#Notizzettel: Innovationspolitik der Parteien – Eine Analyse von Professor Volker M. Banholzer @VBanholzer #btw21

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„Für westliche Industrienationen ist die Orientierung an gesellschaftlichem Fortschritt seit langem
durch eine Innovationsorientierung, ja einem Innovationsimperativ in allen Bereichen gewichen (Passoth & Rammert 2018). Auch die im Bundestagswahlkampf 2021 konkurrierenden Parteien nehmen Innovationen als wesentliche Bestandteile mit auf und wollen dieses Thema für sich besetzen. In den Wahlprogrammen und den begleitenden Veranstaltungen oder Diskussionsbeiträgen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP spiegelt sich das in unterschiedlicher Weise wider. Kommt bei Unionsparteien und FDP vor allem ein technologischer Innovationsbegriff zum Tragen, was sich in einer Betonung von Ingenieurleistungen oder dem naturwissenchaftlichen Beitrag zur Problembewältigung zeigt, so wird bei den Programmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein erweiterter Innovationsbegriff und das Hervorheben holistischer Konzepte zu einer sozialökologischen Transformation deutlich. Es wird sich nach der Regierungsbildung zur 20. Legislaturperiode einiges im Politikfeld Forschungs & Innovation (F&I) verändern bzw. es stehen Aufgaben an, die sowohl technische als auch soziale Innovationen sowie deren Kombination erfordern“, schreibt Professor Volker M. Banholzer in seinem Wahlcheck unter dem Titel: „Innovationssouveränität: Innovations-, Digitalisierungs- und Technologiepolitik als Wahlkampfthema“.

„Von der internationalen Wissenschaft wird kritisiert, dass trotz aller Bemühungen um eine
ganzheitliche und an Problemen bzw. Missionen ausgerichtete Forschungs- & Innovationspolitik (F&I) immer noch das lineare Verständnis von Innovationen und zudem eine Fokussierung auf Technologien vorherrscht. Innovationspolitik in Deutschland ist in der Ausprägung als Industriepolitik zu sehr von Pfadabhängigkeiten geprägt. Das zeigt sich in der Diskussion von Reindustrialisierung oder in der Installation der Agentur für Sprunginnovationen, die beide die Bedeutung von Diversität und Netzwerken außer Acht lassen.“

„Wie diese Ausführungen gezeigt haben, hat sich Innovationspolitik in der Bundesrepublik in den zurückliegenden Jahrzehnten auf Technologien und naturwissenschaftliche Forschung fokussiert, was
sich in einer „Hightech-Obsession“ der Innovationspolitik (Hirsch-Kreiensen 2010: 71) manifestiert hat. Die technischen Innovationen können allerdings nicht losgelöst von ihrem sozialen Umfeld gesehen werden, was den Blick auf „soziale Innovationen“ lenkt und die Zielvorgabe der Technologiesouveränität als ergänzungsbedürftig erscheinen lässt. So unterstreicht Buhr (2015), dass unter sozialen Innovationen Neuerungen zu verstehen sind, die sowohl zur Diffusion und Akzeptanz von Entwicklungen und Technologien beitragen als auch Praktiken, die von Betroffenen – einzelnen Personen, Gruppen oder Organisationen – generiert und genutzt werden, um gesellschaftliche Herausforderungen
bewältigen zu können. Eine soziale Innovationspolitik muss neben der technologischen Entwicklung
auch die Potentiale und Restriktionen von Technologien für die gesellschaftliche Entwicklung berücksichtigen (Buhr, Fink & Stöber 2016: 5). Gerade in der oben bereits beschriebenen Transformationsphase ist dieser Aspekt elementar. Nach Reckwitz (2019: 270) muss aktuell „die Kombination einer sozioökonomischen, einer soziokulturellen und einer demokratiepraktischen Krise“ analysiert und bearbeitet werden. Die Forderung nach einer stärkeren Rolle des Staates (vgl. Mazzucato 2015 und 2019; Buhr 2015) bei der Gestaltung nicht nur von Technologien und Innovationen bei gleichzeitiger Freiheit und Dynamisierung von F&I kann im Sinne von Reckwitz (2019: 285) als Ausdruck eines „eingebetteten Liberalismus“ verstanden werden. Dieser wiederentdeckte Bedarf an teilweiser Regulierung betrifft allerdings nicht nur ordnungspolitische Rahmensetzungen, sondern umfasst auch „informelle Institutionen“ (Herzog 2020: 14). Vor diesem Hintergrund wird hier vorgeschlagen, die Zielvorstellung einer zu erlangenden Technologiesouveränität zugunsten einer anzustrebenden Innovationssouveränität zu erweitern.“

„Die Ausgestaltung von Innovationspolitik, als Wirtschafts- oder Industriepolitik bzw. als Anhängsel
der Bildungs- und Forschungspolitik war sehr lange mit dem marktliberalen Dogma verbunden, dass
staatliches Engagement nur im Falle von Marktversagen oder im Sinne einer erhöhten Input-Leistung bei der Förderung von Grundlagenforschung und der allgemeinen Ausbildung erwünscht ist. Dieses
Paradigma hat wie oben beschrieben Risse bekommen, was sich auch in der lauter werdenden Forderung nach einem investiven Staat oder einem innovativen Staat zeigt (Mazzucato 2015). Marktversagen wurde vor allem als Folge von Informationsasymmetrien, fehlendem Wettbewerb, hohen Transaktionskosten oder hohen Externalitäten beschrieben (Mazzucato, Kattel & Ryan-Collins 2020: 423). Diese Perspektive des Marktversagens hatte eine bestimmte politische Lösungsstrategie zur Folge.Ausgehend von der Grundannahme, dass der Staat risikoavers sei und Gefahr laufe, weitreichende
Fehlentwicklungen durch das Setzen auf Gewinnerunternehmen anzustoßen, sollte der Staat nur den Rahmen für den Wettbewerb von leistungsfähigen Privatunternehmen setzen, Anschubfinanzierungen leisten und sich ansonsten aus dem Markt zurückziehen (Mazzucato, Kattel & Ryan-Collins 2020: Innovationssouveränität und F&I-Politik IKOM Workingpaper 1/2021 21 424). Das hatte zudem zur Folge, dass das Instrumentarium zur Politikevaluation, zur genaueren politischen Zielvorgabe und zur exakten Messung von politischer Praxis21 ausgebaut wurde und der Einfluss von Politikberatung zugenommen hat.“

„Die aktuelle Debatte für die (Neu)Ausrichtung der Technologie- und vor allem Innovationspolitik umfasst unterschiedliche Konzepte.26 Darunter fallen eigenständige Ministerien für Digitalisierung (EFI
2017, Hunnius et al. 2017, Heumann 2021, Koenen & Heckler 2021) oder für Innovation sowie als Ergänzung der Agentur für Sprunginnovationen (Sprin-D) eine Innovationsagentur D.Innova (Grünberg et al. 2021) oder eine Weiterentwicklung des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen
Bundestag (Brandenburg & Ullmann 2021) sowie eine ressortübergreifende Task Force (Bundestagsdrucksache 19/21266 und 19/24618) bzw. ein beim Bundeskanzleramt angesiedelte Innovation Board (Koenen & Wehmeyer 2021), die Weiterentwicklung der KfW zu einer Investitions- und Innovationsagentur bzw. den Aufbau einer Deutschen Transfergesellschaft (Roessler 2018: 62; ZET 2021a: 8). Für alle Lösungen und Ansätze gilt allgemein das, was die Expertenkommission bereits 2017 in ihrem Jahresgutachten (EFI 2017, 29) zur Digitalisierungspolitik hervorgehoben hatte: Es „bedarf (…) einer politischen Entscheidung, die eine effektive Bündelung von Kompetenzen erreicht, ohne erneut
hohe Komplexität zu schaffen“. Der Einsatz bestimmter innovationspolitischer Instrumente oder deren Mißachtung ist „immer auch Spiegel der allgemeinen Vorstellungen zur Rolle und Funktion des Staates im Innovationsgeschehen“ (Kovač 2019: 128).“

„Die Vorstellungen der Parteien zum Thema Technologie- und Innovationspolitik weisen unterschiedliche Richtungen auf. Das Zentrum Emanzipatorische Technologieforschung (ZET 2021a: 1) sieht eine Spanne zwischen den Polen sozial-ökologischer Transformation und marktwirtschaftlicher Wettbewerbsorientierung. Sowohl die Klimakrise als auch die Pandemiebewältigung erfordern den Einsatz und die Weiter- und Neuentwicklung von Technologien, d. h. in den Worten der Parteien, das Fördern und den Einsatz von Innovationen. Im Wahlkampf erscheint Technologieentwicklung nicht als Selbstzweck, sondern wird als Mittel zur Erreichung von politischen und gesellschaftlichen Zielen verstanden. Die Unionsparteien, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen stimmen in dem Ziel überein, bis
2025 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung auszugeben. Die FDP kündigt die Etablierung eines neuen Universitätstypus – einer European Digital University (EDU) – an, die Unionsparteien verweisen auf die Stärkung des Exzellenzprogramms und unterstreichen auch mit Blick auf die Grundlagenforschung den Transfer aus der Wissenschaft in Wirtschaft und Gesellschaft. CDU und CSU wollen Biowissenschaften und Informationstechnologien über ein zu gründendes Bio-IT-Forschungszentrum verknüpfen. Darüber hinaus soll eine nationale Agentur für biomedizinische Forschung und Entwicklung eingerichtet werden, welche die Forschung an Impfstoffen, Medikamenten und Therapien bündeln soll. Bündnis 90/Die Grünen treten für eine neue Innovationsagentur D.Innova ein, die weiter unten detailliert besprochen werden soll. Im Programm der FDP steht die Gründung einer Deutschen Transfergemeinschaft (DTG) für eine innovationsorientierte Verbindung von Grundlagenforschung und Anwendung.30 Die Analyse der Wahlprogramme durch den BDI (2021: 2) attestiert dem Parteiprogramm der Bündnis 90/Die Grünen eine „strategische Verbindung zwischen Forschungs- und Innovationspolitik mit der Industriepolitik“ und den Wunsch „einen gezielten Kompetenzaufbau (zu) unterstützen, während die anderen Parteien diesen Aspekt unerwähnt lassen“.“

„Allgemein werden Wirtschafts- und Industriepolitik unter jeweils unterschiedlichen Narrativen verhandelt, die dann auch Konsequenzen für die Erzählungen zu Technologie und Innovation haben. So spricht die SPD von der „Zukunftsfähigkeit“31 des Standorts Deutschland benennt sie den Staat als
Innovationstreiber, der die Rahmenbedingungen setzt. Bündnis 90/Die Grünen betonen den Green
Deal (vgl. Rifkin 2019) und Ökologie als wirtschaftlichen Impuls32, um auch eine Reindustrialisierung durch ökologische Umgestaltung möglich zu machen (ZET 2021b: 1). Sowohl die Positionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen als auch die der FDP sind von einem Gestaltungs- und Technikoptimismus geprägt, wobei die FDP vor allem auf eine „Entfesselung der Innovationskraft der Sozialen Marktwirtschaft“ (ZET 2021b: 2) setzt und hierbei Deregulierung und Marktmodelle in den Mittelpunkt stellt33. Das „Modernisierungsjahrzehnt“ der Unionsparteien34 fokussiert ebenso auf Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland. Innovationspolitik ist in diesem Sinn die Grundlage, um den Wettbewerb um Köpfe und Märkte gewinnen zu können. FDP und die CDU/CSU sind sich darin einig, dass staatliche Aktivitäten generell als Einmischung und damit hinderlich für eine
gute Innovationskultur sind (ZET 2021a: 2). Die Unionsparteien und die FDP konzentrieren sich auf
wirtschaftliche Freiheiten und die daraus zu erwartenden Innovationen, dabei „blenden (sie) soziale Prozesse weitgehend aus und überlassen die Technikgestaltung ökonomischen Akteur*innen“ (ZET 2021a: 3). Die Notwendigkeit technologischer Entwicklung unterstreichen auch Bündnis 90/Die Grünen und die Linkspartei.“

„Die Unionsparteien wollen Reallabore mit Blick auf Technologien ausbauen, allerdings ohne
konkreter zu werden (CDU/CSU 2021: 87). Einzig bei der Reform der – noch ausführlich diskutierten –
Agentur für Sprunginnovationen (Sprin-D) wird das aufgegriffen und deren Umwandlung in ein Reallabor vorgeschlagen. Bündnis 90/Die Grünen (2021: 154) sehen neben der Technologieförderung zusätzlich den Aspekt von Partizipationsmöglichkeiten für Akteure der Zivilgesellschaft. In den Wahlprogrammen 2021 von SPD und FDP fehlt dieses Instrument. Im Endspurt des Wahlkampfes hat das
CDU-geführte BMWi noch ein Konzeptpapier für die Stärkung von Reallaboren, d. h. für ein eigenes
Reallabore-Gesetz36 veröffentlicht. Bereits im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode hatten
die Unionsparteien und die SPD gefordert, Reallabore für datengestützte Regulierungsinstrumente
sowie als Säule der Energieentwicklung auszubauen (Bullinger et al. 2021: 12). In der Planung des
BMWi war zudem der Ausbau dieses Instrumentes vorgesehen. Im Mai 2021 hatte der BDI für die
neue Legislaturperiode einen Ausbau der Reallabore gefordert, ein eigenes Bundesexperimentiergesetz und die Einrichtung „einer zentralen Anlauf- und Beratungsstelle für innovative Unternehmen
und Forschungseinrichtungen, die ihre Technologien bzw. Geschäftsmodelle in einem Reallabor testen möchten“ (Rudelt & Bausch 2021: 2).“

„Bündnis 90/Die Grünen greifen die Defizite bei Intermediären der Innovationsförderung im bundesrepublikanischen Kontext auf und wollen zur „Förderung regionaler Innovationsökosysteme aus
Hochschulen, Mittelstand und Zivilgesellschaft“ eine weitere, eigenständige Innovationsagentur D.Innova gründen (Bündnis 90/Die Grünen 2021: 69). Die Arbeit der Agentur soll an den globalen Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet sein, was einer Missionsorientierung entspricht. Die Initiatoren des
Konzeptes D.Innova wollen Forschungstransfer als entscheidenden Wettbewerbsfaktor aufgreifen.
Darunter ist im Sinne der deutschen Forschungspolitik sowohl der eigentliche Technologietransfer zu verstehen als auch der Transfer von Personen, ein Wissenstransfer durch Politikberatung und die Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern an Forschungsprozessen (vgl. Dettmar 2020). Mit diesem
Konzept soll einerseits das aufgenommen werden, was unter dem Begriff „Third Mission“ von Hochschulen beschriebenen wird und andererseits die Ausrichtung der Innovationsförderung an den globalen Nachhaltigkeitszielen zu gewährleisten (Bundestagsdrucksache 19/16800: 2). Universitäten
und Hochschulen wird neben Lehre und klassischer Forschung die sogenannte „Third Mission“ (vgl.
Roessler, Duong & Hachmeister 2015; Würmseer 2016) und damit eine aktive Rolle als „Corporate
Citizen“ (vgl. Raueiser & Kolb 2018) im Innovationsprozess der Gesellschaft zugewiesen. Innovationen werden als Ergebnis eines komplexen sozialen Prozesses gesehen, der auch spontan und situativ sowie flexibel innerhalb von Netzwerkstrukturen ablaufen kann (vgl. Buhr 2015, Banholzer 2020b).“

Soweit ein kurzer Ausschnitt des Banholzer-Papiers.

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