E-Book ohne digitale Eselsohren – Remix-Kultur und die Kunst der Re-Kombination #ebf14

Über die Lust der Re-Kombination
Über die Lust der Re-Kombination

Die Begriffe und die Ästhetik rund um E-Books beruhen auf der klassischen Buchkultur, so die E-Book-Verlegerin Christiane Frohmann, die als eine der Initiatorinnen der „Electric Book Fair“ von iRights.info interviewt wurde:

„Die Leseapp knistert beim Umblättern, hat digitale Eselsohren, einen Buchumschlag und so weiter. Das digitale Publizieren sollte sich von der klassischen Buchkultur emanzipieren und aufhören, das Verlegen immer von dort her zu denken. Am Anfang war es eine Vorstellungshilfe, als alles so neu war, aber jetzt scheint es eher ein Denkknebel zu sein. Das E-Book wird bislang als schlechteres Buch angesehen. Dabei haben E-Books ganz eigene Möglichkeiten, sie können Dinge, die Print-Bücher nicht können. Und die wollen wir ausloten.“

Kritisch würdigt sie die rechtlichen Beschränkungen, die von der Verlagslandschaft auferlegt werden. Man erwirbt letztlich als E-Book-Käufer nur eine Leselizenz. Man ist eigentlich nicht so richtig Eigentümer der Datei, kann das verflüssigte Buch nur auf bestimmten Geräten lesen und darf es in der Regel nicht kopieren oder weitergeben.

Als E-Book-Verlegerin hat Frohmann noch nie DRM benutzt.

„Ich lehne das kategorisch ab. Man ist am ehesten bereit, sich fair zu verhalten, wenn man faire Angebote bekommt. Wenn die Leser günstigen, leicht zugänglichen und qualitativ hochwertigen Content angeboten bekommen, dann glaube ich, dass sie die Bücher auch kaufen. Außerdem glaube ich nicht, dass DRM schützt. Ich weiß, wie schnell man ein DRM knacken kann. Ich will meine Kunden und Leser mit Vertrauen und Respekt behandeln.“

Frohmann bekennt sich zur Kultur des Teilens, also Open Content, freie Lizenzen und Remixe.

Die Zeit des Originalgenies sei vorüber. Wenn man keine Angst davor habe, sich vom klassischen Autordenken zu verabschieden, dann ist die Kultur des Teilens eine einzige Befreiung. Das Urheberrecht, wie es sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, sei der totale Knebel für die Kreativität.

„Wo es gedehnt oder auch mal verletzt wurde, sind die ästhetisch ganz großen Dinge passiert, zum Beispiel in der Remix-Kultur. Die Verwerter von künstlerischen Inhalten haben da irgendwann ein Problem konstruiert, das vorher keines war. Wäre es früher nicht vollkommen normal gewesen, sich an bereits vorhandenen Stoffen und Motiven kreativ zu bedienen, hätte mein Literaturwissenschaftsstudium einen ziemlich spärlichen Gegenstand gehabt. Jede Kultur ist hybrid, besteht aus alten Elementen in neuen Kombinationen.“

Es gehe immer um die Re-Kombination von älteren Elementen. Das ist zwar schon längst durchtheoretisiert – von Michel Foucaults „Was ist ein Autor?“ bis Roland Barthes’ „Der Tod des Autors“ aus den 1960ern.

Roland Barthes hat eine besondere Form der Lektüre und des Schreibens praktiziert. Sein publizistisches Schaffen war nicht darauf aus, ein komplexes und unumstößliches Gedankengebäude zu erreichen. Er musste es geradezu darauf anlegen, in seinem Schreiben den äußeren Inhalt eines Buches völlig außer Acht zu lassen, so dass er die Bücher der anderen, über die er schrieb, auch gar nicht mehr von Anfang bis Ende las. Ein Buch sei nicht dazu da, um ganz gelesen zu werden, verkündet er, man müsse Passagen überspringen und nur „Teile daraus entnehmen, Schriftproben ziehen“, er selbst, gestand er, könne mit Ausnahme von Michelets nur von wenigen Autoren behaupten, sie ganz gelesen zu haben. Die Arbeiten von Barthes sind Notizbücher, “offen für alles, für Theorien und Phantasmen und Erzählungen und Materialien und Abschweifungen”, schreibt Christian Linder in seinem Opus „Noten an den Rand des Lebens“. Die Zusammenhanglosigkeit zog Barthes der Ordnung vor und konzentrierte sich auf das “Rauschen der Sprache”. Bücher zusammengesetzt aus kurzen, eruptiven Zwischen-Texten, Apercus. Es zeigt sein eigenes Leben als Stückwerk, als Sammelsurium von einigem Notwendigen und viel Zufälligem.

Kopistentum und Re-Kombinationen sind Katalysatoren für kulturelle Entfaltung: Viele Erzähler, Maler, Musiker der Moderne sind nicht Erfinder, sondern Finder. Und das gilt nicht erst für die Moderne. Shakespeare etwa war so ein Ausplünderer, sein „Hamlet“ wäre heute vor einem Plagiatsprozess nicht sicher. Der große österreichische Volksdramatiker Johann Nepomuk Nestroy hat keines seiner über 80 Stücke selber erfunden – es sind meist Bearbeitungen französischer Possen, deren Plot er ungeniert übernahm.

Auch der Autor Walter Kempowski war ein Sammler, ein Kompilator, ein Zusammenträger von Fundstücken und hat daraus nie ein Hehl gemacht. Im Gegenteil. Er hat über seine Methode stets bereitwillig Auskunft gegeben, hat seine Interview-Collagen mit den TV-Film-Collagen seines Freundes und Filmregisseurs Eberhard Fechner verglichen: Aufzeichnungskünste einer neuen Volkskunde. Folgerichtig ist Kempowski von der Literaturkritik etwas abschätzig als „Zettelkasten-Literat“, eifriger Jäger und Sammler und Museumsdirektor einer literarischen Ausstellung tituliert worden. Doch nur mit dieser Arbeitsmethodik konnte das kollektive Tagebuchprojekt „Echolot“ entstehen. Der Literaturkritiker Jörg Drews stellte zu Recht fest, Kempowski erfülle das Vermächtnis Walter Benjamins, der sich seine Pariser Passagen als pure Montage von Zitaten gedacht hatte, die so sprechend zu arrangieren seien, dass der Kommentar des Autors überflüssig werde.

Bertolt Brecht fand mit sicherem Griff eine Vielzahl von Texten, die er gebrauchen, bearbeiten, verwerten konnte:

„Er hatte bekanntlich keine Scheu, sich die Lektüreerfahrung anderer nutzbar zu machen. Auf diese Weise akkumulierte er eine erstaunliche Menge Lesestoff“, schreiben Helmuth Lethen und Erdmut Wizisla im Brecht-Jahrbuch 23 (1997/98).

Der Religionsphilosoph Jakob Taubes war ein Jäger des einen Satzes oder Wortes, in dem sich das Wesentliche des Geschriebenen kondensierte.

Es wird Zeit, dass E-Book vom Regime des Controllings zu befreien.

Siehe auch meinen Beitrag „Teil-weise! Kopieren, verleihen, weitergeben: Im Netz müsste das längst die Regel sein. Doch noch wird die Sharing Economy von mächtigen Interessen verhindert.“

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