
Die Netzpolitiker der Union fordern in einem Arbeitspapier zur Klausurtagung der CDU nach dem Debakel bei der Europawahl ein neues digital-geprägtes Politikverständnis.
“Eine Woche nach der Europawahl sprechen die Fakten für sich: Das Video ‘Die Zerstörung der CDU’ von #Rezo (aka @rezomusik bzw. Rezo ja lol ey) hat Wirkung erzielt. Der Frontalangriff auf die Regierungsparteien, inklusive des Aufrufes diese im Rahmen der Europawahl nicht zu wählen, drückt sich (wahrscheinlich) in den Ergebnissen aus. Allerdings wäre es umgekehrt zu kurz gesprungen, würde man nur das Video von #Rezo für das Wahlergebnis verantwortlich machen, denn es kumuliert verschiedene Entwicklungen”, schreiben die CNETZ-Autoren.
Der Auslöser für das Rezo-Video und das Folgevideo der anderen Youtuber hat aus Sicht der Netzpolitikerinnen und Netzpolitiker der Union neben der allgemeinen Entwicklung rund um das Thema Klimaschutz und der Fridays for Future-Bewegung im Wesentlichen einen Grund: Den generellen Umgang der CDU mit digitalen Themen. Da sei besonders bei der Urheberrechtsdebatte im Europa-Parlament deutlich geworden.
Es fehlte ein kompetenter Dialog bei diesem Thema. Zudem mangelte es an Sachkenntnis: “Noch schlimmer wurde es dadurch, dass Gegner des Vorhabens auch durch die Abgeordneten der CDU aus Brüssel verunglimpft wurden. Die Vorwürfe, diese seien ‘Bots’ oder ‘gekaufte Demonstranten’, verärgerte übrigens nicht nur Gegner der CDU, sondern vor allem viele bis dahin parteipolitisch neutrale junge Menschen. Und hat im Übrigen auch in den Reihen von CDU und #cnetz zu erheblichen Verstimmungen geführt.”
Der Netzpolitiker der CDU fordern eine Vorfahrt für die Digitalisierung und für neue Geschäftsmodelle. Auch in der aktuellen Diskussion über Klimaziele seien gut eingesetzte Digitaltechnologien und künstliche Intelligenz essenziell. “Gut gemachte Digitalpolitik verbindet Ökonomie und Ökologie. Notwendig ist hierzu: Politik muss schneller, besser und smarter werden, Tempo machen. Die alte Lo-gik, nach der man jahrelang ein Gesetzespaket vorbereitet, es dann mit einem Riesenpomp beschließt und glaubt, für die nächsten zehn Jahre gewappnet zu sein, ist lange vorbei. Heute brauchen wir ein flexibles und adaptives Politiksystem.”
Kleine schnelle Schritte seien viel zielführender als der einzige große Wurf. “Ein stetiges Nachsteuern und Weiterentwickeln von Gesetzen sind deshalb notwendig, ja geradezu ein Muss geworden. Nehmen wir als Beispiel das NetzDG: Nach Inkrafttreten wurden zentrale Mängel schnell sichtbar. Doch seit zwei Jahren gibt es keine Initiative zum Update geschweige denn einer echten Überprüfung, die angekündigt wurde. Beschlossen, vergessen, Vertrauen verspielt”, schreiben die Autoren des Arbeitspapiers. So mache sich der Staat bei seinen eigenen Vorgaben unglaubwürdig. Es entstehe in der Digitalszene der Eindruck, nicht das beste Ergebnis würde zählen, sondern nur die Symbolik eines Gesetzes, das danach vergessen wird.
“Ein weiteres Beispiel: Der Breitbandausbau in Deutschland. Ein riesiges Budget wurde bereitgestellt, doch durch eine völlig unpraktikable Vergabebürokratie wurde das Ziel sehr deutlich verfehlt, bis zum Ende 2018 alle Haushalte mit 50 Mbit/s8 zu versorgen. Selbst bis zum Ende dieser Wahlperiode (2021) scheint das mittlerweile unrealistisch. Ein pragmatischer Umbau des Fördersystems fand aber innerhalb der letzten Wahlperiode nicht statt, obwohl die Mängel offensichtlich waren.” Zum Vergabeverfahren habe ich ja hier mehrfach Stellung bezogen. Digitalpolitik mit Lutschpastillen-Wirkung (die Formulierung stammt übrigens von Miliana, meiner großen Liebe….)
Die Politik und insbesondere die CDU müsse endlich echte Erfolge liefern, um in der jungen Generation punkten zu können. “Dazu notwendig ist neben dem Paradigmenwechsel der Gesetzgebung auch eine Stärkung der digitalen Politikerinnen und Politiker, die endlich richtige Entscheidungsbefugnis bekommen müssen – und zwar auf vielen Ebenen in der Matrix des politischen Systems”, schreiben die CNETZ-Autoren.
Deutlich werde in diesen Tagen aber auch, dass es wie so oft in der Medienszene, eine zumindest wahr-genommene Vorliebe für grüne und linke Sichtweisen gibt. “Daher muss die CDU offenkundig andere, eigene Influencer aufbauen, die weniger vorgeprägt denken. Das können und dürfen aber keine typischen Politiker sein! Stattdessen sollte man meinungsfreudige Menschen identifizieren, die der CDU inhaltlich Nahe stehen und bitten diese zu unterstützen”, so die CNETZ-Autoren. Dieser Teil erschien ja auch in der heutigen Bild am Sonntag. Das mit der Vorliebe für grüne und linke Sichtweisen ist Quatsch. Es gibt in der Union generell keine Bereitschaft, sich in offenen und zugänglichen Formaten der Netzöffentlichkeit zu stellen. Man fremdelt mit der Netzszene und sehnt sich nach Kontrolle, Bild, BamS und Glotze (Bild, BamS und Glotze hab ich bei Altkanzler Schröder geklaut).
Die CDU müsse ihre Politik prägnanter, verständlicher und genauer formulieren sowie selbst damit auf Youtube, zu Instagram, zu Snapchat (ist doch out, gs) oder auch Tiktok gehen. “Dazu müssen sie die neuen Formate nutzen. Ein 5-minütiges Video, wo einer die ganze Zeit am Stück redet, das ist von gestern. Bei #Rezo kann man die Machart lernen: Schnelle, prägnante Argumente, Schnitte, Quotes, Charts, Musik, Web- kommunikation. Und auch Quellennachweise, Belege, Interviewausschnitte zu allen Argumenten. So müssen auch moderne Politikerinnen und Politiker zu den aktuellen Themen kommunizieren – frischer, offener, positiv kritisch und mit Humor.” Auch das stand heute in der Bild am Sonntag.
Dabei sei wichtig: “Das Internet ist kein Fernsehen! Also nicht einer sendet und Millionen schauen zu. Das Internet ist ein vernetzter Dialogkanal. Fragen und Argumente müssen aufgenommen und beant- wortet werden. Und zwar auf Augenhöhe, in verständlicher Sprache und ohne verquasten ‘Politik-Sprech’.”
Soweit der Auszug aus dem CNETZ-Arbeitspapier. Bin ja ab Montag wieder im Bikini Berlin im Livestudio zur #ThinkAtIBM. Da könnten wir die Digitalthemen doch vertiefen. Kommt vorbei, liebwerteste Netzpolitikerinnen und Netzpolitiker. Dort demonstrieren wir täglich, wie man offene Video-Formate aufzieht – ohne Sprachregelungen und Freigabeschleifen.