Über Wortblähungen, Floskeln und Pleonasmen

Der Publizist Frank Böckelmann hat sich vor einigen Jahren in der Machart eines Ratgebers mit den Paradoxien des Alltags und den Kontroll-Schimären beschäftigt. In seinem Buch „Risiko, also bin ich“ beschreibt er die Kehrseiten einer permanenten Selbstüberforderung: „Überall werden lebensfüllende Erfolgs-, Gesundheits- und Sicherheitsprogramme gehandelt.“ Das Ganze ist schon so etwas wie Lebensersatz. Und dennoch erleben die Vorsichtigen, die jährlich Durchgecheckten und die umsichtig Beratenen tagtäglich, wie ihre Sicherheiten zerbröseln.

Warum boomt die Beratungsindustrie seit Jahren? Und warum sind diese oberschlauen Berater nicht selten abgehalfterte Laberköppe, die es in ihrem erlernten Beruf nur selten zur Meisterschaft gebracht haben? „Warum will ein Meister der Wahrscheinlichkeitsrechnung den Lottospielern gegen geringes Entgelt verraten, wie die Gewinnchancen mittels raffinierter Systemwetten optimiert werden können? Warum optimiert er nicht seine eigenen Chancen und setzt sich mit den gewonnenen Millionen zur Ruhe? Warum begleitet ein berufsmäßiger Karriereberater überforderte Führungskräfte beim Bewältigen und Kräftesammeln, anstatt die Erfolgsleiter in der Wirtschaft selbst zu besteigen?“, fragt sich Böckelmann.

Die Scharlatane der Beratungsindustrie treffen dabei auf die Schweißspur wundergläubiger Manager, die sich unter wachsendem Leidensdruck nach geheimnisvollen Formeln sehnen: Die sieben goldenen Regeln für Reichtum, das Vademekum für Macht oder das Arkanum chinesischer Kultur für den Sieg über Konkurrenten. Jedes Programm wird selbstredend ganzheitlich praktiziert und mit Phrasen wichtigtuerisch garniert. Umstrukturierung, Neuorganisation oder Downsizing gehörten zu den Erfolgsformeln in den 1990er-Jahren. Gepaart wird das Management-Gesülze mit noch heute gern verwendeten semantischen Speerspitzen wie Effizienz, Effektivität, Innovation, Kreativität oder Agilität. Manager wollen zu jeder Zeit kreativ, innovativ und effizient an ihrer Effektivität arbeiten. Das geht am besten mit Konzepten, die in speziellen Kreativitätsseminaren gelernt werden. Manager stellen sich im Kreis auf, greifen zum feuchten Händchen des Nachbarn und rufen im Chor: „Es beginnt ein kreativer Tag und ich fühle mich gut. Just great.“

Vielleicht ergehen sich die gestressten Führungskräfte auch in albernen Rollenspielen oder ruinieren ihr schwarz-graues Outfit durch das Hantieren mit Knetmasse. Da fehlt dann nur noch das kollektive Einüben der Hechelatmung zwecks Unterstützung kreativer Presswehen in holistischen Trauma-Bewältigungs-Workshops. Autoritäre Unternehmensführung und bürokratische Entscheidungsabläufe können gestresste Mitarbeiter mit einer „Kulturoffensive“ besser ertragen. Mithilfe eines Kulturberaters entwickelt der PR-Chef ein Unternehmensleitbild. Sieben Thesen, sieben Sätze, sieben Seiten, sieben Weisheiten. In dem Leitbild ist zu lesen, wie wichtig Mitarbeiter und Kunden sind – bei einer Aktiengesellschaft kommen noch die Aktionäre oder Shareholder dazu.

Dümmlicher Kalenderjargon

Ganz fortschrittliche Unternehmen beteuern unter Sonstiges gerne, dass die Arbeit Spaß machen solle und Umweltbelastungen etwas ganz Schreckliches sind. Damit jeder Mitarbeiter das unheimliche Gesicht seines Chefs verinnerlicht, wird „Management by walking around“ praktiziert. Jeden Freitag gibt es darüber hinaus einen „Beer Bust“: Freibier für müde Mitarbeiter. Neue Titel für ehrgeizige Manager im Unternehmen fördern die „Corporate Culture“. Außendienstmitarbeiter mit guten persönlichen Drähten wandeln sich zum „Key Account Manager“. Das bringt zusätzliche Motivation. Von der Konkurrenz abgucken nennt man „Benchmarking“, frei nach dem Motto: Der Nachbar fährt Tesla, was habe ich da falsch gemacht? Hat man dann herausbekommen, dass der Nachbar nach dem Frühstück fünf Kniebeugen macht, dann macht man es auch und hat den E-Flitzer schon in der Tasche.

Viele Theorien und aufgeblasene Sprachungetüme sind bei näherer Betrachtung nichts anderes als dümmliche Kalenderweisheiten. Manager und Berater dürfen sich deshalb nicht allzu verständlich ausdrücken. Sonst könnte die schmalbrüstige Inkompetenz des Gesagten zu schnell ans Tageslicht gelangen. In Vorstandsetagen wird täglich in „Meetings“ nach der „Strategy“ gefahndet, um sich besser aufzustellen, neue Projekte einzukippen, „Commitments“ zu erzielen und am Markt durch „Empowerment“ den optimalen, effizienten und effektiven USP zu erreichen. Die Liste ließe sich auch berufsspezifisch erweitern, um den „ganzheitlichen Ansatz“ der „synthetischen Prozess-Communication“ zu untermauern und die „systematische Success-Analyse von CRM-Maßnahmen auf die „zielgruppenspezifische Evaluationspräzision“ im Bereich und auf Ebene der „Cross-Selling-Aktivitäten“ zu integrieren.

Die Flut der Wortblähungen, Floskeln und Pleonasmen der Coaching-Gurus helfen allerdings nicht weiter und machen die eigene Karriere auch nicht sicherer: „Man stelle sich vor, fast allen Gecoachten gelänge es, diesen Zielen nahezukommen. Dann wäre die teuer bezahlte mentale Fitness nicht mehr wert als die Fähigkeit, Auto zu fahren. Die jahrelange, jahrzehntelange Dressur wäre umsonst gewesen“, resümiert Böckelmann.

Ein Gedanke zu “Über Wortblähungen, Floskeln und Pleonasmen

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.