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Hinter jeder politischen Idee, hinter jeder Vision oder schnell artikulierten Reformforderung muss ein praktikabler Plan zur Umsetzung stehen #GEG

germany flag in front of building
Photo by Ingo Joseph on Pexels.com

„Fachkenntnisse muss man am wenigsten mitbringen, wenn man ein Spitzenamt in der Politik erreichen will. Das klingt erstaunlich, hat sich aber bewährt. Immer mal wieder werden Expertenregierungen gelobt, so zuletzt in Österreich im zweiten Halbjahr 2019. Sie werden aber letztlich immer nur als Übergangsmodell angesehen. Und das ist auch richtig so“, meint der Ex-Minister Thomas de Maizière. Politik geht über die fachliche Eignung hinaus.

„Meine Erfahrung ist, dass reine Fachleute zur Führung einer großen Organisation wie etwa eines Ministeriums nicht genügend Distanz mitbringen. Gute Lehrer, Rechtsanwälte, Ärzte oder Unternehmer sind nicht automatisch die besten Kultus-, Justiz-, Gesundheits-oder Wirtschaftsminister. Und Virologen wären in einer Pandemie, wie wir sie 2020 durch das Coronavirus erlebt haben, auch nicht unbedingt die besten politischen Krisenmanager.“

Ministerinnen und Minister, die glauben, sie seien in allen Themen die besten Sachbearbeiter, machen häufig keine gute Figur: Die Mitarbeitenden in einem solchen Ministerium würden die eigene gedankliche Arbeit schnell einstellen. Fachkenntnis müsse man also nicht mitbringen in ein Ministerium, wohl aber die Bereitschaft, sich in die Sachmaterien des Ressorts gründlich einzuarbeiten. Das gilt für die Grundzüge ebenso wie für wichtige Details. Für einen neuen Amtsträger sei darüber hinaus das Erwartungsmanagement wichtig. Wer zu viel auf den Putz haut und den allwissenden Strategen heraushängt, scheitert schnell an dem Unvorhersehbaren. Viele Bedingungen für Erfolge oder Misserfolge sind schlichtweg nicht beeinflussbar. Auch nicht Flutkatastrophen. Kluge Kommentare hört man dann immer nur im Nachhinein.

„Politische Führung bedeutet, selbstgeweckte Erwartungen zu übertreffen und nicht erfüllbare Erwartungen zu vermeiden“, rät de Maizière. Man sollte gar nicht erst den Eindruck erwecken, als
könne man alle Erwartungen erfüllen. Am Gebäudeenergiegesetz ist das gerade live mitzuerleben.

„Die Bewertung und der Erfolg von politischer Führung werden in Zukunft mehr denn je von einem gelingenden kollektiven Führungsverhalten abhängen“, betont der CDU-Politiker.

Hinter jeder Idee, hinter jeder Vision oder schnell artikulierten Reformforderung muss ein praktikabler Plan zur Umsetzung stehen. Mit Plan meint de Maizière eine Art grobes Drehbuch: ein strategisches Ziel, wichtige Unterziele, Schrittfolgen zur politischen Beschlussfassung über diese Ziele und die Betrachtung der Ressourcen und Möglichkeiten zur Umsetzung. Vielfach wird das in politischen Debatten schlichtweg beiseite geschoben. Ob bei Lobbyisten, Beratern, Wissenschaftlern oder Medien. Man braucht Umsetzungskompetenz. Fundamentalkritiker verdrängen diese Notwendigkeit:

Selbst eine gesetzgeberische Mehrheit in Bundestag und Bundesrat genügt oft nicht, um eine strategische Reform durchsetzen zu können.

„Gesetze allein verändern immer weniger die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit. Hierzu bedarf es auch einer Verwaltung, die bereit und in der Lage ist, den gesetzgeberischen Willen umzusetzen. Es bedarf entsprechender Haushaltsmittel, ohne die das Ziel der Reform nicht gelingen wird. Immer mehr
bedarf es einer Umsetzung durch Informationstechniken (IT), deren Bedeutung für den Erfolg bei der Umsetzung einer solchen strategischen Reform zumeist unterschätzt wird.“ Nachzulesen in dem Opus „Die Kunst guten Führens. Macht in Wirtschaft und Politik“, von Karl-Ludwig Kley und Thomas de Maizière, erschienen im Herder-Verlag.

Nach der Lektüre sollten die Ungeduldigen auf Twitter und Co. ein wenig mehr über die Sinnlosigkeit von Ich-weiß-wie-es-geht-Diskurse nachdenken: Von Klimapolitik bis Katastrophenschutz.

Entscheidend ist dabei Offenheit und Zugänglichkeit bei politischen Entscheidungen. Keine Hinterzimmer-Kungelei, staatlich orchestrierte Big-Nudging-Atkionen, geschwärzte Dokumente oder überhebliche Kommunikation von Führungsleuten in politischen Ämtern.

In einer privatisierten Öffentlichkeit mit einem Überschuss an Meinungen, Schwurbeleien und kruden Gerüchten sollte die Politik auf die Vermittlung von Themen besonders achten.

Löblich ist ein Projekt der Bertelsmann-Stiftung: Europäische Demokratie an der Basis stärken: Mehr Kompetenzen für Bürgerbeteiligung. Passt gut zu einem Gedanken von Rüdiger Altmann, dem früheren Berater von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard:

Altmann betonte die Kraft der Popkultur. Die mediale Kultur habe einen großen Bedarf und Verbrauch an Ideen. „Darin unterscheidet sie sich deutlich von der Kultur der Klassengesellschaft alten Stils. In gewissem Sinne ist sie unideologisch. Zugleich entfaltet sie in der Massengesellschaft ein Kommunikationsfeld von großer Kraft….” Genau das sollte von der europäischen Zivilgesellschaft ausgehen. Vielleicht ist die Popkultur ein veritables Mittel, den Nationalisten und Rassisten in den europäischen Staaten das Wasser abzugraben – in transnationalen Dialogformaten.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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