Im Land der IT-Verbote


Bei allem Gerede über die Relevanz von sozialen Netzwerken und Web 2.0-Werkzeugen für Unternehmen, Stichwort Enterprise 2.0: Die Realität in den Organisationen sieht immer noch düster aus. Siehe den Beitrag von ITespresso: Deutsche Unternehmen blocken Social Media am Häufigsten.

Was gar nicht erlaubt ist, muss auch nicht mehr geblockt werden, müssen sich viele Unternehmen gedacht haben, als sie den Zugang zu Social-Media-Webseiten komplett sperrten. In einer Studie, die einen internationalen Vergleich zwischen Großbritannien, den USA, Australien, Deutschland, den Niederlanden und Japan zieht, ist ein weltweiter Anstieg der Komplettblockierung dieser Dienste zu verzeichnen: Hatten in der entsprechenden Studie 2010 noch neun Prozent der Unternehmen den Zugang zu Social-Media-Seiten gesperrt, so waren es 2011 schon 19 Prozent.

Deutsche Unternehmen blocken diesen sozialen Zugang mit 23 Prozent am Stärksten und nehmen somit die Spitzenposition des angeordneten Neinsagens auf. Sicherheitsbedenken würden 86 Prozent der deutschen Unternehmen davon abhalten, Social Media überhaupt zu nutzen – und das, obwohl 49 Prozent der befragten Manager in deutschen Unternehmen die Web-2.0-Techniken als entscheidend für den zukünftigen Erfolg eines Unternehmen ansehen würden.

Treffend zur Studie ist der Google plus-Kommentar von Klaus-Dieter Knoll:

Den Mitarbeitern wird der Zugang während der Arbeitszeit verwehrt. – Insofern findet dann natürlich auch keine Interaktion mit Kunden statt. Viele Unternehmen verstehen sich ja nach wie vor als Sender, und nehmen Erwiderungen eher als Störung wahr 😉

In der Tat. Wer stringent mit Social Media-Verboten agiert, kann nicht ernstlich von sich behaupten, den offenen Dialog mit Kunden zu suchen. Dabei wäre das sehr wichtig, denn immer mehr Menschen wollen mit Firmen über soziale Netzwerke und Web 2.0-Tools kommunizieren. Deshalb irrt sich auch die Microsoft-CIO Dorothée Appel gewaltig: Sie glaubt, dass die Zukunft den Telefonaten und Video-Konferenzen gehöre, so der Bericht von Matthias Schwenk.

Unternehmensberater Bernhard Steimel ist gegenteiliger Meinung, zumindest wenn es um Kontakte von Kunden zu Unternehmen geht:

„Serviceangebote im Web, in sozialen Netzwerken und auch Apps verdrängen die herkömmlichen Call Center. Kunden suchen ja nicht den Kontakt zum Unternehmen, um ein Gespräch zu führen, sondern sie wollen so einfach, schnell und zuverlässig wie möglich eine Lösung ihrer Probleme. Wenn es smarte Serviceangebote im Netz gibt, vermeidet wohl jeder von uns den Anruf bei einer Hotline. Bei Fluggesellschaften ist das schon der Fall. Ich rufe nicht mehr an, um mich nach dem pünktlichen Abflug zu erkundigen oder einen Flug zu buchen. So berichtet Lufthansa, dass ihre mobile Applikation häufiger genutzt wird als die Hotline. Das ist heute schon messbar. Es gibt keine radikalere Entwicklung in der Servicebranche als auf diesem Feld. Call Center verlieren an Bedeutung“, sagt Steimel im Interview mit dem Düsseldorfer Fachdienst Service Insiders.

Ein Trend, der sich weiter ausbreiten werde, ist die Verschriftung. Kontakte in digitalen Medien würden immer mehr in Schriftform ablaufen. „Hier gibt es ein neues Aufgabenfeld für die Mitarbeiter, die vorher am Telefon gesessen haben. Etwa über Chats. Das wird von den Kunden als weniger störend empfunden. Man kann einen Kaffee trinken oder zeitgleich etwas anderes erledigen. Bei Hotline-Anrufen ist das nicht möglich. Da steigt nur der Stress-Pegel“, so Steimel, Geschäftsführer von Mind Business. Siehe auch meinen Artikel: Kundenservice und die Kunst der Konversation: Warum das Telefon an Bedeutung verliert und die Schriftkultur eine Renaissance erlebt.

Wie sich die IT-Verbote auf die Rekrutierung von jungen Mitarbeitern auswirken, kann man hier nachlesen.

Europaweit steigt übrigens die Twitter-Nutzung unter Europas Top-Managern, wie der FAZ-Ökonom Holger Schmidt berichtet:

Twitter gewinnt bei Entscheidern in Unternehmen an Bedeutung. Nach einer Umfrage des Fernsehsenders CNBC unter 650 europäischen Top-Managern ist der Einsatz von Twitter als Business-Tool von 31 Prozent auf 61 Prozent gestiegen. Für persönliche Zwecke nutzen inzwischen 38 Prozent der Befragten den Kurznachrichtendienst, nach 30 Prozent im Jahr zuvor. Der Anteil der Linkedin-Nutzer ist in diesem Zeitraum von 52 auf 56 Prozent gestiegen, während die Facebook-Nutzung leicht von 81 auf 77 Prozent der Top-Manager zurückging. Überhaupt scheint die Bedeutung von Social Media in dieser Zielgruppe stark gestiegen zu sein. Inzwischen sind 61 Prozent der Meinung, Social Media werde die Art, wie ihr Unternehmen das Geschäft betreibe, beeinflussen. Im vergangenen Jahr war erst ein Viertel der Manager dieser Meinung.

Eine Differenzierung nach Ländern geht aus der Untersuchung leider nicht hervor.

Siehe auch:

Social Media ist nicht Chefsache: Die Zurückhaltung der Internet-Ausdrucker verwundert mich nicht.

Sag mir, wie viele Fans und Follower Du hast, und ich sage Dir…? Vom Nutzen der Fliegenbein-Zählerei.

Führungskräfte, die auf einer autoritären Linie weitermachen wollen, sollten die Karrierebibel-Tipps verinnerlichen. Eine Anleitung für fiese Chefs in spe.

Im klaren Widerspruch zur „Social Media-Verbotskultur“ steht die BVDW-Umfrage, die ein starkes Social Media-Wachstum für Marketing und Vertrieb feststellt. Hier wurden aber nur die Agenturen gefragt.

Siehe auch:

Deutsche Unternehmen: Weltweit führend im Blockieren von Social Media.

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