Nicht Facebook schmiert ab, sondern Twitter: Über Kaugummi-Dreck beim Kurznachrichtendienst

Auf die Länge kommt es vielleicht doch nicht an.
Auf die Länge kommt es vielleicht doch nicht an.

Netzökonom Holger Schmidt hat Anfang März einige recht interessante Fakten über Twitter zusammengetragen, die sich so langsam zur Krise des Kurznachrichtendienstes auswachsen.

„Etwa 70 bis 80 Prozent der Menschen, die sich bei Twitter anmelden, springen im Laufe der Zeit wieder ab. Nur etwa 3 Prozent der Menschen, die sich jemals bei Twitter im deutschsprachigen Raum angemeldet haben, sind heute noch täglich als Schreiber aktiv. Zwar hat Twitter mit Hilfe der Kooperationen mit Fernsehsendern im vergangenen Jahr viele neue Nutzer in Deutschland hinzugewonnen, doch besonders treu sind diese nicht. 80 Prozent der neu hinzugekommenen Nutzer gaben an, seltener als einmal im Monat Tweets zu schreiben.“

Als @SPIEGELONLINE einen Blogbeitrag von Schmidt an seine damals 280.000 Follower twitterte, kamen trotz einiger Retweets ganze 250 Klicks auf den Text zustande.

„Eine Nachfrage bei einem Blogger-Kollegen brachte etwa die gleiche magere Resonanz. Ich treffe auch immer mehr Twitterer der ersten Stunde, die keine Lust mehr haben, weil die ‚Echokammer‘ inzwischen ziemlich leer sei. Bleibt nur ein kleiner Teil an Menschen übrig, für die Twitter als täglicher Nachrichtenlieferant unverzichtbar geworden ist? Denn auch im Kriterium der sozialen Interaktionen auf den Nachrichtenseiten verliert Twitter an Bedeutung gegenüber Facebook“, schreibt Schmidt und bestätigt damit die Erfahrungen vieler anderer Nutzer.

Folgt man den Analysen der Blogrebellen, hängen mittlerweile alle Websites am „Tropf“ von Facebook. Ob riesig wie Buzzfeed und Upworthy oder klein wie Postillon und Schlecky – 50 Prozent des Traffics kommen über soziale Netzwerke und über 90 Prozent davon kommen über das Mark Zuckerberg-Imperium.

Michael Seemann hat gar den Glauben an Twitter verloren, wie er im Wir-Müssen-Reden-Podcast mit Max Winde ausführt (so ab 01:58 Std.). Er sei kurz vor seinem siebten Twitter-Geburtstag.

„Das ist die längste Beziehung, die ich je hatte. Ich lass sie jetzt still und leise auslaufen.“

Er habe nicht mehr das Gefühl, dass man viele Leute erreicht. Man treffe sehr viele Karteileichen.

„Die Reichweite sinkt und niemand interessiert sich mehr so richtig für Twitter. Die Leute wandern ab. Viele konzentrieren sich immer mehr auf Facebook“, sagt Seemann.

Wer auf Facebook richtig aktiv sei, wie Leander Wattig, erziele extrem viele Interaktionen, obwohl man in der Regel weitaus weniger Fans oder Freunde hat im Vergleich zur Zahl der Twitter-Follower. Besonders in Deutschland gehe die Twitter-Nutzung massiv zurück, wie die Zahlen von Holger Schmidt belegen. Bei uns sei der Dienst nie richtig in die Gänge gekommen. Der Peak wurde vor rund zwei Jahren erzielt. Seitdem geht es in den Keller.

„Meine eigene Timeline ist irgendwie umgekippt“, erzählt Seemann.

Da werde nur noch irgendwelcher Kaugummi-Dreck von vorgestern abgesondert. Wie steht es mit Eurer Twitter-Timeline. Alles im Eimer?

Den Facebook-Untergang müssen wir jetzt wohl erst einmal vertagen, oder? Wir sollten uns vielleicht eher über die Folgen der Facebook-Dominanz einige Gedanken machen.

Siehe auch:

Facebook-Lamento, Klickbomben und barfüssige Propheten.

5 Gedanken zu “Nicht Facebook schmiert ab, sondern Twitter: Über Kaugummi-Dreck beim Kurznachrichtendienst

  1. Ich hab mir meine Statistik für den Wirtschaftswurm angekuckt und kann den Artikel überhaupt nicht bestätigen. Dazu habe ich den Zeitruam 1.4.2013 bis 31.3.2014 mit dem 1.4.2012 bis 31.3.2013 verglichen. Ergebnis: Nutzer, die über Twitter kamen +32,6%. Nutzer, die über Facebook kamen +0,3%.

  2. Es ist relativ komisch …

    1.) Zum ersten verlinkten Artikel: Die Prozentzahlen mögen schlecht aussehen, aber die Anzahl der Nutzer (sowohl täglich wie auch monatlich) bei Twitter steigt. Und zwar ziemlich deutlich. Es war in etwa eine Verdopplung innerhalb eines halben Jahres. Sterbende sehen anders aus …

    2.) Dass Twitter relativ interaktionsarm ist, kann ich bestätigen. Twitter taugt aufgrund seiner 140 Zeichen nicht für Kommunikation (außer trivialst-Kommunikation (moin, prost, tor, geil). Das kann ich in meinen Vergleichen mit APP.NET (wo kein Schwein ist, aber viel kommuniziert wird) bestätigen: Trotz einer deutlich geringeren Anzahl von Followern passiert dort kommunikationstechnisch *mehr* als auf Twitter, sowohl qualitativ wie quantitativ. Twitter scheint ein reiner Lesedienst zu werden. Ich weiss nicht mehr genau wo es war, aber jemand hat es mal als RSS für die Massen beschrieben. Vielleicht ist da einiges dran.

    3.) Was die Referrer angeht: In keinem meiner Blogs kommt Facebook über 5% der Referrer. Interessanterweise liegt sogar G+ bei mir vor Facebook (wenn auch nur minimal). Twitter ist BIIIG, App.net auf Platz 2. Interessant ist bei mir auch, dass ich viele Links über Buffer teile und auch dort sehen kann, auf welchen Netzwerken meine Linktipps geklickt werden. Die Tendenz ist dort genau die gleiche: Twitter macht 2/3 bis 3/4 der Klicks aus ….

    Ich vermute, dass es extrem an der eigenen Aktivität hängt, woher die Referrer kommen. Wenn man wie ich aktiv bei APP.NET ist, kommen selbst aus diesem kleinen Netz Leser. Außerdem dürfte der Content SEHR entscheidend sein. Lustiges Zeug wie vom Postillon, das jeder kapiert, explodiert viral wahrscheinlich genau da, wo auch alle Leute sind: Bei Facebook. Sobald man inhaltlich aber in einer Nische ist (wie der werte Wirtschaftsbloggerkollege Wirtschaftswurm auch) sind die spezielleren Netzwerke die Trafficbringer. Da sitzen die Leute, die sich für mehr als den Mainstream interessieren. Da sitzen die Leute, die sich über lange Zeit ihre Timeline aufgebaut haben (also die Leute, die sich für den Content interessieren, den man selber schreibt und andersherum).

    Zum Abschluss: Die Zahlen beim Spiegel könnten aber auch eine extreme Ausnahme sein. Hat die Zahlen schon mal jemand hinterfragt? War Spiegelonline mal eine der empfohlenen Accounts, die Twitter jedem automatisch auf’s Auge gedrückt hat, wenn man sich neu angemeldet hat? Anders gefragt: Ich zweifle irgendwie daran, dass das ein normaler, natürlich gewachsener Followerstamm ist. (Immerhin ist @spiegelonline kein Autofollowback Account, der so die Bots angezogen hat. Diese These fällt also schon mal aus …)

  3. Die Referrer-Statistiken sollte man in der Tat noch einmal genau reflektieren. Bei den Karteileichen halte ich die Zahlen für valide. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen, wenn ich meinen Account alle paar Monate aufräume über Apps wie Birdbrain. Zudem hängen die deutschen Nutzerzahlen im Vergleich mit anderen Ländern deutlich im Keller. Twitter ist für mich nach wie vor relevanter als FB und für meine Arbeit auch sehr viel nützlicher. Nur die Zugriffszahlen via FB haben sich auch bei meinem Blog deutlich erhöht in den vergangenen Monaten. Generell möchte ich Twitter nicht missen.

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