Brief von Roland Barthes an Georges Raillard: „Es gibt eine Zeit im Jahr, in der man das Recht haben muss, die intellektuelle Maschine anzuhalten“

Brief von Roland Barthes an Georges Raillard, Paris 7. Januar 1973:

“Lieber Freund, ich danke Ihnen für Ihren Brief, aber meine Verlegenheit, Ihnen zu antworten, ist zweifach. Einerseits kann ich mich nicht verpflichten, beim Kolloquium anwesend zu sein (ich hatte es Ihnen gesagt). Ende Juni bis Anfang Juli ist die einzige Zeit im Jahr, in der ich eine Urlaubsreise machen kann, da ich vorher durch die Hochschule und nachher durch familiäre Verpflichtungen eingeschränkt bin: Ich kann diese Zeit beim besten Willen nicht entfremden; letztes Jahr hat mich das Kolloquium Bataille, das ich unvorsichtigerweise angenommen hatte, meinen Urlaub gekostet und dieses Jahr gibt es ein Kolloquium; ich muss ein wenig verschnaufen; sagen wir, wenn ich dieses Jahr nicht reise (das ist gut möglich), werde ich sicher kommen; es wird mir Freude bereiten, für Sie, für Butor; aber die Urlaubsreise, wenn sie denn stattfindet, wird vorangehen. Butor wird mich sicher verstehen: Es gibt eine Zeit im Jahr, in der man das Recht haben muss, die intellektuelle Maschine anzuhalten. Und außerdem habe ich keinen Titel, den ich Ihnen geben könnte; wenn ich komme, werde ich etwas improvisieren…“

Soweit ein Auszug des Briefes von Barthes an Raillard. Das Jahr 1973 ist wichtig, weil die Korrespondenz in eine Zeit fällt, in der sich Roland Barthes eine Wiederbelebung des Denkens von Batailles einleitete.

Erst durch Barthes‘ Auseinandersetzung mit Batailles Text „Le gros orteil“ in einem Artikel von 1972 erhielt Batailles wieder Aufmerksamkeit. Barthes interessierte sich weniger für Batailles Themen wie Erfahrung und Opfer, sondern vielmehr für die strukturellen Operationen der Verdrängung und Subversion.

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