Rassismus gegen Israel in neuem Gewand

Frieda und Wilhelm Sohn

Henryk M. Broder hat in der „Literarischen Welt“ eine aufrüttelnde und nachdenklich stimmende Rezension über den neuen Roman von Leon de Winter geschrieben. „Das Recht auf Rückkehr“ sei mehr als ein Roman, ein Thriller und mehr als eine literarische Wettervorhersage ist. Es ist die Ankündigung eines Unheils, so wie „Die Dritte Walpurgisnacht“ von Karl Kraus eine düstere Prophezeiung war, die sich bald nach ihrer Niederschrift erfüllen sollte. „Leon de Winters Buch spielt in Israel im Jahre 2024, also in 15 Jahren. 15 Jahre sind eine lange Zeit, wenn Sie im Gefängnis sitzen und die Tage bis zu ihrer Entlassung zählen. 15 Jahre sind aber nur ein kurzes Zucken der Geschichte, wenn Sie bedenken, dass seit dem Fall der Mauer inzwischen 20 Jahre vergangen sind. Mir und sicher vielen von Ihnen kommt es vor, als sei es gestern gewesen. Der Titel des Romans – ‚Das Recht auf Rückkehr‘ – ist gleich dreideutig“, schreibt Broder.

Zum einen sei er eine Anspielung auf das im Juli 1950 von der Knesset verabschiedete Gesetz „Chok Hashvut“, das jedem Juden, egal wo er geboren wurde und wo er lebt, das Recht garantiert, jederzeit nach Israel einwandern und israelischer Bürger werden zu können. Zum anderen sei auch das Recht auf Rückkehr gemeint, das diejenigen Palästinenser für sich reklamieren, die bei der Gründung Israels aus ihrer Heimat vertrieben wurden oder geflohen sind. Die dritte Bedeutung, die der Formel „Recht auf Rückkehr“ innewohnt, sei eine berechtigte Spekulation. Könnte es passieren, dass Juden, die aus Russland, Polen, Frankreich, Ungarn, Deutschland, aus Nord- und Südamerika, aus Marokko, Tunesien, Ägypten, Südafrika, aus dem Jemen und aus Äthiopien nach Israel gekommen sind, eines Tages ein „Recht auf Rückkehr“ für sich und ihre Kinder reklamieren werden, dass sie also in die Länder zurückgehen möchten, aus denen sie bzw. ihre Eltern eingewandert sind?

„War früher die Option, nach Israel einwandern zu dürfen, eine Art Versicherungspolice, eine Platzkarte fürs Rettungsboot, so ist es heute die Möglichkeit, im Notfall Israel verlassen zu können. Und genau darum geht es in Leon de Winters ‚Recht auf Rückkehr‘. Er erzählt die Geschichte eines Vaters, der seinen entführten Sohn sucht. Und dabei erfahren wir, eher beiläufig, dass Israel im Jahre 2024 auf ein zweites Massada zusammengeschrumpft ist, ein Gebiet, das kaum größer ist als die Stadt Tel Aviv und das von Hard-Core-Zionisten und religiösen Eiferern bewohnt wird“, so Broder.

Das Szenario ist kein Hirngespinst. Denn überall breitet sich ein antiisraelisches Meinungsklima aus. Nicht durch die Hamas, die Hisbollah und den iranischen Präsidenten, sondern durch kluge, sensible und kritische europäische Intellektuelle, deren Äußerungen man auch als seismografische Ausschläge der öffentlichen Meinung verstehen könne. Zuletzt habe der schwedische Schriftsteller Henning Mankell Israel das Existenzrecht abgesprochen. Und auch der norwegische Bestsellerautor Jostein Gaarder („Sofies Welt“), lässt Unheilvollbringendes verlauten: „Es gibt keine Umkehr. Es ist an der Zeit, eine neue Lektion zu lernen: Wir erkennen den Staat Israel nicht länger an. Wir müssen uns nun den Gedanken gewöhnen: der Staat Israel in seiner jetzigen Form ist Geschichte. Wir glauben nicht an die Idee eines von Gott auserwählten Volkes. Wir lachen über die Hirngespinste dieses Volkes und weinen über seine Untaten. Als Gottes auserwähltes Volk zu handeln ist nicht nur dumm und arrogant, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir nennen es Rassismus“.

Nachdem sich die erste Fassungslosigkeit über Gaarders skurrile Gedanken setzt, wird man zwischen den Zeilen vergeblich nach Sinn und Verstand suchen. Finden wird man lediglich zu der Überzeugung, dass Gaarder die grundlegenden Kenntnisse über die Säkularprinzipien fehlen, oder ihn niemand darüber informiert hat, dass das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche in der Verfassung des Staates Israel verankert ist. Wie sich also die gläubige jüdische Gemeinde definiert, ob als Gottes auserwähltes Volk oder als bekennende Anhänger von Papa Schlumpf, hat rein gar nichts mit der Frage zu tun, wie der Staat Israel seine Politik gestaltet. Wer würde auf die Idee kommen, die Existenz des Staates Italien in Frage zu stellen, weil die gläubigen Katholiken meinen, sich von Sünden beurlauben lassen zu können und man zu der Überzeugung gelangt, dass dies Schwachsinn sei? Oder weil es unter den Würdenträger dieser Glaubensgemeinschaft unverhältnismäßig oft pädophile Verbrecher gibt?

Israel ist der einzige Staat im Nahen Osten, in dem nach westlichem Vorbild in parlamentarischer Demokratie die Bürger in freien Wahlen über die Zusammensetzung der Knesset entscheiden. Benjamin Netanjahu ist wählbar und auch wieder abwählbar, und mit ihm auch seine politischen Strategien zur Siedlungspolitik. Wie wir jüngst erfahren haben, trifft dies auf den iranische Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad nicht zu. Sein Volk kann ihn nicht abwählen, während er im Auftrag der Mullahs öffentlich zur Auslöschung des Staates Israel aufruft. Vielleicht kann man Jostein Gaarder nicht vorwerfen, dass er das Säkularprinzip nicht kennt, schließlich muss er als Autor von philosophisch angehauchten Märchen davon auch keine Ahnung haben. Weinen könnte man jedoch in der Tat, nämlich darüber, dass das jüdische Volk wieder kollektiv verurteilt und dämonisiert wird. Da hat Gaarder recht: So etwas ist Rassismus. Er kostete meinem Großvater 1942 das Leben.

Intellektuelle wie Gaarder werden das empört zurückweisen. Es ist aber ein Faktum, dass der Antisemitismus und Antijudaismus heute in Form von antiisraelischen Ressentiments abgelöst worden ist. Wer, wie Gaarder oder Mankell, das Existenzrecht Israels als jüdischen und demokratischen Staat in Frage stellt, wer den Antiterrorkampf mit den Verbrechen der Nazis auf eine Stufe stellt, wer die Handlungen Israels mit anderen Maßstäben als die Praktiken anderer internationaler Akteure misst, der forciert die stereotypen Hassbotschaften gegen das Judentum und gibt dem Antisemitismus neue Nahrung.

6 Gedanken zu “Rassismus gegen Israel in neuem Gewand

  1. Ich habe Gaarders Worte so verstanden, und ich wähle Deine Worte, dass es das Existenzrecht als jüdischen Staat in Frage stellt, nicht jedoch, dass er das Existenzrecht des demokratischen Staates in Frage stellt. In wie weit diese beiden Eigenschaften Isreals, jüdisch und demokratisch, getrennt voneinander betrachten kann, vermag ich nicht zu sagen, dafür kenne ich mich mit dem israelischen Staat zu wenig aus.
    Ich persönlich finde den Begriff Rassismus übrigens falsch gewählt. Ich will nicht, das eventuell vorhandenen biologische Unterschiede zwischen Ostfriesen, Arabern, Juden oder Kapitalisten irgendeine Bedeutung zugesprochen bekommen. Und nur weil unsere Vorfahren den Rassen-Begriff für Menschen mit an den Haaren herbeigezogenen Ideologien gefüllt haben, muss man dieses Wort nicht weiter verwenden.

  2. Adrian

    Dieser Beitrag geht unter die Haut. In der Tat muss auch Deutschland und jeder, der ein klein wenig Verstand hat, Stellung beziehen zu diesen Entwicklungen. Gaarder und Seinesgleichen können nicht solch rassistischen Statements von sich lassen, ohne dass es ein Echo gibt.
    @griesgram: Was soll das denn sonst sein, wenn kein Rassismus? Haben wir das alles nicht schon mal gehört?

  3. @griesgram wer den Staat Israel herabsetzt in einem antijüdischen Duktus, wie er seit den Kreuzzügen verwendet wird, der muss sich den Rassismus-Vorwurf gefallen lassen. Denn letztlich folgte daraus die Juden-Verfolgung und die Juden-Vernichtung. Gaarder bedient die antijüdischen Klischees in skandalöser Weise und niemand regt sich darüber auf. Das ist der eigentliche Skandal!

  4. M. Beckmann

    Herr Sohn, Ihre Empörung kann ich absolut nachvollziehen und jeden Satz unterstreichen, den Sie geschrieben haben. Wann ist diese Rezension in der literarischen Welt erschienen?

    Zu dem Kommentar von Griesgarm möchte ich anmerken: Rassismus ist tatsächlich kein schöner Begriff, doch kann er nicht wegrationalisiert werden, weil er uns in seiner Definition nicht gefällt. Die Äußerungen des Autors Jostein Gaarder gehen in der Tat in diese Richtung und obwohl ich keines seiner Bücher gelesen habe, prägt seinen Namen nun das Bild, was er mit seinen Äußerungen von sich selbst gezeichnet hat.

  5. Miliana

    Das Gesabbel von Jostein Gaarder ist schlimmer, als zu denken, man sei Gottes auserwähltes Volk. Den Staat Norwegen können wir nicht anerkennen.

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