Warum Torheiten sinnvoll sind und sich das Flüchtige nicht zementieren lässt

Lob der Torheit
Lob der Torheit

Schon vor vierzig Jahren beobachtete der Gesellschaftsfuturologe Alvin Toffler eine Tendenz, die das System der Bürokratie immer mehr herausfordert und schließlich ganz ersetzen wird: Toffler sprach von der „Adhocratie“. Bürokratien eignen sich bestens für Aufgaben, bei denen viele Mitarbeiter ohne Spezialausbildung Routinearbeiten ausführen. Es sind statische Gebilde und dauerhafte Strukturen mit einem einfachen hierarchischen Aufbau aus dem Maschinenzeitalter. Adhocratien verlangen völlig andere Führungsmechanismen und Technologien.

Das langsame Tempo des Maschinenzeitalters gewährleistete eine Verzögerung der Reaktionen über beträchtliche Zeiträume hinaus.

„Heute erfolgen Aktion und Reaktion fast gleichzeitig. Wir leben jetzt gewissermaßen mythisch und ganzheitlich, aber wir denken weiter in den alten Kategorien der Raum- und Zeiteinheiten des vorelektrischen Zeitalters“, schrieb Marshall McLuhan in seinem legendären Opus „Die magischen Kanäle“.

Entsprechend steigt die Unzufriedenheit. Echtzeit-Management kann man nicht mehr mit den Methoden des Fordismus bewältigen. Es gehe nicht mehr darum, herauszufinden, wie sich das Flüchtige besser zementieren lässt, kommentiert die Publizistin Kathrin Passig. Wir müssten kompetenter im Umgang mit veränderlichen Konstellationen werden, anstatt napfschneckengleich an immer denselben Stellen klebenzubleiben.

Als Rezeptur empfiehlt der amerikanische Organisationspsychologe James C. March eine „Technologie der Torheit“ – so ein wenig im Geiste des Großdenkers Erasmus von Rotterdam. Er meint damit aber nicht Albernheit, sondern Verspieltheit, um Raum für Experimente zu schaffen.

„Beim Spielen gibt es keine Hemmungen. Wenn wir spielen, können wir Dinge tun, die uns sonst nicht erlaubt sind. Wenn wir aber nicht spielen und die gleichen Dinge tun wollen, müssen wir unser Verhalten rechtfertigen. Gelegentliche Torheit erlaubt es uns, Erfahrungen mit einem möglichen neuen Ich zu machen – aber bevor wir eine Veränderung dauerhaft in die Realität umsetzen, müssen wir Gründe dafür liefern“, so March im Interview mit Harvard Businessmanager.

Die Ausbildung von Führungskräften sei so stark dem Zauber der Rationalität verfallen, dass extrem in Richtung Torheit gedrängt werden muss, um wenigstens eine kleine Wirkung zu erzielen.

„Gleichzeitig gehe ich aber davon aus, dass niemand von uns in einer Welt leben möchte, in der die Torheit regiert und die Tatsache ignoriert wird, dass sich der Mensch unter anderem durch eine ganz besondere Rationalität auszeichnet.
Es ist alles eine Frage des Gleichgewichts.“

Manager seien in der Praxis manchmal weniger reflektiert, als sie sein könnten.

„Die Rhetorik des Managements erfordert von Führungskräften, so zu tun, als wären die Dinge klar, als wäre alles ganz einfach. Sie wissen, dass die Dinge in ihrem Job oft wenig eindeutig und widersprüchlich sind, aber sie dürfen diese Tatsache nicht offen aussprechen. Führungskräfte sehen ihre Rolle darin, Mehrdeutigkeiten und Unsicherheiten zu beseitigen. Sie bräuchten eine Möglichkeit, eine klare Führungsrhetorik mit der verwirrenden und ambivalenten Realität zu vereinbaren. Ich glaube, es hilft, Gedichte zu lesen, aber das ist nur eine bescheidene Antwort auf ein großes Problem“, sagt March.

Vielleicht helfen dann wenigstens die Störenfriede weiter, die ich in meiner The European-Kolumne ins Spiel gebracht habe.

Mein Opus ist leider ein wenig im allgemeinen Cebit-Trubel untergegangen.

Was Konzerne wie Telekom, SAP und Co. umtreibt, sind letztlich Effizienzinnovationen:

„Also immer besser, schneller, höher, weiter – aber halt mehr vom selben“, kommentiert der ehemalige Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger im Revue-Gespräch mit dem Soziologen Dirk Baecker die Gemengelage in Deutschland.

Die reine Effizienzdenke, die auch in Konzernen der Autoindustrie vorherrscht, konnte dann aber nicht verhindern, dass ein Wettbewerber wie Toyota auf diesem Feld noch ein Stückchen besser ist. Vielleicht liegt es an unserer traditionellen Ausbildung der Ingenieure und der Dominanz der vertrockneten Betriebswirtschaftslehre, die zur Monotonie im Denken beitragen. Manager zelebrieren sich in der Aufrechterhaltung von Routinen, meint Sattelberger.

Es sind in der Mehrheit eher Schafe im Wolfspelz. Umgekehrt wäre es besser, da nur Wölfe in neuen Territorien streunen. Die reale Welt funktioniere anders als das gesprochene Wort des Top-Managements suggeriert, betont Sattelberger.

„Was macht die deutsche Telekom angesichts des hochprofitablen Siechtums im Mobilfunk und Festnetz? Was macht die deutsche Automobilindustrie mit der Einsicht, dass ihr Profit weitgehend von den Launen der ‚neuen Reichen‘ in Südamerika oder Asien abhängt? Da versagen die Firmen auf ganzer Linie.“

Insofern braucht das satte und arrivierte System viele kleine Störenfriede, die den alten Säcken auf die Nerven gehen und sie herausfordern. Honoratioren, die sich in der Pracht ihrer eleganten Dienstwagen suhlen und von der Protzigkeit ihrer eingebauten Turbotechnik ganz besoffen sind, können sehr leicht von den anarchischen Geistern der Netzszene demontiert und entlarvt werden. Wer in Seilschaften von Davos bis Brüssel im eigenen Saft herummauschelt, verliert die Kraft für Neues.

Wer hat Ideen für Torheiten in Organisationen und will sie mal demonstrieren? Dann sollten wir das in Hangout-Interviews ausprobieren 🙂

So in Richtung dieser Story: G1-Gipfel: Putin wirft übrige sieben Staaten aus G8-Gruppe.

Und steigert Macht wirklich die Lernbereitschaft? Positionseliten, die sich über ihre Machtposition in Wirtschaft und Politik definieren, sind alles andere als lernbereit.

3 Gedanken zu “Warum Torheiten sinnvoll sind und sich das Flüchtige nicht zementieren lässt

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