
Die Bundesregierung zieht sich für zwei Tage zur Kabinettklausur zurück – und allein die Tagesordnung liest sich wie ein ökonomischer Notfallplan. „Wettbewerbsfähigkeit“ ist das Leitwort, gleich doppelt prominent platziert: als nüchterne Standortdiagnose mit Princeton-Ökonom Markus Brunnermeier und als anschließender „Deep Dive“ in die eigenen Versäumnisse. Es wirkt, als hätten Kanzler Friedrich Merz und seine Koalition aus Union und SPD endlich erkannt, dass Deutschland Gefahr läuft, in Europa und der Welt weiter abzurutschen.
Dass diese Erkenntnis ausgerechnet im Herbst 2025 kommt, ist bezeichnend. Seit Jahren warnen Wirtschaftsforscher vor sinkender Produktivität, vor Energiepreisen, die Investoren vertreiben, vor maroder Infrastruktur und einer erdrückenden Bürokratie. Die industrielle Substanz bröckelt, die Zahl der Insolvenzen steigt, die Innovationskraft wandert ab. Nun sollen Brunnermeier, Lufthansa-Managerin Grazia Vittadini und Schwarz-Gruppe-Chef Gerd Chrzanowski der Regierung erklären, wie Wettbewerbsfähigkeit geht – als bräuchte es erst den Spiegel von außen, um Bewegung in Berlin auszulösen.
Die Agenda klingt ambitioniert: eine „zukunftsorientierte“ Haushalts- und Finanzpolitik (Finanzministerium), weniger Handelsbarrieren und effizientere Regulierung (Wirtschaftsministerium), smarter Umwelt- und Klimaschutz als Wettbewerbsvorteil (Umweltministerium), Infrastrukturmodernisierung (Verkehrsministerium), dazu die große High-Tech-Agenda für Deutschland, flankiert von einer Modernisierung des Staates selbst. Alles Schlagworte, die seit Jahren durch Koalitionsverträge geistern, ohne dass sie spürbar Realität geworden wären.
Die entscheidende Frage lautet: Bleibt es bei Ankündigungen – oder folgt endlich Umsetzung? Denn die Defizite sind längst keine akademische Debatte mehr, sondern ein akutes Standortproblem. Unternehmen verlagern Werke, Start-ups wandern ab, internationale Investoren zucken die Schultern. Deutschland hat sich in eine Mischung aus Selbstzufriedenheit und Reformstau manövriert.
Wenn Merz also zum „Reformherbst“ ruft, dann wird sich die Glaubwürdigkeit seiner Regierung daran messen, ob die Klausur den Übergang vom Reden ins Handeln markiert.
Die Kabinettklausur könnte der Startschuss für einen neuen Kurs sein – oder sie wird zum nächsten Ritual politischer Selbsterklärung. Deutschland kann sich Letzteres nicht mehr leisten. Wettbewerbsfähigkeit entsteht nicht in PowerPoint-Präsentationen hinter verschlossenen Türen, sondern auf Fabrikhöfen, in Forschungslaboren und auf den Märkten. Die Zeit läuft: Entweder die Bundesregierung kommt endlich in die Pötte – oder sie verspielt den Standort.