Kindermädchen-Staat oder Hightech-Land? Zum Apple-Bashing der Justizministerin

Heute früh bat ich die Twitter-Gemeinde um eine Einschätzung der Apple-Attacke von Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Eingeleitet hatte ich die Frage mit der Bemerkung: Auf dem Weg in den Kindermädchen-Staat. Dumm 3.0-Experte Markus Reiter hat mir klardeutsch folgendes mitgeteilt: „erstaunlich, was Apple-Fanatiker Steve Jobs alles durchgehen lassen – dem aber Staat nicht“. Meine Replik: „Über Datendienste zur Lokalisierung kann ich selbst entscheiden. Was BKA und Co. machen, kann ich nicht beeinflussen“. Rolf Lohrmann konterte, dass man das BKA in Deutschland und Europa über Gerichte und Parlamente besser kontrollieren könne – Apple in den USA zu stoppen, sei wesentlich schwieriger. So meine Zusammenfassung des Tweets.

Auslöser des kleinen Twitter-Disputs war eine schöne Analyse der Äußerungen von Leutheusser-Schnarrenberger im Interview mit dem Spiegel aus der Feder von Richard Joos. So ist die Bundesjustizministerin über die Änderungen in den Apple-Datenschutzbestimmungen beunruhigt. Sie verlangt Einsicht für deutsche Datenschützer und Aufklärung über Apples Datensammlungen. Mehr Transparenz sei eine wohlfeile Forderung, doch wie sieht es mit der Ironie derselben aus, wenn sie von einer Regierung kommt, die selbst nicht unbedingt durch selbige glänzt, fragt sich Joos.

„Noch sind die Zensursula-Diskussionen längst nicht abgeebbt und dräut der nächste Versuch einer Vorratsdatenspeicherung über den EU-Weg am Horizont, ist die zentrale Arbeitnehmerdatenbank ELENA nicht vom Tisch und wird darüber diskutiert, ob man Hartz-IV-Empfängern in die Post schauen darf. Zu den vergangenen Attacken insbesondere von Verbraucherschutzministerin Aigner gegen Facebook und Google passt das eben so wenig wie zum jetzigen Vorstoß Leuthäuser-Schnarrenbergers gegen Apple – so begrüßenswert es ist, dass Datenschutz wieder zu einem Thema wurde. Insbesondere der Anlass der Empörung wirke lächerlich:

„Um standortbezogene Dienste auf Apple-Produkten anzubieten, können Apple und unsere Partner und Lizenznehmer präzise Standortdaten erheben, nutzen und weitergeben, einschließlich des geografischen Standorts Ihres Apple-Computers oder Geräts in Echtzeit. Diese Standortdaten werden in anonymisierter Weise erhoben, durch die Sie nicht persönlich identifiziert werden.” Der Spiegel zitiere die Datenschutzrichtlinien ohne darauf hinzuweisen, dass diese Standortdatenermittlung zum Anbieten standortbezogener Dienste schlicht notwendig ist. „Natürlich muss für ein Gowalla-Checkin die Position des Users an einen Drittanbieter weitergegeben werden, natürlich gilt dasselbe auch für eine schlichte Google Maps-Lokalisierung“, schreibt Joos. Der Vorstoß aus der deutschen Politik habe den faden Beigeschmack des inkompetenten Aktionismus, der nebenbei auch noch vom weiterwachsenden Datenhunger auf staatlicher Seite ablenkt.

Ich brauche den Kindermädchen-Staat der Bundesjustizministerin jedenfalls nicht, um zu entscheiden, welche Dienste für mich nützlich sind und welchem Anbieter es erlaubt wird, meine Standortdaten zu nutzen. Das geht die staatlichen Datenschützer einen feuchten Kehricht an. Die Agitation deutscher Politiker gegen Facebook, Google und Apple bekommt zunehmend einen provinziellen Anstrich. Aber das passt zur geschichtlichen Tradition des Paternalismus in Deutschland.

Die staatlichen Aufpasser verbreiten den Irrglauben, dass wir nicht dazu in der Lage sind, eigenverantwortlich zu handeln. „Der Staat als Hüter der Sittlichkeit – das ist ein Vollbeschäftigungsprogramm für Heerscharen von Alarmrufern, Denunzianten und Anklägern“, so der Soziologie-Professor Wolfgang Sofsky in seinem Buch „Verteidigung des Privaten“ (erschienen bei C.H.Beck). Privatheit, die den Namen verdient, umfasst auch die Freiheit vor unerbetener Belästigung, vor den Zwängen der Gemeinschaft, der Gesellschaft und des Staates. Die staatlichen Datenschützer mutieren immer mehr zu nervigen Wachposten der Fürsorge. Ich möchte aber von diesen Moralaposteln in Ruhe gelassen werden – auch das ist ein Freiheitsrecht!

Die gleichen Datenschutz-Aufseher, die jetzt Warnschilder gegen die IT-Giganten aufstellen, sprechen vom Problem der Datenflut und den gehirnschädlichen Auswirkungen des Internets. Im digitalen Dschungel sorgen aber gerade die Technologien zur Personalisierung von Daten für eine gute Orientierung.

Eigentlich dachten viele Experten, dass es erst in fünf bis zehn Jahren möglich sein werde, intelligente Software-Assistenten einzusetzen, die unser Verhalten täglich beobachten, daraus ein Profil bilden und unsere Daten weitergeben. Doch mit der App-Economy ist das heute schon möglich. Der Nutzen dieser virtuellen Helfer liegt auf der Hand: Wir können bessere Fernsehprogramme, bessere Musik im Radio, interessante Nachrichten, Sonderangebote und passende Werbung filtern – zugeschnitten auf unsere Vorlieben. Schluss mit der Berieselung – der Info-Stress hat ein Ende.

Wer sich heute als mündiger Verbraucher in der Medien- und Informationsgesellschaft bewegt, weiß um den besonderen Wert seiner persönlichen Daten. Er entscheidet selbst, wie viel er bereit ist, von sich preiszugeben, um von Angeboten zu profitieren, die für ihn relevant und nützlich sind. Der Wunsch nach einer Personalisierung von Unterhaltungsangeboten, Diensten und Produkten lässt sich in den meisten Fällen nur über die Weitergabe und Verwendung von Nutzerprofilen erfüllen: Wir können nicht das eine ohne das andere haben. Besonders die Beziehung zwischen Konsument und Medienwirtschaft wird noch stärker als bisher auf diesem Tauschgeschäft beruhen. Entertainment und Content werden mit der Preisgabe persönlicher Informationen bezahlt. Entscheidend dabei ist, dass für den Kunden der Nutzen aus diesem Geschäft überwiegt, Leistung und Gegenleistung zumindest im Einklang stehen. Das hat Professor Wolfgang Wahlster vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz sehr schön auf den Punkt gebracht: Man muss seine privaten Vorlieben mit anderen teilen, wenn man denn besser bedient werden wolle. Wie sonst könne einem im Tante Emma-Laden ein neuer Bordeaux zur Verkostung vorgeschlagen werden, wenn man dort nicht wisse, dass man als Kunde gerade auf Rebsorten aus dieser Weinregion besonders erpicht sei.

Und was sagt eigentlich die Bundesjustizministerium zum Theseus-Projekt ihres Kabinetts- und Parteikollegen Brüderle?

Mit einem Gesamtvolumen von rund 200 Millionen Euro, von dem insgesamt ca. 100 Millionen Euro vom BMWi beigesteuert werden, ist es das größte IKT-Forschungsprojekt der Bundesregierung. „Als herausragendes Leuchtturmprojekt nimmt es auch eine zentrale Stellung in der IKT-Strategie zur ‚digitalen Zukunft‘ Deutschlands ein. Diese Strategie wird derzeit im BMWi erarbeitet“, so der Bundeswirtschaftsminister.

Wie die griechische Sagengestalt Theseus einst seinen Weg aus dem Labyrinth des Minotaurus gefunden hat, soll das gleichnamige Forschungsprogramm Nutzern digitaler Informationen den Weg aus dem unstrukturierten Informationschaos im Internet weisen.
Unter dem Dach von THESEUS entwickeln 30 Forschungspartner aus Wissenschaft und Wirtschaft neue Technologien, die Informationen intelligent zusammenführen, Zusammenhänge sichtbar machen und damit gespeicherte Daten als vernetztes Wissen nutzbar machen. Das Ziel: THESEUS soll den einfachen und effizienten Zugang zu Informationen vereinfachen, Daten zu neuem Wissen vernetzen und die Grundlage für die Entwicklung neuer Dienstleistungen im Internet schaffen. Künftig könnte ein Nutzer dem Computer einfach
mitteilen: „Ich möchte von Berlin nach Hamburg ziehen.“ Das Computerprogramm würde eigenständig die passenden Angebote für die Wohnungssuche, den Umzug und die Anmeldung des Wohnsitzes ermitteln und koordinieren.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie arbeitet die Begleitforschung im Wesentlichen auf drei Gebieten: Profiling, Vernetzung und Ergebnistransfer. Was nun, Frau Leutheusser-Schnarrenberger?

Siehe auch:
Ilse Aigner-Gedenkstunde auf den Kölner AdWords Days: Wer überwacht die Hüter des Datenschutzes bei der Auslegung geltenden Rechts?

Zur Doppelmoral des Staates: Und das ist ein Wesenszug eines paternalistischen Staates, der aber eben nur in ganz bestimmten Bereichen einen auf väterlicher Freund, Gönner und Beschützer macht, und in anderen (und ich wage zu behaupten, lebenswelt-relevanteren) permanent Eigenverantwortung und Wettbewerb einfordert Weil das einfach jeder zu leisten *hat*, verdammt noch mal, wir sind hier ja nicht im Streichelzoo oder im Sozialismus. Aber wie gesagt, vor der Starbuckswerbung per Augmented Reality, davor muss man die armen, unmündigen Hascherl von Bürgern schützen. Weil wer bitteschön soll damit klarkommen? Oder gar ein “Nein” klicken, wenn ne App fragt, ob sie auf den Standort zugreifen darf? Arschlecken.

4 Gedanken zu “Kindermädchen-Staat oder Hightech-Land? Zum Apple-Bashing der Justizministerin

  1. Rolf Lohrmann

    Hallo lieber Herr Sohn,

    nachdem Sie mich nun freundlicherweise schon zitiert haben, möchte ich natürlich gern eine kleine Replik auf Ihren Artikel schreiben.

    Ich denke, dass wir gar nicht weit auseinander sind, was die Sinnhaftigkeit mobiler Datenübermittlungen z.B. für Ortungsdienste und Navigationssysteme angeht. Da sind wir sogar absolut d’accord. Als Unternehmer, der in diesem Bereich tätig ist, wäre eine andere Meinung von mir auch eher verwunderlich. Ich hab auch nichts gegen Appleprodukte. Wir nutzen sie selbst gern im Unternehmen.
    Wo es auseinander geht, ist die Betrachtungsweise darüber, was dann mit den Daten geschieht, wenn der Zweck der Speicherung (wieso eigentlich Speicherung?) sich erfüllt hat, also z. B. der Fahrer am Ziel angekommen ist oder ich das Geschäft, was ich in der Nähe suche, gefunden habe.

    Die Diskussion betrifft dann den Kern des Datenschutzes:
    Es ist leider eben nicht so, dass Apple die Daten nur für Ortungsdienstleistungen nutzt. Apple schreibt selbst in seiner Datenschutzstrategie:
    “Mitunter wird Apple bestimmte personenbezogene Daten an strategische Partner weitergeben, die mit Apple zusammenarbeiten, um Produkte und Dienste zur Verfügung zu stellen, oder die Apple beim Marketing gegenüber Kunden helfen…” “Apple gibt personenbezogene Daten an Unternehmen weiter, die Dienstleistungen erbringen, wie zum Beispiel […] das Betreiben von Kundenforschung oder die Durchführung von Umfragen zur Kundenzufriedenheit.”

    Zudem scheint das Unternehmen klare Regelungen des europäischen und deutschen Datenschutzrechtes nicht ernst zu nehmen. Jedermann hat nach europäischem und deutschem Recht, jederzeit das Recht, der Weitergabe seiner persönlichen Daten zu widersprechen. Von Apple wird dies einfach ignoriert. D. h., dass ich als Nutzer der Apple-Systeme keine Möglichkeit habe, dies zu verhindern, es sei denn, ich nutze das iPhone oder iPad nur noch als Telefon oder Schreibblock. Zudem besteht hier zumindest ein Risiko der Industriespionage bei unbeschränkt vorgehaltenen Bewegungsdaten.

    Es geht daher nicht darum, ob solche Dienstleistungen “sinnvoll” sind. Es geht darum, ob Apple geltendes Recht beachtet und den Nutzern auch die “opt-out” Möglichkeit lässt, ohne dass sie ihr Smartphone nur noch als reines Telefon nutzen können. Was passiert denn mit den Daten bei Apple? Wie lange werden sie gespeichert, warum, und an wen werden sie weiter gereicht und was macht der damit? Warum sagt der Konzern hierzu nichts, wenn alles ok ist? Selbst auf Aufforderungen, sich rechtskonform zu verhalten, wird nur mit Plattitüden (http://conlegi.de/?p=2066) reagiert.
    Das kann meines Erachtens nicht hingenommen werden. Kein Unternehmen steht über dem Gesetz. Und das sollte auch für dieses gelten. Um nicht mehr und nicht weniger geht es. Oder bis wohin halten die sorglosen Befürworter dieser Praxis Rechtsverstöße für legitim? Heiligt der Zweck wirklich jedes Mittel? Ich bin weiß Gott kein Etatist, aber schon sehr froh, dass sich die Regierung hierzu zumindest Gedanken macht.

    Bester Gruß
    RL

  2. nun ja, Herr Lohrmann, diese Erweiterung, die Apple vornimmt, können Sie bei jedem x-beliebigen Verlag, Dienstleister, Online-Shop etc. nachlesen. Um was geht es im Kern? Um personalisierte Angebote – nicht mehr und nicht weniger. Es geht nicht um Schnüffeleien nach BKA-Methode. Was meinen Sie denn, wie stark schon heute Sicherheitsbehörden auf Datenschutzrichtlinien pfeifen oder erst nachträglich durch Gesetze legalisieren. Was praktizieren denn die Call Center, die im Auftrag von staatlichen Lotterien arbeiten? Was will denn das BMWi mit dem Projekt Theseus umsetzen zum Stichwort „Profiling“?

    Was soll denn Apple mit meinen Nutzerprofilen anstellen? Wenn ich personalisierte Angebote bekomme, ist mir das tausendmal lieber als die tägliche Werbeberieselung nach dem Gießkannen-Prinzip. Um meine Daten gegenüber kommerziellen Anbietern zu schützen, brauche ich nicht die Justizministerin als Super-Nanny.

  3. Rolf Lohrmann

    Hallo Herr Sohn,
    hab ich das richtig verstanden? Mal zugespitzt: Weil andere angeblich ähnlich rechtswidrig verfahren, ist das bei Apple auch ok? Weil einige schwarze Schafe unter den Call Centern rechtswidrig arbeiten, darf Apple das auch?
    Im Gegenteil: Apple gewinnt nach und nach in vielen Bereichen eine marktbeherrschende Stellung. Insofern ist ein kritischer Blick auf das Geschäftsgebaren von Apple erforderlich (das sage ich auch als Anwender von Apple-Produkten). Nicht zuletzt die Einleitung mehrerer wettbewerbsrechtlicher Verfahren in den USA gegen Apple sprechen hier aktuell Bände.
    117 Seiten AGB vorzulegen und dann auch noch den Nutzer zu zwingen, zuzustimmen und ihm sein verbrieftes Recht zu verweigern, dies abzulehnen bzw. später wieder zurück zu nehmen, kann nicht hingenommen werden. Es geht nicht darum, dass nicht jeder die Möglichkeit haben soll, der freien Verwendung seiner Daten zuzustimmen. Aber Sie allein – wie andere Nutzer auch – werden nicht in der Lage sein, Ihre Daten zu schützen, wenn Sie das nicht wollen. Dies geht nur über den Staat / die EU (siehe z.B. SWIFT) und die staatliche Durchsetzung rechtlicher Regeln.
    Übrigens, da Sie mehrfach mit den deutschen Sicherheitsbehörden argumentiert haben: Mir ist ein durch dt. Parlamente und Gerichte kontrolliertes BKA deutlich lieber, als us-amerikanische Geheimdienste, die Vollzugriff auf meine unkontrolliert gesammelten und ewig gespeicherten privaten wie geschäftlichen Daten in den USA haben. Sie müssen schon viel Gottvertrauen besitzen, dass Sie glauben, Sie könnten hier allein ohne die Durchsetzung rechtlicher Regeln Ihre „Daten gegenüber kommerziellen Anbietern […] schützen“. Ein Großteil der Bevölkerung kann das wohl nicht. Das Einzige, dass ich erwarte, ist, dass auch Apple sich an die für alle geltenden Gesetze hält. Ist das wirklich schon zu viel verlangt?

  4. Ich plädiere keinesfalls für Regellosigkeit und rechtslose Zustände. Es gibt eine Reihe von Gesetzen, die man schon heute sehr gut anwenden kann, um sich gegen einen Missbrauch seiner Daten zu wehren. Siehe meinen Beitrag: http://gunnarsohn.wordpress.com/2010/01/31/blokende-call-center-und-erzurnte-verbraucher-%E2%80%9Ekundendialog-nach-der-%E2%80%9Aact-like-lovers-do%E2%80%98-strategie/

    Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist allerdings ganz entscheidend. Siehe auch die interessante Blogdiskussion unter folgendem Link:
    http://www.korrupt.biz/2112/apple-google-datenschutz-und-ein-gelegentlich-paternalistischer-staat/

    Ihr Staatsvertrauen in Fragen der BKA-Kontrolle ist rührend. Gottvertrauen ist in meinem Fall nicht vorhanden – ich bin Atheist.

    Und Schwarze Schafe im staatlichen Auftrag? Wo sind die weißen Schafe? Siehe oben den Beitrag über blökende Schafe.

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