Über die Nachhaltigkeit des Schafes #Bloggercamp.tv

Schwarze Schafe

In unserer Sendereihe Bloggercamp Update diskutieren wir gleich um 16 Uhr mit Christian Thunig von der absatzwirtschaft das Titelthema seines Magazins: Wo Marketing im gesellschaftlichen Auftrag wirkt.

Im Magazin geht es auch um ein soziales Textilunternehmen, das die Grundsätze der Nachhaltigkeit von A bis Z beherzigen möchte. Ein wichtiges Anliegen in einer schlecht beleumundeten Branche. Gut in Erinnerung ist mir noch der Auftritt von einem gewissen Herrn Dr. Schäfer, Leiter Recht und Steuern vom Gesamtverband textil+mode, bei einer Fachveranstaltung des Beschaffungsamtes. Schäfer hat ein sehr metaphorisches Verhältnis zum Schaf. Denn in seinem Powerpoint-Vortrag stellte er sich mit dem Foto eines Schafes vor. Wenn man Schäfer heißt, ist das naheliegend. Früher weidete das Schaf in Deutschland und die Wolle wurde im eigenen Land verarbeitet. Von der Spinnerei, über die Weberei und Färbung bis zum Nähen. Dann wurden die Endprodukte verkauft. Heute sei ja alles so komplex, kompliziert und internationalisiert. Es seien so viele Akteure mit im Spiel, dass es sehr schwierig sein wird, einen nachhaltigen Einkauf sicherzustellen.

Und wenn dann noch NGOs mit ihren Wünsch-Dir-was-Vorstellungen kommen, dann gewinnt man den Eindruck, hier gehe es gar nicht mehr um Wirtschaftlichkeit. Mit dem bunten Strauß an Vorschlägen, den die NGOs für die Nachhaltigkeit machen, bleibe der Gewinn auf der Strecke. Zudem sei das mit dem Vergaberecht auch so eine problematische Sache. Wenn der Staat das Anspruchsniveau anhebt, fallen die deutschen Anbieter weg. Die Bedenkenträger der Industrie verweisen auch gerne auf die Vergaberechtskammern des Bundeskartellamtes und die höchstrichterliche Rechtsprechung. Hier wurde in der Vergangenheit immer wieder propagiert, dass das Vergaberecht ausschließlich der Wirtschaftlichkeit und dem Wettbewerb zu dienen habe. Wenn jetzt ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte gleichrangig – also auch durchaus konkurrierend – Geltung haben sollen, passt dies nicht in das bisherige Denk- und Handlungsschema.

In den Eignungskriterien, bei denen es bekanntlich auch um Zuverlässigkeit und Gesetzestreue geht, braucht es mehr Flexibilität in der Entscheidungsfindung. Bisher darf die Eignung nur als starres Ja/Nein-Kriterium verwendet werden. Die Lösung wäre, die Eignungskriterien im Wettbewerb skalierbar und bewertbar zu machen – und damit auch nachhaltige Gesichtspunkte verlässlich dargestellt, bewertet und verglichen werden können. Wenn es die Bundesregierung ernst meint mit dem nachhaltigen Einkauf, könnte sie auch das Vergaberecht ändern, so der Naturwissenschaftler und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Ulrich von Weizsäcker:

„Dann müsste man bei den Lieferketten natürlich etwas größere Anstrengungen unternehmen, sowohl auf der Seite des Beschaffungsamtes als auch auf Seiten der zuliefernden Industrie.“

Es gebe zudem noch keine internationale Durchsetzung der Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation.

„Wenn aber der Druck aus Deutschland und anderen Ländern zunimmt, nimmt natürlich auch der Druck auf die Zulieferer der Zulieferer zu“, erläutert Weizsäcker im Interview.

Aber da gibt es ja noch das Schaf von Herrn Schäfer, das unter Kontrollverlust leidet. Nun nehmen wir einfach mal an, das Schaf von Herrn Schäfer wird geschlachtet. Dann läuft eine ebenso komplexe und nicht weniger anspruchsvolle Kette irgendwann zum Supermarkt meines Vertrauens (Kühlkette, Lebensmittelhygiene zu beachten – muss man in der Textilindustrie nicht).

Die Verkäuferin kann mir über eine vernetzte und intelligente Display-Waage mitteilen, wo das Schaf weidete, was es gefressen hat, wie es gefüttert wurde, wann und wo es geschlachtet wurde, wie und wo es verarbeitet wurde und welcher Teil des Schafes als Lammbraten auf meinem Teller landet. Wenn ich möchte, bekomme ich diese Informationen auf meinem Einkaufsbon ausgedruckt, zusammen mit einer Rotwein-Empfehlung und einem Rezept von Alfons Schuhbeck. Entweder ist das Schaf von Herrn Schäfer schizophren oder die Textilketten leiden unter Alzheimer. Selbst Hersteller von Hundefutter sind schon weiter.

Schnäppchenjäger als Weltretter

Und stellen wir uns einmal vor, man stellt eine ordentliche Kostenrechnung für das Schaf in der Textilkette auf – etwa bei der Herstellung eines T-Shirts. Was wäre, wenn sich die bislang nicht berücksichtigten ökologischen und sozialen Kosten genau quantifizieren und zuordnen ließen? Das günstigste T-Shirt wäre dann jenes, dessen Produktion Umwelt und Gesellschaft am wenigsten schadet. Schnäppchen-Jäger würden dann, ohne es zu wollen, einen positiven Beitrag für die Nachhaltigkeit leisten. Es gibt mittlerweile internationale Indizes, die es möglich machen, diese Standards durchzusetzen. Beispielsweise den Value Chain Index (VCI). Damit kann man Produkte während ihrer gesamten Entwicklungsphase detailliert miteinander vergleichen – „vom Rohstoff bis zum verbrauchten, entsorgten Erzeugnis“, schreiben Yvon Chouinard, Jib Ellison und Rick Ridgeway in einem Beitrag für die Dezemberausgabe vom „Harvard Business Manager“. Ellison ist Strategieberater für nachhaltiges Wirtschaften. Chouinard und Ridgeway sind vom Outdoorbekleidungs-Unternehmen Patagonia. Sie verweisen auf Organisationen wie Witness, die es dem Otto-Normal-Verbraucher ermöglicht, unsaubere unternehmerische Aktivitäten auf der ganzen Welt aufzudecken. Ein Mausklick reiche heute aus, um soziale und ökologische Fehltritte öffentlich zu machen. Witness tituliert das als „Video Advocacy“ und legt den Aktivisten die Maxime nahe:

„See It, Film It, Change It“. All das werde die Nachhaltigkeit vorantreiben, so die drei Autoren: „Das führt geradezu zwangsläufig dazu, dass ein erfolgreiches Unternehmen künftig im Einklang mit den Interessen unseres Planeten wirtschaften wird und muss – wie es von vielen bereits seit Langem angestrebt wird.“

Die liebwertesten Gichtlinge der Industrie und Politik sind unter Zugzwang: Laut einer Studie im Auftrag der Otto Group verliert die Wirtschaft ebenso wie die Politik rasant an Vertrauen in der Bevölkerung. Profiteure sind die NGOs: 91 Prozent der Deutschen vertrauen ihnen, nur jeder Dritte den Unternehmen.