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Über politische Willensbildung auf privaten Servern – Replik auf @Digitalnaiv

Stefan Pfeiffer zitiert mich in seinem Blogpost: “Ich wurde nie von Mark Zuckerberg irgendwie in meiner Arbeit behindert, selbst wenn ich extrem kritisch war”, schreibt Gunnar Sohn in seinem Beitrag. Stefan ergänzt: “In dieser glücklichen Situation waren einige amerikanische Journalistinnen und Journalisten nicht, die von Twitter ausgesperrt wurden. Auch auf Insta und Facebook seien Tausende ohne Begründung gesperrt worden, so Thomas Kuhn. Für Trump jedoch scheinen bei Meta (und wohl auch Twitter) andere Regeln zu gelten, frei nach dem Motto von Orwell in Animal Farm ‘Alle sind gleich, einige aber gleicher'”, so Pfeiffer. Das habe ich ja schon tausendmal angeführt. Es gibt und gab auf den Social-Web-Plattformen willkürliche Aktionen gegen User auf Grundlage der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die fast niemand von uns wirklich kennt oder komplett durcharbeitet: Also herrscht AGB-Willkür. Das gilt nicht nur für schräge politische Gestalten wie Elon Musk oder für Mark Zuckerberg. Das ist in unterschiedlichen Konstellationen auch bei Google und Co. zu verzeichnen. Stefan kann das ja mal bei YouTube ausprobieren.

Der politische Meinungsbildungsprozess findet auf privaten Servern statt – auf zentralistisch oder dezentral verwalteten Servern. Und hier können die Chefs der Netzgiganten und auch lokale Fürsten nach Lust und Laune virtuelle Existenzen ein- und ausschalten. „Wir brauchen neue Regeln, und zwar international“, forderte Sascha Lobo, der dafür vor Ewigkeiten die UNO ins Spiel brachte. In der Tat geht es um ein völkerrechtliches Problem. Es geht um Weltfragen. Doch stattdessen wird national und international weiter von oben nach unten hinter verschlossenen Türen entschieden. Bürger bekommen keinen Zugang zu Dokumenten, politische Verhandlungen laufen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und Einflüsterungen von Lobbyisten bei Gesetzesinitiativen würden nicht öffentlich, kritisiert der Internet-Governance-Experte Wolfgang Kleinwächter.

Gefragt sei eine kollaborative, transparente und durchlässige Entscheidungsfindung in Gremien wie ICANN – die Organisation koordiniert die Vergabe einmaliger Namen und Adressen im Internet. An deren Treffen könne jeder teilnehmen und seine Meinung äußern. „Demokratie bei ICANN fängt damit an, dass jedes Meeting und jede wichtige Session gestreamt werden. Jede Sitzung wird transkribiert. Jeder kann nachlesen, was Teilnehmer wortwörtlich gesagt haben. Es gibt Diskussionsforen, bei denen man sich einklinken kann. Man wird rechtzeitig eingeladen. Es gibt Fristen, die eingehalten werden müssen.“
Regierung, Privatsektor und Zivilgesellschaft müssen gleichberechtigt an der Gestaltung der Netzöffentlichkeit mitwirken können. Internet kann nur dann global funktionieren, wenn alle in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Kleinwächter forderte zudem im ichsagmal.com-Interview eine Abkehr von Prangermethoden, die im 15. oder 16. Jahrhundert üblich waren. So etwas gehört nicht in unsere Zeit. Auch Internet-Plattformen benötigen transparente Verfahren zur Streitschlichtung: „Hier sehe ich eine große Lücke für Internet Governance“, beklagt Kleinwächter.

Auch vor der Twitter-Herrschaft von Musk gab es merkwürdige politische Manipulationen. So arbeitete der Konzern eng mit dem FBI zusammen, belegte Accounts mit einem „Shadowban“ zur heimlichen Reichweitenbeschränkung und sperrte nach kritischen Berichten über Hunter Biden den Account der New York Post. 

Zweifelhaft auch, was unter dem Begriff “Visibility Filtering” gelaufen ist. Der Filter hat es wohl ermöglicht, Tweets nicht auffindbar zu machen, die Verbindung zu bestimmten Hashtags (also Begriffen) gekappt und verhindert, dass Beiträge in die „Trends“, also die bei Twitter besonders angesagten Themen, aufgenommen wurden. Bei bedeutenden Accounts sei das Unsichtbarmachen Chefsache gewesen und von der dem Vorstand zugeordneten Arbeitsgruppe „Site Integrity Policy, Policy Escalation Support“ erledigt worden.

Generell halte ich es für fragwürdig, Social-Web-Plattformen zu einem Staat im Staate zu erheben, wenn es um Fake News, Hate Speech und dergleichen geht. Hier sollte das Gewaltmonopol klar beim Staat bleiben. AGB-Willkür muss international bekämpft werden nach dem Vorbild von Icann.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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