
Je katastrophaler die Prognosen, desto beliebter sind ihre Verkünder – das ist das Verkaufsprinzip von Crashpropheten, die sich als Vermögensverwalter, Analysten oder Vertreter für Gold und Silber verdingen. Es sind Alchimisten, die ohne jegliche Selbstzweifel in der Öffentlichkeit agieren, zu Talkshows eingeladen werden, als Keynote-Speaker horrendes Geld verdienen und mittlerweile auch in der rechten Szene ihr Unwesen treiben.
Wer mit seiner berufsmäßigen Angstrhetorik ängstliche Schäfchen als Kunden gewinnt, profitiert in der Regel vom schlechten Gedächtnis der Öffentlichkeit. In einem früheren Beitrag für ein Berliner Magazin bezeichnete ich diese Klientel als Scharlatane mit dem Triple-A-Syndrom:
Anmaßend, arrogant und abergläubisch.
Was diese Finanzexperten zum Besten geben, bewegt sich auf dem Niveau von Bauernkalendern. In Wahrheit wissen die Fondsmanger, Analysten, Makler und Händler in den Tempeln des Casino-Kapitalismus nichts – außer vielleicht den Kontostand ihrer Spekulationen. Sie sind ständig überfordert, weil sie Zusammenhänge, Volkswirtschaften und Unternehmen analysieren, „die viel zu komplex sind, um jemals für Außenstehende durchschaubar zu sein“, bemerkt Georg von Wallwitz.
Die Entstehung der neuzeitlichen Finanzmärkte sei gespickt mit Fehlurteilen. Das liege daran, dass die Akteure an diesen Märkten, die Finanziers, Investoren und Spekulanten, nicht dem Ideal eines klugen, geduldigen, verständigen und berechnenden Menschen entsprechen.
Es sind Schnösel-Krieger, denen an den universitären Denkfabriken kräftig ins Gehirn geschissen wurde, wie es der Kabarettist Volker Pispers so erfrischend deutlich ausgesprochen hat.
Heraus kommen Ökonomie-Eunuchen, BWL-Amöben und Geldjongleure. Ihre Lehrmeister ignorieren, dass man ökonomische Zusammenhänge nicht in Ceteris paribus-Formeln kloppen kann. Dennoch werden Investmentbanken mit Legionen von Hochschulabsolventen versorgt, die die Finanzmärkte mit zweifelhaften Modellannahmen dirigieren wollen. Wo die Ungewissheit wuchert, versagen leider auch die besten Simulationsrechnungen.
Es sind zwei Herren, die als Symbol des finanzkapitalistischen Wahnsinns in Erinnerung gerufen werden sollten. Myron Scholes und Robert Merton, die für ihre „Verdienste“ sogar mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurden. Ihre theoretischen Fata Morgana-Obsessionen setzten sie in dem Hedge Fonds „Long-Term Capital Management“ in die Praxis um. „Die Instrumente, mit denen sie arbeiteten, waren damals nur einer Minderheit von Eingeweihten vertraut: ABCPs, Carry Trades, CDOs, Optionen, Leerverkäufe, Derivate und andere, noch exotischere ‚Produkte‘“, schreibt Hans Magnus Enzensberger in seinen mathematischen Belustigungen (edition unseld). In den ersten Jahren erwirtschafteten sie mit einem Eigenkapital von nur vier Milliarden Dollar eine Rendite von 30 bis 40 Prozent. Das biblische Mirakel der Brotvermehrung mutet dagegen kümmerlich bescheiden an.
Die Modelle der preisgekrönten „Wissenschaftler“ beruhen allerdings auf Simplifizierungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die Gaußsche Normalverteilung widerspricht der Realität des Marktes. „Dazu kommt noch eine weitere Fehlerquelle. Die Modelle, mit denen Händler, Banken und Versicherungen arbeiten, sind, wie der Mathematiker Yuri Manin sagt, in hohem Maße in der Software ihrer Computer codiert. Damit gängeln diese Programme als eine Art Kollektiv-Unbewußtes das Verhalten der Akteure“, führt Enzensberger aus.
Aber gerade die unerwarteten Umstände schaufelten das Spekulationsgrab, in das Scholes und Merton hineinfielen. Der Hedge Fonds LTCM kollabierte 1998, führte zu einem Verlust von über vier Milliarden Dollar und machte einen Rettungsplan notwendig, an dem sich bekannte Namen als Samariter betätigten: Bear Stearns, Lehman Brothers, Merill Lynch, Morgan Stanley und Goldman Sachs – natürlich auch die Deutsche und Dresdner Bank. Scholes wurde zwar wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 40 Millionen Dollar verurteilt, arbeitet aber nach wie vor als Fondsmanager. Und Merton? Er lehrt wieder Ökonomie an der Harvard Business School, wo er die Analysten der Zukunft ausbildet – mit Betonung auf Anal und wenig lyse. Für beide Spekulatius-Luschen beantrage ich die Aberkennung des Nobelpreises, wenn das überhaupt geht. Schließlich müssen auch des Dopings überführte Tour de France-Sieger ihre Krone wieder zurückgeben.
Nun gibt es wieder so einen Fall, der vom Spiegel aufgegriffen wurde:
“Vor dem Finanzcrash warnen – und gleichzeitig als Abhilfe ein passendes Finanzprodukt vermarkten. Diesen Spagat wagten die Bestsellerautoren Marc Friedrich und Matthias Weik. Den von ihnen angebotenen “Wertefonds” haben die Experten der Zeitschrift Finanztest’ jetzt mal genauer unter die Lupe genommen. Ergebnis: Alles andere als berauschend – und gemessen am großspurigen Anspruch der Autoren unzureichend.”
In dem Fonds sind Gold (von Degussa????), Minenaktien, Aktien, Sachwerte und Barvermögen angelegt, perspektivisch sollen unter anderem auch Diamanten dazugehören.
“Der ‘Wertefonds’ wurde Anfang Januar 2017 aufgelegt und hat bis zum 8. Januar 2020 4,4 Prozent Rendite erzielt. In dieser Zeit stiegen – in Euro gerechnet – der globale Aktienmarkt um 38 Prozent und der Goldpreis um fast 29 Prozent. Mit Kosten in Höhe von 1,94 Prozent pro Jahr ist der Fonds überdies relativ teuer. Dazu kommt eine eigenwillige Erfolgsgebühr, von der Anleger bislang aufgrund der dürftigen Rendite jedoch verschont blieben”, schreibt der Spiegel.
Mein Rat: Affen statt Experten. “Menschen, die ihre Zeit damit verbringen und ihren Lebensunterhalt damit verdienen, sich gründlich mit einem bestimmten Sachgebiet zu beschäftigen, erstellen schlechtere Vorhersagen als Dartpfeile werfende Affen, die ihre ‚Entscheidungen’ gleichmäßig über alle Optionen verteilt hätten. Selbst auf dem Gebiet, das sie am besten kannten, waren Experten nicht deutlich besser als Nichtexperten”, so Daniel Kahneman.
Also öfter in den Zoo gehen oder Dart spielen, statt bedeutungsschwer herumlabernden “Profis” und Crash-Propheten zu lauschen.