Live-Hangouts und das Wiehern des altersschwachen Amtsschimmels

Thomas Knüwer hat recht, wenn er in einem Kommentar schreibt, dass die Landesmedienanstalten mit ihrem höchst merkwürdigen Rundfunk-Begriff bei Live-Hangouts auf der Rasierklinge der Lächerlichkeit wandeln.

„Zumindest was die Landesanstalt für Medien in NRW betrifft kann man den Dampf da wohl rauslassen. Auch jüngst auf der Medienkompetenz-Tagung in Düsseldorf signalisierte man klar, dass man die Sache mit Hangouts gelassen sieht. Wohl auch in der Erkenntnis, dass man sich schnell lächerlich machen könnte.“

Zum ersten Teil seiner Meinungsäußerung melde ich Widerspruch an: Solange der Rundfunkstaatsvertrag keine Klarheit schafft bei Livestreamings im Netz, bleibt man von dem Wohlwollen der Medienwächter in den Bundesländern abhängig. Mit der Sendelizenz, die wir für das virtuelle Blogger Camp beantragt haben, wollten wir diese Lachnummer politisieren und auf die Beschränktheit des deutschen Medienrechts aufmerksam machen. Und siehe da, die Bayern scheinen nicht ganz so gelassen zu reagieren, wie ihre Kollegen in Düsseldorf.

Auf der einen Seite formiert sich eine technologische Revolution und auf der anderen Seite wiehert immer noch der altersschwache Amtsschimmel. Nachzulesen in meiner heutigen The European-Kolumne mit dem überspitzten Titel: Im Knast statt On Air.

Als kleinen Beleg möchte ich die Blogger Camp-Sendegenehmigung der bayerischen Landeszentrale für Neue Medien ins Feld führen. Das Original des Schreibens hat freundlicher Weise Hannes Schleeh ins Netz gestellt.

Der liebwerteste Gichtling der Rechtsabteilung belehrt uns erst einmal über den Begriff des Rundfunks:

„Rundfunk im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages ist ein linearer Informationsdienst, der für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmt ist und die Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen zum Inhalt hat. Private Veranstalter bedürfen zur Veranstaltung von Rundfunk einer Zulassung, §20 Abs. 1 Satz 1 RStV. Bundesweite Fernsehangebote bedürfen der medienrechtlichen Prüfung durch die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) sowie die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK). Für die Prüfung eines bundesweiten Zulassungsantrages rechnen Sie bitte mit einem zeitlichen Aufwand von zwei bis drei Monaten (!) bis zur abschließenden gebührenpflichtigen Genehmigungserteilung.“

Verstöße gegen dieses prächtige Regelwerk der Echtzeitkommunikation können mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro geahndet werden.

„Nach unserer Einschätzung erfüllt Ihr Vorhaben die Kriterien des Rundfunkbegriffs. Insbesondere ist auch das Kriterium der Linearität gegeben“, führt Professor Roland Bornemann.

Und was für eine „Erleichterung“ versüßte uns den Tag der Ausstrahlung, dass uns die Medienanstalt mitteilte, ein zeitlich befristetes Pilotprojekt mit neuen Technologien, Programmen und Telemedien durchführen zu können.

„Auf dieser Grundlage genehmigen wir hiermit Ihr für den 28.09.2012 im zuvor genannten Zeitraum geplantes virtuelles Blogger Camp über Google Hangout. Die Genehmigung erfolgt mit der Auflage, uns im Anschluss an diese einmalige Veranstaltung über die Resonanz, die Akzeptanz, die technische Gegebenheit und Ihrer Erfahrung mit dem Hangout zu informieren. Bitte teilen Sie uns zudem mit, unter welcher Verlinkung das Hangout über Youtube abrufbar sein wird.“

Die Bayern sagen nun, was wir über Live-Hangouts machen, sei Rundfunk und die NRWler sagen das Gegenteil. Rechtssicherheit sieht anders aus.

Das kann der Professor auf meinem Blog gerne in Erfahrung bringen.

Aus einer Bierlaune ist die Idee für das Blogger Camp entstanden und sie führt uns direkt an die Nahtstelle der staatlichen Avantgarde für mediale Innovationen. Auf dem IT-Gipfel werden wir dem Bundeswirtschaftsminister wohl ein ziemlich dickes Papierbündel mit Änderungsvorschlägen in die Hand drücken. Wie er dann wohl mit den medienpolitischen Zuständigkeitsrangeleien fertig wird? Funktionieren doch auch die Medienanstalten der Länder nach dem Motto: Ich habe ein Amt, also bin ich. Trotzdem muss der Rundfunkstaatsvertrag geändert werden, aber Dalli Dalli.

Denn aufhalten lässt sich die neue Live-Hangout-Bewegung nicht. die Zuständigkeiten der Landesmedienanstalten für Jedermann-TV im Netz sind ein Anachronismus. Im Gegensatz zu den Pionierzeiten des deutschen Fernsehens mit dem Start des NWDR in den 50er Jahren, wo gerade einmal 300 Empfangsgeräte zur Verfügung standen, sind die Ausgangsbedingungen im Internet nahezu unbegrenzt. Man braucht keinen Ü-Wagen, keine Misch- und Sendeanlage, keinen Zugang zum Satelliten und auch kein teures Kamera-Equipment.

Ein vernünftiges USB-Mikro oder Headset, eine Webcam, Laptop und vernünftige Beleuchtung reichen aus und man startet ins visuelle Echtzeitgeschehen.

Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Monaten eine Explosion von neuen Sendeformen im Web erleben werden und eine entsprechende Angebotsvielfalt von smarter Technik, um sich in den eigenen vier Wänden kleine Fernsehstudios zu zimmern. Auf der Software-Seite ist ähnliches zu beobachten.

Wahrscheinlich werden die Hersteller sogar ganze Hangout-Paketangebote auf den Markt werfen. Für Podcast-Studios gibt es so etwas ja schon seit Jahren.

Das ganze Thema der Sendelizenzen für Live-Hangouts ist übrigens genauso bescheuert geregelt wie die Rundfunkgebühren für PCs. Man sollte das Wort „Rundfunk“ einfach aus dem Duden streichen und die Medienpolitiker mit ihren elektromagnetischen Schwingungen ins Abseits stellen.

Eine schöne Zusammenfassung über die Reaktionen auf das Blogger Camp findet man bei Hannes Schleeh.

Update:

Fotos und Herstellerangaben zu meinem kleinen „Fernsehstudio“ findet man auf meinem Facebook-Account.

Da gibt es sicherlich viele Alternativen zu den Sachen, die ich nun gekauft habe. Wichtig sind ja auch die Anwendungsfelder. Beim Livestreaming von Kongressen, Sportereignissen und sonstigen etwas größeren Veranstaltungen muss wahrscheinlich mit anderen Webcams und Mikros gearbeitet werden. Wer da noch Tipps hat, sollte sie auf Facebook posten.

Ich freue mich auf die Fortsetzung des virtuellen Blogger Camps als ständige Einrichtung an jedem letzten Mittwoch des Monats. Start am 24. Oktober. Jeweils zwei Sessions. Die erste von 18,30 bis 19,00 und die zweite von 19,30 bis 20,00 Uhr. Technik und Admin macht Hannes Schleeh (man sollte ihn in die eigenen Google Plus-Kreise aufnehmen – Hannes ist auch bereit, vor den Live-Hangouts Testrunden durchzuführen und Ton, Bild und Beleuchtung zu überprüfen – hat sich in der Vorbereitung des ersten virtuellen Blogger Camps am vergangenen Freitag bewährt). Moderation: Icke.

Themenvorschläge für den 24. Oktober hochwillkommen. Bitte in den nächsten Tagen mitteilen, wer Lust zum Mitmachen hat. Für Publizität ist nach dem Erfolg des ersten Blogger Camps gesorgt! Kann man hier nachlesen.

Zudem machen wir ja auch Vor- und Nachberichte – in altbewährter Manier. So, noch einen schönen Tag der Einheit. Feiert kräftig.

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