
In digitalen Fragen agieren Sohn@Sohn beständig nach dem Motto “Eat your own dogfood”. Man darf nicht nur über digitale Transformation labern, sondern muss es auch ausprobieren. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Gleiches gilt für die notwendige Ökowende, um im Klimaschutz voranzukommen. Habitus, Imagefassade und Ökorhetorik im privaten und im beruflichen Kontext sind häufig nichts weiter als Camouflage. Die meisten Menschen in Deutschland – nennen wir sie die Normalos – verhalten sich viel ehrlicher. Sie unterschreiben keine Petitionen, sind auf Demos nicht präsent, schauen nicht betroffen in die Kameras und beten keine Sprüche herunter, die in irgendwelchen Rhetorik-Polit-Workshops vermittelt werden. Diese Menschen verhalten sich umweltbewusster, als irgendwelche Berufsmahner, die ihren Winter im eigenen Ferienhaus auf den Kanaren verbringen oder Gerichtstermine sausen lassen wegen eines Urlaubs auf Bali.: “Herbst und Winter sind ja in Deutschland kaum zu ertragen”. Normalos können sich das nicht erlauben.
Sie fahren zum Pauschalurlaub nach Österreich mit der Bahn, trinken entweder lokales Bier oder Pfälzer Riesling statt importierten Pinot Grigio. Zuhause werden noch die Socken gestopft. Man wohnt im Hochhaus, wie die Familie Sohn im 12. Stock in der Fritz-Erler-Allee 16 in Berlin-Neukölln. U-Bahn, S-Bahn oder Bus sind die gängigen Verkehrsmittel für die Fahrt zur Arbeit – zumindest bei Jutta und Dieter Sohn.
Die habituellen Ökologen ernähren den wohlbehüteten Nachwuchs, der ganztags in Privatschulen auf das harte Leben vorbereitet wird, selbstverständlich nur mit pestizidfreiem Karottenmus und nutzen ausschließlich Toiletten mit Wasser-Spartaste. Mit dem Drittwagen, in der Regel mit E-Antrieb, fährt man zum Wocheneinkauf in den Feinkostladen, favorisiert Flugreisen zu fernen Zielen, ergötzt sich an fremden Kulturen und unberührter Natur (die dann nicht mehr unberührt ist). Selbstredend nächtigen die habituellen Ökologen im tropenholzfreien Designerbett, tröpfeln auf den Salat feinsten Balsamicoessig und schmieren auf die Haut Aloe vera. Letzteres wurde nach einem Entspannungsworkshop auf Teneriffa erworben. Als Berufspendler verweisen sie auf die ökologischen Vorteile des Energiessparhauses und betonen die Umweltfreundlichkeit ihrer Fahrzeugflotte, ergänzt um E-Bikes für die ganze Familie. Der Stress im täglichen Stau des Berufsverkehrs wird mit Waldbädern am Wochenende kompensiert.
Tropenholz wird boykottiert, ohne den Kahlschlag des Tropenwaldes für Ölpalmen- oder Gummibaum-Plantagen zu verhindern. Dafür glauben die habituellen Ökologen an das Öko-Siegel ihrer Latex-Gamaschen, die sie bei ihren Fernreisen gerne anziehen. Zudem sind die habituellen Ökologen erstaunlich gut informiert über die Steuerabzugsfähigkeit von Spenden an WWF & Co.. Dass auch Naturkosmetik auf Palmölbasis dem Regenwald schadet, wird nicht hinterfragt. Ähnliches gilt für die ökologisch fragwürdigen Transportwege von Amaranth. Das Power-Korn braucht man halt zum Brotbacken, um die Bürgerinitiative gegen das in der Nachbarschaft geplante Windrad mit vorzüglichen Lachsschnittchen zu erfreuen.
Hinter dieser Öko-Premium-Image-Fassade verbirgt sich häufig nur Eulenspiegelei. Etwa bei Biokunststoffen, die als Alternativprodukte eingekauft werden. Die unerwünschten Nebenwirkungen der Biokunststoffe schiebt man zur Seite. Dabei sind solche Materialien leicht entflammbar und sehr reaktionsfreudig mit Wasser. Deshalb werden sie mit weiteren Polymeren und Zusatzstoffen kombiniert. Um sie formbar zu machen, setzt man Weichmacher und Plastifizierungsmittel wie Sorbit oder Glycerin ein. Eine wasserabweisende Wirkung entsteht durch die Zugabe von Polymeren wie Polyester. Wie soll dieser Cocktail umweltschonend abgebaut werden? Es ist daher kein Wunder, wenn die Bioplastik-Lobby den kostspieligen Aufbau von Sortier- und Recyclingsystemen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschiebt. Aber das kann der habituellen Ökoklientel egal sein. Hauptsache Bio. Auch wenn das Mehrwegsystem der Naturkostbranche sich als Treppenwitz herausstellt, Marktführer für Biokost 80 Prozent ihrer Vorprodukte importieren, immer mehr Einweg-Getränke auf den Markt kommen, die Müllmenge pro Nase ansteigt und sich der Drittwagen mit E-Antrieb als Zusatzverbrauch herausstellt mit einem negativen Reboundeffekt, die Fassade muss gewahrt und verteidigt werden – auf jeder Cocktailparty, jedem Elternabend, jeder Talkshow-Inszenierung und jedem netzöffentlichen Diskurs.