der Wirtschaft wurden alle diese sowie weitere Indikatoren der Globalisierung überschätzt. Im Schnitt hielten die Befragten die Welt für fünf Mal so globalisiert wie sie tatsächlich ist! Frühere repräsentative Bevölkerungsumfragen in den USA sowie Befragungen von Studenten in verschiedenen Ländern kamen zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Derartige Fehlwahrnehmungen scheinen Globalisierungsängste zu schüren. Menschen, die das Ausmaß der internationalen Vernetzung stärker überschätzen als andere, haben auch tendenziell größere Bedenken, dass die Globalisierung Probleme wie Klimawandel und Ungleichheit verschärft.

Auch ist es ein Mythos, dass Entfernungen durch Fortschritte in Transport und Telekommunikation heute keine Rolle mehr spielen. Wenn wir inzwischen tatsächlich in einer „flachen“ Welt lebten, in der Entfernungen und andere Unterschiede zwischen Ländern keine Rolle mehr spielten, würden die internationalen Handels-, Kapital-, Informations- und Personenströme schätzungsweise 67 Prozent weiter reichen als sie es heute tun. Tatsächlich aber ist der internationale Austausch so wenig global, dass rund die Hälfte der grenzüberschreitenden Interaktionen von Ländern mit ihren drei wichtigsten Partnerländern stattfindet.

Im Ranking der Länder mit dem höchsten Globalisierungsgrad belegen folgende Nationen die ersten zehn Plätze: Niederlande, Singapur, Schweiz, Belgien, Vereinigte Arabische Emirate, Irland, Luxemburg, Dänemark, Großbritannien und Deutschland. Acht der zehn am stärksten vernetzten Länder befinden sich in Europa. Damit ist Europa auch die Region mit dem insgesamt größten Globalisierungsgrad, die sowohl bei den Handels- als auch bei den Personenströmen auf Platz eins steht. Im regionalen Ranking auf Platz zwei folgt Nordamerika, das bei den internationalen Kapital- und Informationsströmen führend ist.

Singapur, Hongkong SAR (China), Belgien, die Niederlande und Luxemburg sind die Volkswirtschaften mit der höchsten Vernetzungsintensität. Dort ist der Anteil der grenzüberschreitenden Interaktionen im Verhältnis zur Größe der Binnenwirtschaft besonders hoch. Bei den Ländern die hier führend sind, handelt es sich zumeist um wohlhabende und relativ kleine Länder.

Die Überschätzung des Vernetzungsgrades korrespondiert mit den Forschungsarbeiten des Soziologen Michael Hartmann. Nachzulesen in seinem Opus „Die globale Elite“:

„Nur wenn die Topmanager der größten Unternehmen und die reichsten Menschen der Welt durch umfangreiche und kontinuierliche Erfahrungen außerhalb ihres Heimatlands einen eigenständigen Habitus ausbilden, der sich deutlich von dem ihrer auf nationaler Ebene verbleibenden Pendants unterscheidet, kann man von einer transnationalen Klasse oder Elite reden“, erläutert Hartmann. In seiner Analyse hat er weltweit 20.000 Konzernchefs, Aufsichtsratsvorsitzende, Chairmen, Board Members und Milliardäre unter die Lupe genommen und kommt zu einem überraschenden Ergebnis.

„Im Durchschnitt stammt nur jeder zehnte CEO der weltweit größten und global aktivsten Unternehmen und ein etwas höherer Prozentsatz der Chairmen und übrigen Board-Mitglieder aus dem Ausland. Sogar nur ungefähr jeder zwanzigste CEO kann einen Studienabschluss einer renommierten ausländischen Business School oder Elitehochschule aufweisen. All das ist umso aussagekräftiger, als diese Prozentsätze sich auf die größten Unternehmen der Welt beziehen. Weil die Inter- wie Transnationalität der Spitzenmanager umso stärker ausfällt, je größer die Konzerne sind, würden die Werte in dem Maß zurückgehen, in dem eine höhere Anzahl von Unternehmen berücksichtigt würde.“

Die Autoren der DHL-Studie sind optimistisch, dass ihre Zahlen zu einer produktiveren Globalisierungsdebatte beitragen können. Die Befunde könnten dabei helfen, Ängsten entgegenzuwirken, die auf Fehlwahrnehmungen des Ausmaßes globaler Vernetzung zurückgehen. Etwa bei der Zuwanderungsdebatte, eines der Themen, die den Menschen in Europa und den USA 2018 laut Umfragen am meisten Sorgen bereiteten. Auf beiden Seiten des Atlantiks schätzten Umfrageteilnehmer den Anteil der Zuwanderer in ihrem Land im vergangenen Jahr mehr als doppelt so hoch ein wie er tatsächlich ist. Wurden die tatsächlichen Zahlen genannt, reduzierte sich der Anteil der Befragten, die die Zuwanderung für problematisch hielten.

Link zur DHL-Studie.

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