
„Bis 2030 wird der persönliche KI-Concierge auf Smartphone, Uhr oder Brille für die Mehrheit der Nutzer selbstverständlich sein“, so die Prognose des Analysten Christian Bartels. Das Ganze steht im Zusammenhang mit einer Fachrunde auf der re:publica 2017 in Berlin, wo wir über die Entwicklungsperspektiven von Chatbots sprachen. Die Glaskugel-Aussage von Christian wird dann Realität, wenn Organisationen von Wirtschaft und Staat endlich erkennen, wie wichtig Investitionen in Kundenservice ist. Häufig zählt das eher zum Pflichtgeschäft ohne großen Enthusiasmus. In einem Interview sagte mir einmal ein Consultant, die Top-Vorstände würden mit dem Rücken zu ihren Mitarbeitenden im Kundenservice stehen. Das ist heute doch auch noch so.
Auf dem Fachkongress Voice Days im Jahr 2009 kritisierte Professor Wolfgang Wahlster, der damalige Chef des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) http://www.dfki.de, eine Vielzahl von veralteten Sprachcomputern, die noch im telefonischen Kundenservice zum Einsatz kommen. „Rund die Hälfte der Systeme hat mittlerweile zehn bis fünfzehn Jahre auf dem Buckel. Hier gibt es einen extremen Investitionsstau. Diese Technologien verkümmern und sollten lieber abgeschaltet werden. Auch Mitarbeiter im Call Center müssen ständig geschult werden. Gleiches gilt für Sprachcomputer“, sagte Wahlster. Leider komme das Thema Self Service in vielen Firmen nicht in den Top-Etagen an. Folgeinvestitionen in smarte Dialogsystemen würden daher ausbleiben. An den dummen und alten Systemen leide die gesamte Branche.
Der völlige Verzicht auf moderne Sprachsysteme, wie er in Werbefilmen proklamiert wird, sei allerdings ein Schuss in den Ofen. „Bei der Auslegung des Bürgertelefons 115 wurde Sprachtechnologie völlig ausgeblendet. Das kann nicht funktionieren. Es gibt nicht den allwissenden und jederzeit verfügbaren Mitarbeiter im Call Center. Das ist der große Vorteil des Sprachcomputers, was man am Sprachportal der Deutschen Telekom, dem Hauptsieger des diesjährigen Voice Award-Wettbewerbs gut nachvollziehen kann. Es bewältigt 250.000 Anrufe pro Tag und spart den Kundenberatern durch die Voraberkennung der relevanten Rufnummer viel Zeit. Das System führt bei Störungsmeldungen einen automatisierten Leitungstest durch und überprüft, ob vielleicht ein Inkassofall als Grund für den Leitungsausfall verantwortlich ist. Hier wird eindrucksvoll nachgewiesen, wie man eine Vielzahl von Standardfragen sofort über automatische Systeme beantworten kann. So etwas ginge auch mit Abholterminen für Sperrmüll, Öffnungszeiten, Tarifen und vielen weiteren Bürgeranliegen“, erklärte Wahlster, der den Vorsitz der Voice Award-Jury innehatte.
In der Spracherkennung sei man sehr viel weiter. So könnten die Applikationen kontinuierlich gesprochene Sprache, die so genannte Spontansprache, sehr gut analysieren. „Sie brauchen also nicht mehr abgehakt mit dem Computer reden und hinter jedem Wort eine Pause machen, sondern können in ganzen Sätzen flüssig sprechen und sich sogar versprechen, was im Alltag ja häufig vorkommt. Das haben die modernen Sprachportale gut im Griff“, so Wahlster.
Selbst Dialekte, wie im fränkischen Nürnberg, seien kein Problem mehr für die Mensch-Maschine-Kommunikation. Allerdings seien Computer keine Übermenschen. Nachfragen bei Verständnisproblemen gehörten auch im normalen Call Center zum Tagesgeschäft. „So sind beispielsweise Städtenamen in Deutschland in einem hohen Grad mehrdeutig. Diese Herausforderung hat ein weiterer Voice Award-Gewinner gut gelöst. So erkennt der Apotheken-Notdienstfinder 22833 über 15.000 Ortsnamen. So etwas wäre noch vor fünf Jahren technisch nicht möglich gewesen. Da gibt es einen enormen Entwicklungssprung. Bei zu großen Orten mit zu vielen Apotheken kann durch Eingabe der Postleitzahl der Suchraum auf einen Stadtteil beschränkt werden. Die Sprachsynthese für über 21.000 Apothekennamen und deren Kontaktdaten ist gut verständlich“, erläuterte Wahlster.
Diesen Vorsprung beim Sprung zu semantischen Diensten hat man in Deutschland leider nicht ins Ziel gebracht. Vom Schrottniveau im Kundendialog ist man nicht so richtig runtergekommen. Anrufe bei irgendwelchen 0800-Nummern bestätigen das jeden Tag. Es wird schwierig mit der Prognose von Christian Bartels.