Ob es sich um Big Data-Gurus, Algorithmen-Bastler, Quantenphysiker an der Wall Street, neurowissenschaftliche Klecks-Kundler, NSA-Verdächtigungsexperten, Konjunkturforscher oder sonstige Weltformel-Priester handelt. Sie alle gebärden sich in einer anmaßenden und arroganten Weise als Wissende des großen Ganzen. Hinter dieser Fassade verbirgt sich ein mechanistisches Verständnis auf dem Niveau von Thomas Hobbes. Der Philosoph des politischen Absolutismus machte sich eine bereits gängige Vorstellung aus dem 16. Jahrhundert zu eigen, wenn er zu verstehen gab, der Staat, der Zusammenschluss der Menschen zu einer Einheit, eben der „Staatskörper“, sei wie jeder Körper eine Maschine, ein von einem Uhrwerk angetriebener Automat. An dieser Betrachtung der Welt hat sich bis heute wenig geändert.
„Ich kann die Aufregung von Geisteswissenschaftlern verstehen, wenn Technologen simple Modelle von menschlichem Verhalten in die Welt setzen. Das ist in der Tat bedenklich. Hier modelliert man den Menschen als Objekt der Maschine. So wird man der Komplexität seines Verhaltens und Denkens nicht gerecht”, sagte der Internetexperte Christoph Kappes im ichsagmal-Interview.
Leider werden auch die Sozialwissenschaften von dieser mechanistischen Weltsicht immer mehr infiziert – häufig von Renegaten aus der Naturwissenschaft.
„Jede Betrachtung gesellschaftlicher Prozesse hat es mit Fallzahlen zu tun, die niedriger sind als die Zahl der Faktoren, die als Erklärung in Frage kommen. Damit aber gibt es für jeden gegenwärtigen Zustand unvermeidlich mehr als eine gültige Erklärung, und jeder zukünftige Zustand erscheint als einmaliges Resultat eines einmaligen Zusammenwirkens einer Vielzahl von Faktoren, als Unikat (Kappes spricht von Singularität, gs), für das es keine Normalverteilung gibt und dessen Besonderheiten deshalb nicht auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten reduziert werden können“, schreibt Wolfgang Streeck, Direktor am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, in dem Sammelband „Wissenschaftliche Politikberatung“, erschienen im Wallstein Verlag).
Trotzdem versuchen die Welterklärungs-Priester, unser Handeln zu beeinflussen oder sogar zu steuern. Wenn Menschen das durchschauen, passiert allerdings genau das Gegenteil. Solche Dinge bleiben eben nicht geheim. Instrumente zur Verhaltenskontrolle oder Verhaltensmanipulation werden über kurz oder lang bemerkt. Man erkennt die Absichten und verhält sich absichtsvoll anders. Streeck verweist auf die Hawthorne-Experimente (1924 bis 1932). Forscher wollten herausgefunden haben, dass Arbeiterinnen auch ohne Lohnerhöhung schneller und besser arbeiten, wenn man freundlich zu ihnen ist (wie großzügig, gs) und die Wände gelb anstreicht.
„Aber nachdem sich unter den Beschäftigten herumgesprochen hatte, dass das Management mit seinen guten Worten und der gelben Farbe nur Geld sparen sollte, kam es zu Lohnforderungen und einem Streik“, führt Streeck aus.
Die Geltung derartiger Modell und Theorien könne durch ihr Bekanntwerden schnell wieder außer Kraft gesetzt werden!
Die philosophische Grundierung für eine Renaissance des Geistes liefert Professor Markus Gabriel in seinem provokativen Opus “Warum es die Welt nicht gibt”.
Seine Thesen breitete er in einer neuen Gesprächsreihe “R²-Katheder” der Siegburger Verlagsbuchhandlung Bernstein aus. Eine schöne Steilvorlage für meine The European-Mittwochskolumne. Arbeitstitel: Wider die Welterklärer.
Immer wieder wichtig, sich dies in’s Gedächtnis zurückzurufen. Vor allem für das eigene Treiben. Findet man sich doch selbst zu leicht in manch solcher Personen wieder.
Danke für’s posten, Gunnar.