Was zur Zeit unter den Stichworten von „Großer Transformation“, „Forschungswende“ oder „Transformative Wissenschaft“ diskutiert wird, hält Professor Peter Strohschneider strukturell für populistisch.
Auf Seite 83 der Publikation “Nachhaltige Zeitenwende” schreibt Strohschneider:
Die Pluralität und die Widersprüchlichkeit der Welt- und Problemlagen werde unter einem einzigen
Prinzip homogenisiert und eine Letztgeltung beansprucht.
“Dieses Prinzip wird sozusagen für transzendent und unverfügbar erklärt: Es gehe um nichts Geringeres als um die Rettung der Welt. Und man kann sich also gar nicht dieses Prinzip nicht zu Eigen machen, ohne dem Anathema zu verfallen. Anders gesagt, die transformative Wissenschaft überspielt ihre analytische Unterkomplexität durch guten Willen und stellt von Argumentation auf Moralisierung um.”
Das sei für die Ziele der Nachhaltigkeit keineswegs von Vorteil, so der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Der Diskurs der „Großen Transformation“ und der „Forschungswende“
sei auch deshalb zu kritisieren, weil er zurück in die kontraproduktive Dichotomie von Wahrheit und Nutzen führt und Wissenschaft zugunsten des Letzteren vereinseitigt – wie wenn unwahres Wissen nützlich
oder wissenschaftliche Wahrheitssuche programmatisch nutzlos sein könne.
“Jedenfalls: Dass überhaupt etwas über den Klimawandel bekannt ist – der sich nämlich der alltäglichen sinnlichen Wahrnehmung lange weithin entzogen hat –, wäre ohne wahrheitsorientierte, neugiergetriebene Forschung ganz unmöglich. Folglich ist gegenüber Postulaten einer generellen normativen Wende des Wissenschaftssystems im Zuge von ‘Großer Transformation’ und ‘Forschungswende’ die Notwendigkeit von Balancen zu betonen – und zwar nicht nur auf Ebene der Forschungsprozesse selber, sondern vor allem auch auf Ebene der Entscheidungssysteme, in denen über die Finanzierung von Forschung diskutiert wird”, so Strohschneider.
Es müsse Entscheidungszusammenhänge geben, in denen Kriterien der wissenschaftlichen Relevanz, der Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Wissens, der Neugier, der Welterkenntnis ausschlagend sind. Und es müsse Entscheidungszusammenhänge geben, in denen Kriterien gesellschaftlicher, politischer oder
ökonomischer Relevanz von Wissenschaft, sowie Kriterien der Lösung gesellschaftlicher Problemvorgaben leitend sind. Und diese beiden Entscheidungszusammenhänge und ihre entsprechenden Finanzierungssysteme
müssten in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Nutzlos, mindestens hinderlich für die Verfolgung der Sustainable Development Goals sei ein totalisierender Nachhaltigkeitsutilitarismus, der sich unter neuer wissenschaftlicher Erkenntnis nichts vorstellen kann, als was er derzeit für relevant hält.
“Demgegenüber sind es gerade die überlebenswichtige Bedeutung der SDGs, das enorme Gewicht und die im Wortsinne unfassbare Komplexität der mit ihnen verbundenen Fragen und Aufgaben sowie die herausragende Wichtigkeit und Leistungsfähigkeit der wissenschaftlichen Forschung in diesem Zusammenhang, die es erforderlich machen, Forschungsorganisierung und Forschungsförderung strukturell pluralistisch anzulegen.”
Was schmeißt der DFG-Präsident da alles in einen Topf? Wer spricht sich denn gegen Pluralität aus? Wer beansprucht den alleinselig machende Kenntnis in Fragen der Nachhaltigkeit?
Wenn die transformative Wissenschaft einfordert, sich nicht am Normativen vorbei zu mogeln, wie es in der VWL und BWL der Fall ist, dann ist das kein Plädoyer gegen pluralistisch ausgerichtete Forschung. Ganz im Gegenteil. Es erhöht sogar die Qualität der Forschungsarbeit. Man zählt nicht mehr Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Publikationen nach der Triple-A-Logik oder versteckt sich hinter irgendwelchen Rankings. Auf dem Feld der Wirtschaftswissenschaft hat das Professor Uwe Schneidwind, Präsident des Wuppertal Instituts ausführlich im FuturHubs-Diskurs der D2030-Zukunftsinitiative erläutert:
Es sei interessant zu sehen, wie schnell sich das Fach nach der Finanzkrise wieder seine eigene Rechtfertigungserzählung zurechtgelegt hat.
“Gerade diese verhaltensökonomischen Entwicklungen, es wird ja heute sehr viel mehr mit Laborexperimenten gearbeitet. Den homo oeconomicus versteht man heute sehr viel besser und damit hat man ein wichtiges Defizit in dem klassischen Ökonomie-Ansatz wieder ein Stück gekittet und denkt: Alles wieder bestens. Wir haben letztens einen Aufsatz geschrieben, den wir ‚Von der Reparatur-Ökonomie zur Orientierungswissenschaft’ genannt haben. Da kommt das so ein bisschen zum Tragen. Die Ökonomie hat ihr Standardmodell, dann wirft man ihr irgend etwas vor: Kein Problem, das kriegen wir gefixt. Jetzt machen wir Experimente, jetzt haben wir doch einen sehr viel differenzierteren homo oeconomicus. Aber was sie eben nicht leistet, und das ist unser Vorwurf, ist, in einer Zeit des massiven Umbruchs wirklich Orientierung zu geben. Diese Welt, in der wir heute leben, ist ja in einer ganz massiven Form durch die Ökonomie geprägt.
Jetzt merken wir, dass ganz viele Dinge auf uns zukommen, die eine gewaltige neue Herausforderung darstellen. Die Ökologie- und Nachhaltigkeitsfrage ja schon länger, wobei wir einfach merken: Die ökonomischen Dynamiken treiben die ökologische Sache immer noch in die falsche Richtung. Aber auch Fragen wie die Digitalisierung. Plötzlich haben wir mit Null-Grenzkosten-Produkten zu tun, wir haben mit Produktivitätssprüngen zu tun, die vermutlich das Maß vorangegangener technologischer Wenden noch mal überwinden. Jetzt würde man sich ja eine Ökonomie wünschen, die vordenkt: Was heißt das? Auch so etwas wie Grundeinkommen, wie organisieren wir unseren Sozialstaat? Das sind ganz neue Formen. Was ist denn eigentlich mit der Geldwirtschaft in einem Zeitalter von Bitcoin? Also wenn es vielleicht gar keine Zentralbanken mehr gibt und braucht. Also ganz, ganz viele Fragen“, so Schneidewind und er führt weiter aus:
„Und statt dass wir Ökonomen als öffentliche Intellektuelle haben, die uns dazu Orientierung geben, verkriechen die sich wieder in ihren Boxen und sagen: Hey, wir machen hier tolle Experimente, was kritisiert ihr uns denn eigentlich? Diese Orientierungsfunktion geht komplett verloren. Wir brauchen eine Ökonomie, die uns zeigt, wie die Zukunft aussehen soll“, fordert der Präsident des Wuppertal-Instituts.
Und genau das ist der große Unterschied zur Geisteshaltung des DFG-Präsidenten. Die Wissenschaft muss aus ihren Boxen herauskommen und Orientierung bieten – in einem pluralistischen Diskurs.
Siehe auch die Replik von Schneidewind: Transformative Wissenschaft – Motor für gute Wissenschaft und lebendige Demokratie.
Siehe auch:
Wer denkt wirklich an die große Transformation? #D2030
Hat dies auf http://www.ne-na.me rebloggt.
Auf Facebook gibt es dazu übrigens schon eine hübsche Debatte.