
Im Podcast/Vodcast Kopfkino hat Alex Wunschel eine Menge guter Sachen gesagt über die Weiterentwicklung von Podcast-Produktionen, über Interaktionen, Live-Audio, Community-Management, Nachteile der Abschottungspolitik von großen Audio-Plattformen, Finanzierungsmöglichkeiten und viele andere Dinge, die auch Sohn@Sohn umtreiben.
Am Schluss sollte er formulieren, was denn in 20 Jahren in Suchmaschinen über Alex zu finden sein sollte:
Ein sympathisches Plädoyer für Rhetorik, Linguistik und für die Kraft der Töne. Das wird massiv bei vielen Podcast-Sendungen vernachlässigt.
Lest doch einfach mal die Empfehlungen von Lord Chesterfield. Also das Opus „Briefe an seinen Sohn Philip Stanhope über die anstrengende Kunst ein Gentleman zu werden”. Chesterfields Grundsätze sind auch heute noch aktuell. Philip Dormer Stanhope, der vierte Earl of Chesterfield (1694 – 1773), hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, seinen unehelichen Sohn Philip auf dessen spätere Karriere vorzubereiten. Voltaire äußerte sich nach der Lektüre des Werkes geradezu emphatisch und empfahl es Friedrich II. „Man kann viel daraus lernen, ja ich möchte behaupten, dass es das beste Buch ist, das je über Erziehungsfragen geschrieben wurde”, führte Voltaire aus.
Chesterfield selbst war ein Sprachmeister, der in England und Frankreich zu den belobtesten Köpfen der Zeit gehörte. Auf dem Weg zur rhetorischen Brillanz konnte nur die antike Redekunst helfen, da es im Zeitalter des Absolutismus öffentliche Beredsamkeit außerhalb der Kirche nicht gab. Das sprachliche und geistige Korsett für die liebwertesten Gichtlinge aus Politik und Wirtschaft unserer Tage heißt Powerpoint-Sabbelei: Sprachliche Originalität und Eloquenz sind Mangelware bei den meisten Führungskräften. Da stellt man sich jeden Tag gut oder neu auf, optimiert Prozesse, reduziert Kosten, implementiert semantische Nebelkerzen, geht proaktiv auf die Suche nach dem weißen Schwan und zeigt alternativlosen Reformgeist. Aktuell wird der Sprachbrei noch ergänzt mit Füllwörtern wie “Genau” und “Alles Gut”.
Dabei ist es im Geschäftsleben eine Frage von Sieg oder Niederlage, ob es gelingt, die inneren Werte und Überzeugungen angemessen zur äußeren Darstellung zu bringen und mit höchstem Effekt einzusetzen.
„Du begreifst leicht, dass ein Mensch, der zierlich und angenehm redet und schreibt, der seinen Gesprächsgegenstand schmückt und verschönert, besser überreden und seine Absicht leichter erreichen wird als ein andrer, der sich schlecht ausdrückt, seine Sprache übel redet, niedrige, pöbelhafte Wörter gebraucht und bei allem, was er sagt, weder Annehmlichkeit noch Zierlichkeit hat… Man muss in allem, was man redet, überaus genau und deutlich sein; sonst ermüdet und verwirrt man andre nur, anstatt sie zu unterhalten oder zu unterrichten. Auch die Stimme und die Art zu reden sind nicht zu vernachlässigen. Manche schließen beim Reden beinah den Mund zu und murmeln etwas hin, so dass man sie nicht versteht. All diese Gewohnheiten sind unschicklich und unangenehm und müssen durch Aufmerksamkeit vermieden werden”, so Lord Chesterfields Empfehlung an seinen Sohn.
Zur Vermeidung all dieser Fehler sollte man mit Sorgfalt lesen, die Ausdrücke und Wendungen der besten Schriftsteller bemerken und niemals ein Wort übergehen, das man nicht versteht. Lesen und Übung ist genug, einen Redner hervorzubringen.
Literatur und Philosophie waren für Stanhope eine Einheit. Ihm schwebte eine Verbindung von französischer Geistigkeit und englischer Formenfreiheit vor, eine Literatur, die Erfahrungen vermittelte und ihren bildend-erzieherischen Zweck nie aus dem Auge verlor. Dementsprechend empfahl er seinem Sohn in erster Linie Memoirenwerke von Politikern wie dem Kardinal Retz und die Schriften der französischen Moralisten, allen voran La Rochefoucauld und La Bruyère. Legten die Maximen Rochefoucaulds das theoretische Fundament zum Verstehen der menschlichen Natur, so vermittelten die „Charaktere” Bruyères ein Kaleidoskop der Menschenkenntnis.
Und „Menschenkenntnis” war das wichtigste Stichwort in Chesterfields Erziehungsprogramm: „Die Menschen recht zu kennen, das erfordert ebenso viel Aufmerksamkeit und Fleiß, vielleicht mehr Scharfsinn und Urteilskraft, als Bücher zu kennen. Ich kenne viel ältliche Leute, die ihr ganzes Leben in der großen Welt zugebracht haben, aber mit solchem Leichtsinn und Mangel an Aufmerksamkeit, dass sie von ihr nicht mehr wissen, als sie im Alter von fünfzehn Jahren wussten. Schmeichle dir daher nicht mit dem Gedanken, du könntest diese Kenntnis bei dem albernen Geschwätz müßiger Gesellschaften erlangen! Nein, du musst tiefer eindringen. Du musst ebenso wohl der Leute Charaktere als auch ihre Gesichter sehen.”
Mit dieser skeptischen Weitsicht wäre so manchem Investor oder Anleger ein Reinfall auf die leeren Versprechen halbseidener Finanzakrobaten erspart geblieben. Besonders Maulhelden im Wirtschaftsleben sollte man meiden. Einige Vorstände großer Konzerne neigen zur Prahlerei und Herrschsucht. Keine Fernsehkamera lassen sie aus, keine Talkshow ist vor ihnen sicher. Ihre Inkompetenz kompensieren sie mit egozentrischer Polterei. Kluge Manager sollten sich in Zurückhaltung und Bescheidenheit üben.
Der Earl: „Je mehr du weißt, desto bescheidener solltest du sein; und, im Vorbeigehn gesagt, diese Bescheidenheit ist der sicherste Weg, deine Eitelkeit zu befriedigen. Auch wo du deiner Meinung sicher bist, da scheine lieber zweifelnd: tue Vorstellungen, aber keine Aussprüche; und wenn du andre überzeugen willst, da stelle dich selbst bereit, überzeugt zu werden… Gib dir niemals das Ansehen, als wärst du weiser oder gelehrter als die Anwesenden.”
Auch zur Hörigkeit von entscheidungsschwachen Persönlichkeiten gegenüber allwissenden Beratern hat Chesterfield eine gesunde Rezeptur parat: „Alles, was du lernst und lesen kannst, wird wenig fruchten, wenn du nicht selbst darüber vernünftig nachdenkst… Allein, andrer Gedanken nur wiederholen, ohne zu erwägen, ob sie richtig sind oder nicht, das ist bloß die Gabe eines Papageien oder höchstens eines Komödianten.” Für den Lord bedeutet es nichts, eine Sache einmal zu lesen, wenn man sie nicht behält.
„Es ist ein sicheres Zeichen eines kleinen Geistes, während man etwas vorhat, zugleich an etwas anderes oder gar nichts zu denken. Man sollte allezeit an das denken, was man tut.”
Ein kleiner Auszug meiner Gichtlingskolumne, die mir beim Einrichten des neuen Arbeitszimmers gerade in den Sinn kam.
So gibt es einen Bogen von Audio-Drogen, Cannabis-Hemden zu antiquarischen Funden in meiner Bibliothek.
Im Sohn@Sohn-Newsletter am Freitag vertiefen wir das Thema – allerdings ohne Lord Chesterfield.