Sexueller Missbrauch an katholischen Einrichtungen: Wie aus Opfern Täter gemacht werden

Man muss sich sehr genau überlegen, wie man über Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen schreibt oder was man in der Öffentlichkeit darüber sagt. Auf Schritt und Tritt droht eine Abmahnung. Denn es gilt das Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Geht es um Jugendliche, die über sexuelle Übergriffe berichten, hört man stereotyp die semantische Verteidigungsstrategie: „Das kann ich mir nicht vorstellen“ oder „Das glaube ich nicht“. Minderjährige Opfer werden dann sehr schnell zu Tätern abgestempelt. Sie stören den Burgfrieden. Scheren Eltern oder Kinder aus und schalten Behörden ein, beginnt ein endloses Kesseltreiben gegen die betroffenen Familien. Da schützt nur die Anonymität. Mich wundert also das Vorgehen der Diözese Regensburg gegen die Redaktion von regensburg-digital überhaupt nicht.

So läuft das klerikale System auch heute noch, obwohl in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Skandalen aufgedeckt wurden:

„Die Diözese hatte gegen einen Kommentar geklagt, den regensburg-digital.de am 7. März 2010 in Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche im Allgemeinen und in der Diözese Regensburg im Speziellen veröffentlicht hatte. Dort haben wir auch den Fall des pädophilen Priesters Peter K. erwähnt, der 1999 in Viechtach einen elfjährigen Jungen missbraucht und auch dessen jüngeren Bruder sexuell attackiert hatte. Die Diözese handelte mit der Familie eine Vereinbarung aus in der beidseitiges Stillschweigen und Geldzahlungen festgelegt wurden (eine Zusammenfassung dazu gibt es unter anderem hier). Bereits zwei Jahre darauf wurde K. erneut auf Kinder losgelassen. Die betroffene Gemeinde Riekofen war über die Vorgeschichte von K. nicht informiert worden. 2007 kam heraus, dass er dort erneut mindestens einen Ministranten in 23 Fällen sexuell missbraucht hatte“, schreibt regensburg-digital.

Nicht zufällig erließ ausgerechnet das Landgericht Hamburg (fliegender Gerichtsstand – eine Regelung, die man endlich abschaffen sollte) eine Einstweilige Verfügung gegen die Redaktion.

„Dank der großen Spendenbereitschaft unserer Leser und in zweiter Instanz mit Unterstützung der Gewerkschaft ver.di konnten wir gegen diese Entscheidung vorgehen und bekamen vor dem Oberlandesgericht Hamburg in vollem Umfang recht. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Ein Rüge der Diözesen-Anwälte wies das Gericht ebenfalls als unbegründet ab. Auf unsere Rückforderung der Verfahrenskosten kündigt die Kanzlei der Diözese nun zwar eine Rückzahlung an, diese erfolge aber ‚unter dem Vorbehalt der Rückforderung für den Fall, dass und soweit das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des OLG Hamburg aufhebt‘.“

Ähnlich lehrreich sind die Vorgänge, die wir in Bonn an dem katholischen Gymnasium Collegium Josephinum erleben. Die taz hat dazu einen sehr guten Artikel veröffentlicht: „Pater Pädo“ als Seelsorger.

„Ein Pater verabreicht in Bonn Poklapse und Zäpfchen an Schüler. Die Staatsanwaltschaft erkennt darin kein sexuelles Motiv, die Schule mogelt sich in die Normalität zurück“, so die taz.

Die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs eingestellt. Aus dem Verhalten des Beschuldigten, schreibt sie, „lassen sich keine zuverlässigen Anhaltspunkte für eine etwaige sexuelle Motivation entnehmen“.

Jetzt ist er wieder der Verräter und Täter. Obwohl der Schüler Leon (Name von der Redaktion geändert) eigentlich ein Betroffener ist. ‚Ich verstehe nicht, wieso die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt – er hat mir doch in die Unterhose gefasst‘, sagt der heute 16-jährige Junge. Leon hat Jahre gebraucht, um erzählen zu können, was ihm bei den Sanitätern geschah“, berichtet die taz.

Die Solidarität gehöre nicht den Betroffenen seltsamer Zugriffe an Po und Unterleib, sondern dem Mitglied der Institution.

„Der Vertrauenslehrer, der die ersten Berichte von Schülern entgegennahm, berichtet von Druck und Wagenburgmentalität. ‚Wenn Priester Kindern im Gymnasialalter Zäpfchen einführen, ist das eine schamlose Verletzung der Intimität von Schutzbefohlenen‘, sagt der Vertrauenslehrer der taz. Das wollte er aufklären helfen. Als er aber die Grenzüberschreitungen des Paters K. an die Schulleitung gemeldet habe, sei gegen ihn eine regelrechte Kampagne gestartet worden.“

Warum sich jetzt die Opfer als Täter fühlen, kann man an den teilweise niederträchtigen Kommentaren zum taz-Bericht nachlesen.

Das klingt wie das Chorheulen der Wölfe. Fragt sich nur, wer dieses Rudelverhalten organisiert?

Siehe auch den gestrigen Spiegel-Bericht: Streit um Missbrauchsverdacht geht weiter.

Und den offenen Brief zum Cojobo-Fall.

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