Kritische Theorie im digitalen Zeitalter – #Dorfcamp Sessionvorschlag von @inga_ketels

Für das Dorfcamp am Samstag, den 24. Juni in Bonn-DuisDORF schlägt Inga Ketels folgende Session vor:

Warum es jetzt dringend notwendig ist, an emanzipatorische Projekte aus der Vergangenheit anzuschließen?

Wer heute Begriffe benutzt, die in der Tradition der Kritischen Theorie entstanden sind, hat einen schweren Stand:

Mit Kritischer Theorie assoziieren die Einen hippieske Folklore, die idealistischen Floskeln der Blumenkinder aus der 68er-Bewegung, die einst gegen den „Muff von 1000 Jahren“ kämpfte und nun selbst angestaubt wirkt. Engagierte Intellektuelle wie Herbert Marcuse hingen diesen Kritikern zufolge romantischen Idealen an, die nicht realisierbar seien.

Die Anderen bekritteln den vermeintlichen Elitarismus der Frankfurter Schule rund um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die für sie maßgeblich von „bürgerlich-humanistischen Intellektuellen“ geprägt war und mit der Anknüpfung an Hegel und Marx eine „bürgerliche Ideologie“ vertrete. Es fehle der Bezug zur politischen Praxis, so der Vorwurf.

Wieder Andere gehen davon aus, dass Begriffe wie der der „Entfremdung“ heutzutage hoffnungslos veraltet seien, weil wir in Zeiten der Corporate Society alle längst zu verkommen seien, um uns überhaupt noch entfremdet fühlen zu können. Das kapitalistische System habe uns alle längst geschluckt, Widerstand sei zwecklos.

Und tatsächlich gibt es derzeit keine breite Front gegen die Ausweitung der Kapitalmacht als einer ungehinderten, unkontrollierten und demokratisch nicht legitimierten politischen Kraft, dagegen, dass sich Partikularinteressen in der politischen Lobby-Arbeit aufgrund der Macht und Finanzstärke der Akteure durchsetzen, gegen Austerität, gegen sich selbst regulierende Märkte und die ganze neoliberale Verhunzung der Marktwirtschaft.

Doch zeitgenössische Kritische Theoretiker haben dieses Problem längst erkannt und versuchen mit ihren Begriffen, ihren historischen Analysen und ihrer Anknüpfung an linke Theorie-Traditionen dem etwas entgegenzustellen.

Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser etwa beobachtet, dass emanzipative Bewegungen in den letzten Jahren eine gefährliche Allianz mit dem Neoliberalismus eingegangen sind, indem sie Werte wie Flexibilität, Pluralität und Kreativität propagierten und gesellschaftlichen Selbstschutz als bloße Fessel der neuen Freiheiten diffamierten. Somit seien sie dazu unfähig, ein Gegenmodell zum privatisierten Konsumismus und zur damit einhergehenden Vereinzelung und Entsolidarisierung zu bieten.

Der englischen Philosophin Nina Power zufolge sei es vielen Menschen jedoch ein großes Bedürfnis, dem Waren-Fetischismus etwas entgegen zu setzen, ein interessanteres, erfüllteres, kreativeres Leben zu führen, in dem zwischenmenschliche Beziehungen im Vordergrund stehen, statt grenzenloses Wachstum und Profitstreben.

Ganz allein und ohne das nötige Rüstzeug bleibt das aber ein frommer Wunsch. Emanzipative Bewegungen brauchen ein Programm, eine Strategie und eine Taktik, um Schlagkraft zu haben. In der Vergangenheit war das vorhanden, doch heutzutage hat es die „materielle Basis der Ideologien […] geschafft, klassische Organisationsformen (Gewerkschaften, Protestgruppen) auf einen Schlag überflüssig, veraltet und unmöglich erscheinen zu lassen (zumindest in den wohlhabenderen Gegenden der Welt“, so Nina Power.

So verwundert es wenig, dass in der heutigen Gesellschaftsform technologische Errungenschaften nicht den Vielen dienen, sondern die Wünsche einiger weniger bedienen. Die Digitalisierung wird missbraucht, um das Festhalten am Paradigma des grenzenlosen Wachstums zu legitimieren. Auch hier setzen sich die Interessen der Cliquen durch; der Nutzen für die Vielen spielt keine Rolle. Kundenwünsche werden in die Entwicklung neuer Software nicht einbezogen und menschliche Bedürfnisse werden nicht beachtet. Es bilden sich Monopole, die einer selbstbestimmten Vernetzung im Wege stehen. Giganten wie Facebook wirken alternativlos. Was sie mit unseren Daten machen, worauf ihre Algorithmen basieren – all das ist außerhalb unserer Kontrolle.

Vor diesem Hintergrund ist es dringend notwendig, eine Kritische Theorie des digitalen Zeitalters zu entwickeln. Wie könnte eine solche Kritische Theorie der digitalen Gesellschaft aussehen? Wie kann man das Auseinanderdriften von Theorie und Praxis vermeiden? Wie kann man an bestehende emanzipatorische Bewegungen anknüpfen? Welche Begriffe aus der bisherigen Kritische-Theorie-Tradition sind brauchbar, welche sollte man lieber verwerfen?

Soweit die Session-Idee von Inga.

Zum Programm am Samstag im Garten in der Ettighoffer Str. 26 A, 53123 Bonn:

Graswurzelbewegungen fangen klein an. Dafür ist das Dorfcamp genau das richtige Format. Ein Barcamp im Miniformat – mit Grill.

Start um 10 Uhr – Vorstellungsrunde und Session-Planung.
11 bis 11:45 Uhr – Erste Session
12 bis 12:45 Uhr – Zweite Session
13 bis 13: 45 Uhr – Dritte Session
13:45 bis 14:30 Uhr – Kleiner Mittagsimbiss (abends ist ja dann GrillCamp)
14:30 bis 15:15 Uhr – Vierte Session
15:30 bis 16:30 Uhr – Käsekuchen-Diskurs: Marx und die Netzökonomie
16:45 bis 17:30 Uhr – Fünfte Session
17:30 bis Open End Grillen (Fleisch oder Vegetarisches bitte mitbringen, die Getränke gehen aufs Haus).

Bitte die Session-Ideen schon vor dem DorfCamp formulieren mit einem kleinem Exposé. Das stellen wir dann im Vorfeld zur Abstimmung ins Netz (mache ich am Donnerstag). Alle Sessions werden via Facebook Live (Ecamm-Software) übertragen. Hier können wir auch Folien zeigen (jpg-Dateien!) oder auch Einspieler bringen.

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