Nach der Wahl ist vor der Wahl: Warum man auf Regierungswechsel gelassen reagieren kann und sich vor den „Neoliberalen“ nicht fürchten braucht

Luhmann statt Google

Der Reifegrad einer Demokratie zeigt sich vor allen Dingen beim politischen Machtwechsel. Darauf hat die Schriftstellerin Thea Dorn unter Berufung auf Niklas Luhmann im ZDF-Nachtstudio hingewiesen: Niklas Luhmann sagt: „Demokratie herrscht, wenn die Opposition an die Regierung kommt, ohne das Gemeinwesen zu ruinieren“.

Nun war zwar Merkel nicht in der Opposition, aber ihr künftiger Koalitionspartner FDP. Versinken wir jetzt im Chaos, unterliegen wir dem Diktat des „neoliberalen“ Finanzkapitalismus und müssen wir mit einem sozialen Kahlschlag rechnen? Wohl kaum. Mal abgesehen davon, dass der Neoliberalismus mit Guido Westerwelle überhaupt nichts zu tun hat. Neoliberal nannten sich Geistesgrößen aus verschiedenen Ländern, die sich 1938 in Paris im Institut International de Coopération Intelellectuelle versammelten, um mit Walter Lippmann über dessen Buch „An Inquiry into the Principles of the Good Society“ und die Zukunft des Liberalismus zu diskutieren. Haupttriebfeder der Runde waren politische Alternativen zum Totalitarismus von rechts und links.

Man sprach über den fundamentalen Irrtum der Philosophie des Laissez-faire, die im Kampf gegen die autoritäre Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Vergangenheit übersehen hatte, dass die wirtschaftliche Freiheit nicht etwas Wildwachsendes, sondern das empfindliche Geschöpf einer Rechtsordnung ist, der ein komplexes System von sittlichen Normen und Überzeugungen, von Gewohnheiten und Wertvorstellungen entsprechen muss. Die Neoliberalen beschäftigten sich mit der Frage, welche Rechtsordnung einer gerechten, freien und ergiebigen Wirtschaftsverfassung angemessen ist. Diese Intellektuellen waren keine dümmlichen Casino-Kapitalisten, skrupellosen Firmenjäger und renditesüchtigen Spekulanten. Es waren honorige und erfahrene Intellektuelle, die Konzepte für eine freie, soziale und gerechte Gesellschaft entwickelten – allerdings ohne die Attitüde der Machtanmaßung, wie wir sie in politischen Debatten häufig vernehmen müssen.

Und in 60 Jahren hat die Bundesrepublik Deutschland eine in der Geschichte des Landes einmalige politische Stabilität erreicht, die man nicht leichtfertig zerreden sollte. Schlechte Gesetze und Rechtsverordnungen, Steuergeldverschwendung, bürokratische Ausuferungen, Willkür, Korruption, Macht- und Amtsmissbrauch verdienen eine harte politische Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit.

Nur sollten wir deshalb nicht das gesamte Gefüge unserer Institutionen in Frage stellen. Entscheidend ist nur, wie Luhmann sagt, dass das System des politischen Gleichgewichts funktioniert und Schaden vom Gemeinwesen abgewendet wird – egal welche politische Strömung temporär das Sagen hat.

Regierungshandeln ist an Kompromisse gebunden, muss sich mit Gesetzestechnik und Verwaltungen auseinandersetzen, muss sich ständig der Öffentlichkeit stellen und die Regeln der parlamentarischen Demokratie beachten. Das politische Personal muss viele Hürden überwinden, um gestalterisch wirken zu können. Das ist anstrengend und manchmal zermürbend für die Akteure, aber gut für die Demokratie.

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