Thesen zum Vulgär-Kapitalismus im Silicon Valley – Live-Debatte ab 16 Uhr #NEO17x

„Wenn wir wirklich eine inklusive, nachhaltige und verantwortliche Gesellschaft und Ökonomie wollen, müssen wir unsere Bilanzen und Logiken ändern. Ich halte das für fundamental. Was sind die grundlegenden Paradigmen und Theorien der Ökonomie? Die sind implizit normativ. Am Ende ist Digitalisierung kein Selbstzweck. Es gibt auch keinen Determinismus* (*=Die Anschauung, dass alle Ereignisse im Voraus festgelegt sind und es keinen freien Willen gibt, Anm. des Autors). Wir haben gestalterische Freiheiten. Wohin führen unsere Denkansätze?“, fragt sich Winfried Felser in der netzökonomischen Ideenrunde.

Die Ökonomik sollte etwas zu möglichen und wünschenswerten Szenarien in der Zukunft sagen. Sie muss wieder Möglichkeitswissenschaft werden: Wie kann eine Ökonomie aussehen, die die Produktivitäts­fortschritte der Informationswirtschaft für einen Wohlstand nutzt, der bei möglichst vielen Menschen ankommt?

„Sind Postwachstums­gesellschaften denkbar, die dennoch eine hohe Lebensqualität für zehn Milliarden Menschen innerhalb der planetaren Grenzen schaffen? Wie sehen Perspektiven für einen zeitgemäßen Kapitalismus aus? Ein solches Zielwissen ist normativ, die zugrunde liegenden Normen bedürfen der Explizierung und der Begründung“, so Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts.

Tschakka-Weisheiten im Killermodus

Im Silicon Valley ist davon wenig zu spüren. Da findet man eher eine Menge Donald Trump-Ideologie, auch wenn die kalifornischen Protagonisten der Netzökonomie das empört zurückweisen würden: Das Dasein sei ein Dschungel, in dem man bereit sein muss, zu kämpfen – das ist das Credo von Trumps „kontrollierter Paranoia“. Überleben werde nur der Stärkere. Für den neuen Präsidenten der USA gibt es nur zwei Sorten von Menschen: Gewinner und Verlierer, man ist entweder das eine oder das andere. „Sei ein Killer“, so der „pädagogische“ Leitspruch seines Vaters.

Den ideologischen Überbau für den donaldistischen Siegeszug lieferte der evangelikale Tschakka-Wanderprediger Norman Vincent Peale, Autor des Bestsellers „The Power of Positive Thinking“: „Formuliere und präge deinem Verstand ein mentales Bild von dir selbst als jemand ein, der Erfolg hat. […] Halte hartnäckig daran fest. Lass es niemals verblassen. Denk nie von dir selbst als jemand, der versagt“, so die anarcho-kapitalistischen Phrasen von Peale. Bei Trump wird das Prinzip zur Manie: „Ich gewinne, ich gewinne, ich gewinne immer. […] Am Ende gewinne ich immer, ob nun beim Golf, beim Tennis oder im Leben, ich gewinne einfach immer. Und ich sage den Leuten, dass ich immer gewinne, weil ich eben immer gewinne.“ Und wenn er nicht gewinnt, straft er die Leute eben ab, die nachweisen, dass er nicht immer gewonnen habe. Oder er empfiehlt gar die Übernahme oder gar Schließung von Institutionen, die seinem Siegeswahn im Wege stehen.

Hütchenspieler im Tal der Zukunft

Plappern die Papageien im „Tal der Zukunft“ einen anderen Sound? Hinter der sektenhaften New-Age-Wir-verbessern-die-Welt-Fassade steckt doch sehr viel Sieger-Gequatsche und Aufgeblasenheit á la Trump. Ein Großteil der Silicon-Valley-Gründergeneration besteht aus ziemlich unangenehmen Typen, schreibt der Journalist und Drehbuchautor Dan Lyons in seinem Opus „Von Nerds, Einhörnern und Disruption“.

„Frühere Hightech-Unternehmen wurden von Ingenieuren und MBAs gegründet, heutige von jungen, moralfreien Hütchenspielern, von der Art Jungs (und es sind fast alles junge Männer), die sich im Kino ‚The Social Network‘ angesehen haben, in dem Mark Zuckerberg als diebischer, heimtückischer Lügner dargestellt wird, und die danach genauso werden wollen wie er. Viele haben gerade erst das College abgeschlossen – oder sich nicht einmal die Mühe gemacht, es abzuschließen.“

In ihren Unternehmen gehe es zu wie im Hauptquartier einer Studentenvereinigung. Twitter habe wirklich einmal eine Betriebsfeier mit dem Thema Fraternity (Studentenverbindung) gegeben.

Frauen begrapschen und Wasserpfeifen mit Bier befüllen

Seit 2012 gibt es im Silicon-Valley-Wörterbuch den Begriff brogrammer – ein Programmierer vom Typ bro, ein jugendlicher Macho, der seine Wasserpfeife mit Bier füllt und Frauen begrapscht. Bald kommen die unvermeidlichen Skandale und Prozesse, die Geschichten über schleimige Gründer, die weibliche Angestellte belästigen oder, in einem extremen Fall, ihre Freundin zusammenschlagen. Solche Leute stehen an der Spitze der neuen Generation Hightech-Unternehmen, solchen Leuten vertrauen viele Menschen sehr viel Geld an. Man möchte sich ja gerne vormachen, dass die Zeche, wenn diese Blase platzt, von den Risikokapitalgebern der Sand Hill Road in Menlo Park gezahlt wird, aber ein Großteil des Geldes, das man diesen Kids jetzt nachwirft, stammt aus Pensionsfonds“, warnt der frühere Newsweek-Technologieredakteur.

Die Zeche werden sehr viel mehr Leute zahlen müssen als nur ein paar Berufsinvestoren, die Risiken gewohnt seien.

Gierige Investoren und unmoralische Gründer

„Wenn ich mich in San Francisco umsehe, fürchte ich, dass das alles nicht gut gehen kann. Diese Kombination aus Wunschdenken, billigem Geld, gierigen Investoren und unmoralischen Gründern ist das Rezept für eine Katastrophe“, so Lyons.

Gute Gründe, um auch den netzökonomischen Diskurs mit normativer Brille zu führen. Fernab von den Hurra-Meldungen über neue Gadgets, Apps und Plattformen. Das Silicon Valley ist ethisch betrachtet kaum hübscher als die Wall Street, mit deren Milliarden aus dem Derivatenhandel es reich geworden ist, bemerkt Zeit-Autor Alard von Kittlitz. Wenn es nicht sogar noch unangenehmer sei, wegen seiner grell geschminkten Bubblegum-Hippie-Fassade.

Hipster-Scheiß mit Ausbeutungsabsichten

Virus, Frame oder Mem – hier geht es nicht um lustige Geschichten oder Anekdoten, es geht um die Orientierung der Menschen, die zu massiven Veränderungen der Volkswirtschaften führen können. Etwa die Story vom anarchischen Sillicon Valley, die in Wahrheit nur ein lauwarmer Hipster-Scheiß zur Rechtfertigung von unentgeltlich geleisteter Arbeit ist. Nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Philip Mirowski sei das eine der wirksamsten Erzählungen zur Simulation von Rebellion. Man erzeugt eine blumige Fata Morgana, um den Menschen das Gefühl eines vollständigen Ausstiegs aus dem Marktsystem zu geben, um dieses Gefühl dann für Marktprozesse in Dienst zu nehmen. Das Aufbegehren gegen das kapitalistische Establishment mit einer frechen Hacker-Kultur ist ein gigantisches Täuschungsmanöver. Dieses eigentümliche Hybrid aus freiwilliger unbezahlter Arbeit, hierarchischer Kontrolle und Kennzahlen-Orientierung in den Silicon Valley-Konzernen sowie kapitalistischer Aneignung sei in der gegenwärtigen Ära der Netzökonomie so vorherrschend geworden, dass manche darin eine neuartige Wirtschaftsordnung sehen. Der freiwillige Verzicht auf die Vergütung wertvoller Leistungen sorgt für satte Renditen bei den kalifornischen Technologie-Champions. Man bekommt als Gegenleistung das vage Versprechen, „Reichweite“ zu ernten und Netzwerke knüpfen zu können.

„Für weniger als eine Hungerlohn erfüllen überqualifizierte Bittsteller die niedrigsten Aufgaben“, moniert Mirowski.

Illusion von Freiheit und Selbstbestimmung

Das färbt auch auf die traditionelle Wirtschaft ab. Man baut auf die Freelancer-Ökonomie und lässt die Freiberufler im Geist der Selbstbestimmung und Freiheit mit mickrigen Honoraren vor die Wand laufen. Hauptsache, alle haben ein gutes Gefühl im Duz-Modus. Hier sehe ich die Notwendigkeit, diesen Teil der Geschichte neu zu erzählen. Etwa über den Haudrauf-Unternehmer Oliver Samwer, der sogar sterben würde, um zu gewinnen. Think big hat er seinen Leuten als Losung aufgegeben. Execution now, lautet einer seiner Lieblingsbefehle. Da hilft nur weglaufen und den Mittelfinger zeigen:

„Mir widerfuhr die traurige Ehre, dass ich nur drei Tage Personalchef von Groupon war und mit den Samwer-Brüdern zusammen gearbeitet habe, bis ich mich mit einem dieser Typen so anlegte, dass ich in der Mittagspause gegangen bin“, erläutert Heiko Fischer von Resourceful Humans.

Jungunternehmer-Pornohefte feiern Vulgärkapitalisten

Den Führungsstil solcher Karrieristen müsse man aufbrechen. Nicht nur das. Man muss ihnen in der Öffentlichkeit die Leviten lesen und sie entlarven. Etwa die Geschichten im Jungunternehmer-Pornoheft Business Punk, in dem die neue Unanständigkeit gefeiert und Arschlöcher wie Uber-Gründer Travis Kalanick abgejubelt werden. Es ist ja auch abgefahren, wenn jemand Gesetze für sinnlos hält, Steuerhinterziehung predigt und staatliche Regeln mit exterritorialen Insel-Pseudostaaten aushebeln will. Öffentliche Kontrolle, anstrengende und zeitraubende Gesetzgebungsverfahren stören die Business Punker. Als Ergebnis bekommen wir repressive Toleranz, wie es Herbert Marcuse formulierte. Repräsentiert von Vulgär-Kapitalisten wie Donald Trump. Antidemokratische Systemzersetzung im Geiste egozentrischer Machtspiele á la Peter Thiel.

Genügend Stoff für den Käsekuchen-Diskurs 😉 Hashtag für die Diskussion #NEO17x


Oder die Chatfunktion auf YouTube nutzen. Man hört, sieht und streamt sich heute ab 16 Uhr.

Siehe auch: Silicon Valley needs to get schooled

2 Gedanken zu “Thesen zum Vulgär-Kapitalismus im Silicon Valley – Live-Debatte ab 16 Uhr #NEO17x

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