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“Einfach irgendwas mit Medien zu machen, ist heutzutage keine so gute Idee”

„Es ist eben etwas anderes, ob du live in einem mobilen oder stationären Szenario auf Sendung gehst”, so Franziska Bluhm.

Journalisten müssen ihr traditionelles Handwerk beherrschen und neue Kompetenzen mitbringen.

Der amerikanische Medienprofessor Jeff Jarvis steht vor den gleichen Herausforderungen wie alle anderen Journalistenschulen: wie man den Wandel lehrt; wie man dem journalistischen Nachwuchs genug Tools so beibringt, dass sie sie hinterher beherrschen, ohne deshalb unentbehrliche Zeit von der Vermittlung der grundsätzlichen Fähigkeiten und Wahrheiten des Journalismus abzuziehen; „wie man dem Wandel unseres Feldes voraus bleibt, aber die Studenten trotzdem auf die Stellen vorbereitet, die heute existieren.“

Es gebe keine bessere Zeit, um Journalismus zu unterrichten, und keine bessere Zeit, um Journalist zu werden, als heute.

„Unsere heutigen Studenten sind nicht nur technologisch versierter, als wir es je sein könnten, sondern sie sehen auch die Welt mit neuen Augen. Ich dränge sie, sich diesen frischen Blickwinkel zu bewahren und ihn zu benutzen, um alle unsere Annahmen infrage zu stellen und herauszufordern, damit sie sich eine neue Zukunft für den Journalismus vorstellen und sie aufbauen können“, betont Jarvis.

Hoch qualifizierte Bewerber finden Stellen

Optimistisch beurteilt auch der Hörfunk- und Fernsehjournalist Kai Rüsberg die Jobperspektiven in der Medienbranche:

„Der Bedarf nach hoch qualifizierten Kräften ist trotz Stellenabbaus vorhanden. Es scheiden in den kommenden Jahren viele Redakteure aus Altergründen aus und es entstehen ständig neue Aufgabenfelder, sowohl in Print, Online und elektronischen Medien. Zudem gibt es in Unternehmen immer mehr Nachfrage nach qualifizierten Social Media Managern und Redakteuren und Autoren für Content Marketing in allen Facetten. Dafür werden Journalisten gebraucht, die ihr Handwerk gut beherrschen“, betont Rüsberg, der auch als Dozent für Kommunikationspolitik an der Westfälischen Hochschule tätig ist und das Netzwerk für Medieninnovationen MediaLab.NRW initiierte.

Gefragt seien eine Vielzahl von Kompetenzen:

„Es fängt damit an, sich kurz und prägnant auszudrücken, Storytelling zu beherrschen, kommunikativ zu sein sowie verschiedene Mediengattungen bedienen zu können und auch die technischen Fähigkeiten mitzubringen. Wer frei arbeiten will, muss zudem auch in der Lage sein, Innovationen zu entwickeln oder sie zumindest schnell zu adaptieren und seiner Arbeit eine deutliche persönliche Note und wiedererkennbare Marke zu geben. Besondere Bedeutung bekommt auch die Fähigkeit, eine Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit zu vermitteln“, sagt Rüsberg aka @ruhrnalist.

Die Chancen, eine feste Stelle zu bekommen, sind nach seiner Einschätzung nicht schlechter als in den vergangenen Jahren.

„Die Frage ist eher, ob die Bezahlung auch fair ist. Nicht selten wird man Jobs unter Tarif oder zeitweilig unbezahlt angeboten bekommen. Dennoch wird auch bei den schlecht bezahlten Tätigkeiten besonderer Einsatz erwartet“, erläutert Rüsberg.

Für die Zukunft rechnet er in den Medienhäusern mit flacheren Hierarchien und weniger hoch bezahlten Chefposten. Spitzenpositionen in einem Blog seien schlechter dotiert als Chefredakteursposten alter Prägung.

„Auch in der PR gehen aufgrund des Überangebots von Bewerbern seit Jahren die Gehälter drastisch nach unten. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden vermutlich nur noch wenige Spitzenpositionen mit externen Kandidaten besetzt – und nur dann, wenn man sich erhofft, damit Expertise zu bekommen, die man selbst nicht hat. In kleinen Medieneinheiten könnte es üblich werden, dass das Gehalt des Führungspersonals stark am Umsatz orientiert ist“, prognostiziert Rüsberg.


Spezialisten mit Netzwerkstärke gefragt

Die Perspektiven für gute Journalisten sind Einschätzung von Franziska Bluhm, Leiterin für Digitale Vernetzung bei der Verlagsgruppe Handelsblatt, besser denn je:

„Wer sein Handwerk versteht, ein Gespür für gute Geschichten hat und versteht und anwenden kann, wie seine Geschichten eine möglichst große Öffentlichkeit finden, wird als Journalist gut arbeiten können – ob festangestellt oder frei.“

Es komme aber auf die Kompetenzen an:

„Fähigkeit zur Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams, was ein viel größeres Grundverständnis von Analytics, Coden, Videobearbeitung, Optiken und Datenvisualisierung voraussetzt. Und am besten hat man selbst auch Erfahrungen auf diesen Gebieten, um im Ernstfall auch aushelfen zu können“, sagt Bluhm.

Anwachsen werde das projektbezogene Arbeiten in freien Tätigkeiten. Zudem werden gute Autoren noch spezialisierter unterwegs sein.

„Die Vielzahl der unterschiedlichen Plattformen, die bedient werden müssen, erfordert mehr Spezialwissen. Also spezielles Storytelling für jeden Kanal – und das wird extrem kleinteilig“, vermutet Bluhm.

Liveübertragungen in unterschiedlichen Kontexten könne beispielsweise nicht jeder:

„Es ist eben etwas anderes, ob du live in einem mobilen oder stationären Szenario auf Sendung gehst.“

Für die Jobperspektiven seien Netzwerkstärken, eigene Communities und Managementfähigkeiten essentiell.

Gehalts-Dumping

In den USA sieht der ehemalige The European-Herausgeber Alexander Görlach in den neuen Medien-Marken wie Mic, Vice oder Buzzfeed gute Karrierechancen für Journalisten. Viele ältere Kolleginnen und Kollegen, die vor einigen Jahren die Industrie mit einer Abfindung verlassen haben, seien allerdings von Altersarmut bedroht.

„Sie haben keinen Anschluss in diese neue Medienwelt gefunden. In Deutschland ist mein Eindruck, dass eher eingespart werden soll als ausgegeben und dass es deshalb Kolleginnen und Kollegen mit Erfahrung schwer haben, einen adäquaten Job zu finden – mit entsprechender Bezahlung. Bei den Jungen sieht es doch schon lange so aus, dass nach dem Volontariat keine unbefristete Festanstellung kommt, sondern man sich von Jahresvertrag zu Jahresvertrag hangelt“, so Görlach.

Die Strukturen werden ausgedünnt. Weniger Jobs bei hohen Bewerberzahlen führen zu einem weiteren Gehalts-Dumping.

„In den USA gibt es noch einige Akteure, die an die Zukunft von Journalismus glauben und die viel Geld investieren. In Deutschland gibt es keine entsprechende Begeisterung und Investitionen in diesem Maße“, so Görlach, Gastwissenschaftler an der Harvard University, Autor der New York Times und The World Post.

Einfach irgendwas mit Medien zu machen, ist heutzutage keine so gute Idee:

„Das haben sich junge Leute, wenn sie in den Beruf einsteigen wollen, abgeschminkt. Sie wollen ganz konkret im Medienbereich arbeiten. Und das betreiben sie dann auch entsprechend ernsthaft. Ich habe nicht den Eindruck, dass der Beruf ausstirbt“, sagt Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau.

Für ratsam hält sie es, sich am Anfang der Ausbildung noch nicht zu spezialisieren. Da sei ein generalistischer Ansatz besser. Man sollte sich in allen medialen Genres umtun. Herauszufinden, in welchem Medium und in welcher Form man am liebsten arbeite, sei als zweiter Schritt wichtig.

„Wer allerdings im Printjournalismus eine Autorenkarriere anstrebt, dem sollte klar sein, dass das selten zu einer Festanstellung führt. Wer eine feste Stelle bekommen möchte, sollte sich auch für Redakteursarbeit begeistern“, so Mika, die als Honorarprofessorin für Kulturjournalismus an der UDK Berlin tätig ist.

Experten, die den angehenden Journalisten empfehlen, Programmierkenntnisse zu erwerben, kann sie nicht folgen. So etwas habe der Geschäftsführer einer großen Regionalzeitung, die online sehr erfolgreich ist, auf den Münchner Medientagen propagiert.

„Solange dieser Geschäftsführer selber nicht in der Lage ist, Programme für die Bilanz seines Verlages zu schreiben, solange kann er ähnliches nicht von Journalisten verlangen“, bemerkt Mika.

Wichtiger sei, die enge Verzahnung unterschiedlicher Disziplinen. Sowie jedes gute Magazin zusammen mit einer Art-Redaktion entwickelt wird, komme es auf die gute Mischung zwischen Onlinern und Generalisten für unterschiedliche Plattformen an.

Insgesamt sei es für den journalistischen Nachwuchs schwieriger geworden, feste Stellen zu bekommen.

„Es wäre unseriös, wenn wir das in unseren Studiengängen versprechen würden. Ein großer Teil muss sich auf die Arbeit als freier Journalist einstellen und viel kreativer sein als früher, um neue Arbeitsfelder zu erfinden“, skizziert Mika die Zukunftsaussichten.

Deswegen müsse man aber nicht direkt vom Unternehmer-Journalisten sprechen. Jeder, der frei arbeitet, sei in gewisser Weise auch Unternehmer, wenn es um Geschäftsmodelle und den Einsatz von Kompetenz und Kreativität gehe. Zwischen einem Unternehmer und einem freischaffenden Journalisten, Künstler oder Schriftsteller sieht Mika aber noch riesige Unterschiede.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

1 Kommentar zu "“Einfach irgendwas mit Medien zu machen, ist heutzutage keine so gute Idee”"

  1. Hat dies auf http://www.ne-na.me rebloggt.

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