
In der Debatte über die Urheberrechtsreform ist sehr viel Porzellan zerschlagen worden. Jüngst durch Daniel Caspary, Europaabgeordneter der Union, der behauptet, dass es Versuche gebe, Gegner der Richtlinie für die Teilnahme an Demos mit bis zu 450 Euro zu bezahlen.
Und nun schreibt er: “Um eines klarzustellen: nie habe ich gesagt, alle Demonstranten seien gekauft. Meine Aussage findet man hier…”
Caspary verweist auf einen Bericht der Bild und da wird er folgendermaßen zitiert:
“Casparys Verdacht: ‘Nun wird offensichtlich versucht, auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern. Bis zu 450 Euro werden von einer sogenannten NGO für die Demoteilnahme geboten. Das Geld scheint zumindest teilweise von großen amerikanischen Internetkonzernen zu stammen. Wenn amerikanische Konzerne mit massivem Einsatz von Desinformationen und gekauften Demonstranten versuchen, Gesetze zu verhindern, ist unsere Demokratie bedroht.'”
Den “Beweis” für diese schwerwiegende Verdächtigung konstruiert man mit einer Meldung der Netzpiloten, für die ich ja bekanntlich als Kolumnist arbeite. So schreibt Bild:
“Wie das Magazin ‘Netzpiloten’ berichtete, soll Google etwa die freie Enzyklopädie Wikipedia mit Zahlungen in Höhe von bislang 7,5 Millionen Dollar unterstützt haben. Wikipedia hatte sich am 21. März in Deutschland öffentlichkeitswirksam ‘abgestellt’, um gegen die Reform zu protestieren. Kurios: Wikipedia ist selbst von der Reform gar nicht betroffen und darf weiter Inhalte hochladen.”
Aber was steht denn in der Netzpiloten-Meldung, die am 24. Januar erschien?
“Schon in der Vergangenheit gab es auch größere Spenden von Google. Nun spendet Google erneut eine große Summe und bietet darüber hinaus kostenlose Cloud- und Machine-Learning-APIs für die freie Enzyklopädie. Google erweitert sein Engagement für Wikipedia gleich um zwei Millionen US-Dollar. Die gesamte Unterstützung durch Google beläuft sich mittlerweile auf 7,5 Millionen Dollar. Neben der monetären Unterstützung bietet Google jedoch auch noch kostenlosen Zugriff auf einige seiner Cloud- und Machine-Learning-Werkzeuge.”
Was für eine konstruierte Skandalisierung von Bild und Co. Die Ursprungsmeldung stammt aus dem Jahr 2010.
So sollen den Wikipedia-Autoren einige Tools zur Verfügung gestellt werden, die die redaktionelle Arbeit erleichtern: Eine Google Cloud Custom Search API könnte beispielsweise sicherstellen, dass Beiträge korrekt aus anderen Quellen zitiert werden. Dürfte ja Voss und Co. begeistern. Zudem werden weitere zwei Millionen Dollar für langfristige Nachhaltigkeit gespendet. Das teilte Google vor gut zwei Monaten mit.
Wo bitte ist der Zusammenhang mit den Demos im März? Ob es um Bots geht, um die Google Memes-Rubrik, um vermeintliches Handgeld für Demonstranten: Die Unionspolitiker verstehen die Probleme der Netzszene nicht. Und noch schlimmer: Die liebwertesten Gichtlinge der Union reagieren auch noch beleidigt und trotzig.
Weise und kluge politische Entscheider versuchen nicht, ihre fragwürdigen Positionen mit der Brechstange durchzusetzen, sie setzen auf offene Verfahren. Voss und Co. agieren hingegen wohl lieber in geschlossenen Zirkeln. Sie kungeln auf den Spuren von Klemens Wenzel von Metternich in Geheimrunden als sich auf nicht kontrollierbare Disputationen mit der Zivilgesellschaft einzulassen. Wie es anders geht, erläutert Internet-Governance-Experte Professor Wolfgang Kleinwächter im Netzpiloten-Interview.
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