U-Boot für digitalen Taylorismus? Hört auf mit den #NewWork Erzählungen, bringt empirische Befunde

Social TV-Studio auf der re:publica

Müssen denn die Führungskräfte New Work machen? Diese Frage stellt Sebastian Thielke in einem Beitrag für CIO-Kurator.

„Hier meine klare Ansage: Nein. Sie müssen es nur verstanden haben und sich entsprechend positionieren. Führung ist zur Zeit der Digitalisierung schon lange kein Thema der Position mehr. Eigentlich sollten sich Positionen schon längst in Rollen aufgelöst haben. Das Verständnis dafür, dass Rollen aber dynamisch sind, dass muss eine Führungskraft aufbringen und leben. Die Führung muss zum Befähiger werden. Wie sie dies tun, ist nicht von agilen Methoden abhängig.“

Soweit würde ich Thielke noch zustimmen.

Und dann kommt sein persönliches NewWork-Credo – und da wird es diffus:

„Wenn ich nach den Umsetzungen für New Work suchen und sie auch sehen will, dann gilt folgendes: Auseinandersetzen mit dem Gebiet und klare Klassifikation; die eigene Gedankenwelt verlassen und die Welt der Machenden betreten und teilen; die klassischen Modelle der Organisation und Unternehmen verlassen; die eigene Disruption anstreben und dann nach ähnlichem suchen.“

Vor dem nächsten Schlagwortfeuerwerk sollte man nach Meinung von Thielke Ordnung und Klarheit schaffen, dann klappt es auch mit der NewWork. Etwas dünn. Wie wäre es denn, sich mit der Realität in Organisationen auseinanderzusetzen. Das habe ich eingehend mit dem Gallup-Studienleiter Marco Nink auf der re:poublica in Berlin erörtert.

„Die Arbeitszufriedenheit in Deutschland hängt sehr stark von Führungsqualitäten ab“, so Nink.

Wie werden die emotionalen Bedürfnisse der Beschäftigten am Arbeitsplatz berücksichtigt? Da sieht es düster aus.

„Ist da jemand, der sich für mich als Mensch interessiert? Bin ich nicht nur ein Rädchen im Getriebe oder werde ich wirklich als Individuum behandelt? Die jährliche Engagement-Studie von Gallup fördert in den vergangenen 16 Jahren ein sehr drastisches Bild zutage. Den wenigsten Führungskräften gelingt es, diese Bedürfnisse zu adressieren“, erläutert Nink.

Die große Masse der Beschäftigten macht deshalb Dienst nach Vorschrift.

„Das ist keine Frage der Einstellung auf Seiten der Mitarbeiter, sondern eine Frage der Mitarbeiterführung“, betont Nink.

Was läuft also falsch in unserem Land, wo wir doch seit Ewigkeiten über NewWork, Motivation, flache Hierarchien, Mitbestimmung, 360-Grad-Beurteilungen, rote und blaue Felder in Organisationen, kybernetische Steuerungsmethoden und Motivationsmethoden sinnieren?

„Es beginnt beim Fremdbild und Selbstbild der Führungskräfte. Wir haben in der letzten Untersuchung gefragt, wie sich Führungskräfte einschätzen. Nahezu alle, also 97 Prozent haben uns gesagt, sie halten sich für eine gute Führungskraft. Wenn man das Fremdbild dagegen setzt, passt das überhaupt nicht zur Realität. Sieben von zehn Beschäftigten geben zu Protokoll, in ihrer beruflichen Karriere auf schlechte Führungskräfte gestoßen zu sein. Ein Fünftel denkt zur Zeit darüber nach, wegen des direkten Vorgesetzten das Unternehmen zu verlassen“, sagt der Gallup-Forscher.

Humankapital als Kostenfaktor

Es reicht wohl nicht aus, in hübschen Schaubildern und abstrakten Abhandlungen über die Veränderungen der Organisation zu fabulieren. Man muss grundlegender denken. Was macht gute Führung aus? Fast alle Vorgesetzten sind nach Erfahrungen von Nink fachlich hervorragend ausgebildet. Im Tagesgeschäft reicht das nicht aus. In MBA-Programmen, in der BWL oder in Business-Schools geht es in erster Linie um Kennzahlen, das Verwalten und um „Humankapital“ als Kostenfaktor. Der menschliche Umgang mit Mitarbeitern steht nicht auf der Agenda.

„Wir müssen die Ausbildung verändern und die Beförderungslogik in Unternehmen durchbrechen. In Deutschland macht jemand Karriere, wenn er lange dabei ist oder etwas besonders gut in seinen fachlichen Aufgaben kann. Das sind keine belastbaren Indikatoren. In vielen Fällen befördern Unternehmen ihre qualifizierten Mitarbeiter zu einer ganz schlechten Führungskraft“, kritisiert Nink in Berlin.

Besonders mangelhaft seien die digitalen Medienkompetenzen. Es gehe nicht mehr nur um Face-To-Face-Gespräche, sondern auch um virtuelle Teams, um Interaktion und um Matrix-Organisationen.

„Man schaut auf Kennzahlen und missachtet dabei die weichen Faktoren, was wiederum zu Lasten der Kennzahlen geht“, moniert Nink.

Ein Teufelskreis, der den Druck im Unternehmen weiter erhöht. Dabei haben Teams mit emotionaler Bindung 50 Prozent weniger Fehlzeiten, weniger Fluktuation, weniger Arbeitsunfälle und weniger Schwund in der Produktion. Sie kommen auch bei Kundenbewertungen besser weg. Wer sich um die qualitativen Kriterien der Arbeit nicht kümmert, versagt auch bei den quantitativen Kriterien. So einfach ist das.

Was in der Realität zu beobachten ist, bringt Professor Lutz Becker von der Hochschule Fresenius in einem Beitrag für das Buch „Transformative Wirtschaftswissenschaft im Kontext nachhaltiger Entwicklung“ zum Ausdruck:

„Der von der New Work-Bewegung scheinbar zu Grabe getragene Taylorismus scheint im ‚Digitalen Taylorismus‘ seine Reinkarnation zu feiern. So stattet Humanyze Mitarbeiter mit Trackern aus, die soziale Interaktionen quantifizieren…“

Wenn wir über die Wirkungen von New Work weiter sprechen wollen, dann sollten wir uns angewöhnen, empirische Belege für eigene Thesen zu kommunizieren. Meinungen und Behauptungen gibt es wie Sand am Meer. Es fehlt die Faktenlage.

4 Gedanken zu “U-Boot für digitalen Taylorismus? Hört auf mit den #NewWork Erzählungen, bringt empirische Befunde

  1. Sebastian Thielke

    Vielleicht habe ich es nicht so klar ausgedrückt, aber ich stimme Dir vollkommen zu. Wir müssen uns die Realität anschauen. Aber wir müssen dazu auch die Perspektive wechseln – von den Querdenkern hin zu den Dienst nach Vorschrift-Machern, von den Innovationsfanatikern hin zu den Fortschrittsängstlichen. Aber vor allem müssen wir immer wieder unsere Realität verlassen und die Realitäten anderen erfahren. NewWork existiert schon aber eben nicht auf der Stufe, wo wir es suchen. Es ist dort, wo wir es gerne auch haben wollen in den veränderten Bedingungen von Zusammenarbeit und Organisation. Aber wir erkennen diese nicht, weil wir immer noch nach den alten Mustern Ausschau halten. Denn die sind ja unser erklärter Feind.

    Auch die Aussage mit der Belegbarkeit kann ich nachvollziehen. Empirie stützt sich auf die Wahrheit der Zahlen und Wirtschaft ist nun einmal Zahlengetrieben. Also muss sich NewWork sicherlich beweisen.

    Nach wie vor stört es mich jedoch arg, dass es schon wieder eine ENTWEDER ODER Diskussion wird. Taylorismus oder NewWork. Klassisch oder total disruptiv. Wir sollten mal langsam darauf klar kommen, dass es sehr viele Hybride und Überschneidungen gibt. Auch hier gilt das Prinzip der Innovation – Nichts wird ersetzt, alles ergänzt sich.

  2. Empirie kann auch qualitativ sein. Nur nebenbei bemerkt. Zudem ist es wichtig, hinter die Kulissen von Organisationen zu schauen, um die Camouflage-Protagonisten herauszufiltern, die eben NW mit Nasenring-Systemen bestücken.

  3. Sebastian Thielke

    Das ist doch aber genau der Punkt den ich meine. Wir selbst und die Camouflage-Protagonisten machen das Nasenringsystem. Und selbstverständlich gibt es auch qualitative Empirie. Leider wird diese aber viel zu wenig in den Organisationen beachtet bzw. entsprechend gewichtet. Oder sie verkommt zu solchen Aussagen wie aus der Studie im Handelsblatt Artikel: Ich habe schon einmal davon gehört.

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