Breitband-Ausbau zum Herunterladen von Pornos? Warum wir in Deutschland kein schnelles Internet bekommen

„Schnelle Internetverbindungen sind von riesiger Bedeutung für die Wirtschaft, betont auch Kanzlerin Merkel immer wieder. Doch der Netzausbau läuft schleppend, vor allem in der Provinz. Jetzt gesteht die Bundesregierung: Sie wird ihre Breitbandziele wohl verfehlen“, schreibt Spiegel Online-Redakteur Christian Stöcker in einer vorzüglichen Analyse.

Man definiert sich zudem den Breitband-Status schön. Ein Megabit pro Sekunde sei schon so etwas wie eine Breitbandverbindung.

„Legt man diese Zahl zugrunde, sind nach einem neuen Expertenbericht zum Breitbandatlas des Wirtschaftsministeriums inzwischen 39,4 Millionen oder 98,7 Prozent der Haushalte mit einer Breitbandverbindung ausgestattet. Diese Ziel habe man 2011 ‚mit leichter Verspätung‘ erreicht, heißt es jetzt aus dem Wirtschaftsministerium“, so Stöcker.

Dass man sich mit diesen willkürlichen Festlegungen selbst in die Tasche lügt, ist wohl auch der Bundesregierung bewusst. Und was macht der Wirtschaftsminister Rösler? Richtig. Er beruft im nächsten Jahr einen Breitbandgipfel ein. Vielleicht sollte das auch jedes Jahr über die Bühne gehen, dann hätten Politiker und Lobbyisten ein zweites Kaffeekränzchen neben dem nationalen IT-Gipfel. Wie wäre ein Termin im Mai. Da ist das Wetter besser und man kann sich schon ein wenig auf die Parkbank lümmeln und Sonne tanken. Das sind nur Rituale, die Merkel & Co. inszenieren.

„Erst am Dienstag, beim ’nationalen IT-Gipfel‘ beschwor Merkel wieder die wirtschaftsfördernde Kraft schneller Internetverbindungen. Die Provider aber lassen sich mit dem Ausbau Zeit, denn gerade ländliche Regionen mit schnellen Verbindungen zu versorgen rentiert sich für sie kaum. Die Regierung aber beschränkt sich aufs Mahnen“, kritisiert Stöcker.

Und nicht nur das. Es mangelt der Beamten-Elite in den Ministerien auch an der Einsicht. Darauf verwies ich schon im Februar in meiner Montagskolumne für „The European“.

Erst ab einer Downloadrate von 30 Megabit pro Sekunde könne man von Breitband sprechen, so der Booz-Berater Roman Friedrich. In deutschen Ministerien seien diese Zusammenhänge schlichtweg nicht bekannt: „Man ist stolz darauf, dass wir zwei Megabit pro Sekunde haben. Was helfen uns zwei Megabit? Der Markt geht woandershin“, kritisiert Friedrich. Es liege vielleicht an die Vielzahl von alten Herren, die in der Regierung für diese Fragen verantwortlich sind, so der Einwurf eines Journalisten während des Booz-Pressegesprächs. Darauf antwortete der Booz-Berater:

„Mir hat einer aus Regierungskreisen gesagt, ‚brauchen wir denn wirklich diese Bandbreite, Herr Dr. Friedrich? Da werden doch sowieso nur Pornos runtergeladen.‘“

Mit dieser Geisteshaltung werden wir wohl wir keine zukunftsfähige Datenautobahn bekommen. Das Investitionsvolumen in eine neue Infrastruktur ist in Deutschland erschreckend niedrig. Es sind gerade mal zwei Dollar pro Einwohner. In Singapur liegt man bei 154 Dollar. Dort gibt es allerdings auch den „Singapore iN2015 Masterplan“. „Die Regierung will das Internet auf möglichst ein Gigabit pro Sekunde ausbauen, schon den neuen Internetstandard IPv6 einführen und alle Bereiche rund um Gesundheit, Erziehung, Tourismus, E-Government, Finanzdienstleistungen und Logistik erneuern und dort vor allem personalisierte Services einführen“, weiß der frühere IBM-Cheftechnologe Gunter Dueck. Die Regierung in Singapur will neue Lernerfahrungen im Internet fördern und überall Web-Konferenzen ermöglichen. Es geht ihr um ein lebendigeres, reicheres Leben, um Selbstentwicklung und lebenslanges Lernen. Spüren Sie den Willen in diesem Plan? Kein ‚hätte, müsste, wäre schön‘, sondern ein Wille, der sich sowohl auf die Wirtschaft als auch auf die Zukunft und auf die Kultur der Menschen bezieht. Wenn wir diesen Willen doch auf Deutschland übertragen könnten“, fordert Dueck.

Jetzt habe ich in einer Wiederholungsschleife abermals genörgelt. Sorry. Aber leider ändern sich die digitalen Zustände in diesem, unseren Land nicht.

11 Gedanken zu “Breitband-Ausbau zum Herunterladen von Pornos? Warum wir in Deutschland kein schnelles Internet bekommen

  1. Vor rund einem Jahr hat mich mein Interner&Telefon-Provider angerufen und mir mitgeteilt, es gäbe jetzt ganz tolle neue Angebote mit Doppel-Flat-Trallala und Dingens-Upstream-Download-Multiple-Orgasm-Button. Alles für schlappe 39,90-Euro im Monat.

    Ich habe dann gefragt: „Was ich denn gerade habe?“ „8 Megabit.“
    „Und was kann das „neue Internet“?“ „40 Megabit.“
    „Was ist denn das „kleinste (billigste) Internet“?“ „2 Megabit.“
    „Das nehme ich!“, sagte ich und der Telefonvertreter war ziemlich enttäuscht.

    Diese monströsen Downstreams braucht kein Mensch!
    Wer läd denn schneller HD-Videos runter, als er gucken kann?
    Völlig unnütz, höchstens was für Nerds und Poser.

  2. Diese Denkhaltung wird Rösler, Merkel und auch die Netzbetreiber erfreuen. Letztere können dann höhere Gewinne einfahren. Einige Berufsgruppen, die das Netz intensiver nutzen, müssen halt wieder Rohrpost verschicken oder Postkutschen durch die Gegend schicken.

    Es leben die Nerds, Geeks und Poser. Ich bekenne mich schuldig.

  3. Als ob es „nur“ um die Downstreamgeschwindigkeit ginge. Aus der Praxis der Bilddatenübermittlung: Die Upstreamgeschwindigkeit ist ebenso wichtig – und da klemmt es gewaltig.
    „Höchstens was für Nerds und Poser.“? Eine kurzsichtige Betrachtungsweise. Denn schnelle Datennetze schaffen in einer mobilen Gesellschaft, die an ihrer eigenen Mobilität in punkto Kosten, Umweltbelastung, persönlicher Belastung und sozialen Verwerfungen krankt, neue Chancen – beispielsweise für moderne Arbeitsplatzgestaltung, Anbindung strukturschwacher Regionen und eine Menge mehr. Wenn das Visionen eines Nerds, Posers, Geeks sind, bekenne ich mich da gerne schuldig.

  4. „Einige Berufsgruppen, die das Netz intensiver nutzen, “ , ja eben !!!

    Aber es wird immer getan, als ob die Welt unter ginge, wenn Lieschen Müller aus Hinterpfuitupfingen nicht mit 50 MBit Kochrezepte Googen kann.

  5. Anonymous

    Die Welt geht nicht unter wegen mickrigem Breitband.
    Aber ganze Industrien wandern aus Deutschland in die Schwellenländer ab, weil Firmenlenker und Politik den Wind des Wandels nicht erkennen. Und damit unser Knowhow, unsere Wertschöpfung und die Arbeitsplätze unsere Kinder.

  6. Aus heutiger Sicht würde mir eine 6 Mbit Anschluss aussreichen. (Privater Haushalt) Der Upload sollte jedoch wenigstens 5 Mbit hergeben.
    Viele Firmen übertragen ihre Daten online (Kunden – Dienstleister, FTP, EDI, Webshop)usw.
    Hier kann es sogar schon bei einer Bandbreite von 10 Mbit zu Engpässen kommen.
    Ich sehe hier auch neue Chancen im Arbeitsmarktbereich. Thema Heimarbeitsplätze.
    Man stelle sich vor die vielen PC-Arbeitsplätze in den Büros könnten „nach Hause“ verlagert werden. In diesem Falle wäre auch eine ordentliche Breitbandversorgung für den privaten Haushalt
    notwendig. Unternehmen könnten an Büroflächen und Einrichtungen sparen. Der Mitarbeiter hätte zum Beispiel die Fahrzeit zum Arbeitsplatz gespart. Mann kann an dieser Stelle noch einige Pluspunkte für beide Seiten aufführen. Ich wollte jedoch nur mal auf einen möglichen Ansatz verweisen. Was war das damals mit Einführung von ISDN schon ein Hype…….
    HD TV Versorgung im privaten Haushalt an mehreren Endgeräten ……
    Kurz gesagt, ich halte den Ausbau der Breitbandversorgung für unbedingt notwendig.

  7. Ich finde es nicht in Ordnung, Lieschen Müller so wenig Internet-Kompetenz zu zusprechen. Was sie möchte oder was nicht, sollte sie selbst entscheiden. Sie will vielleicht auch Videokonferenzen durchführen oder politische Videobotschaften hochladen. Man sollte Lieschen Müller nicht auf Kochrezepte reduzieren.

  8. Ich bin nicht unbedingt der Bootbauer in den Alpen, aber mehr Bandbreite als ISDN-Geschwindigkeit hätte ich trotzdem gerne, um meinen Beruf dort ausüben zu können, wo ich wohne und nicht jeden Morgen im Berufsverkehr zu stecken. Dann könnte ich mir nämlich auch Hangouts, Periskope- oder Meerkat-Videos anschauen, ohne vorher alle Mitarbeiter zu bitten, bitte jetzt für eine Stunde nicht ins Internet zu gehen. Vielleicht könnte ich sogar eigene Videokonferenzen durchführen, ohne zu denken, die Leitung ist zusammengebrochen oder mein Gegenüber hat aufgelegt. Ich könnte frisch geschnittene Videos zum Kundenserver hochladen und müsste sie nicht auf eine Festplatte ziehen und mit der Post verschicken. Ich bräuchte mir keine Gedanken darüber machen, ob die nächste Wetterprognose mit starkem Schneefall oder Regen meine Internetverbindung über Satellit komplett zum Erliegen bringt, oder ob ich trotzdem ins Internet komme und meine Websites betreuen kann. Ich könnte sogar so verwegen sein, und mir Gedanken darüber machen, ob IP-Telefonie für mich infrage käme. Datensicherung in die Cloud wäre nicht nur etwas, worüber ich schon gelesen habe, sondern eine Option zur herkömmlichen lokalen Sicherung. Software-Updates in Gigabite-Größe (jaha, die gibt es tatsächlich) wären nicht ein Tagesprojekt, sondern in annehmbarer Zeit erledigt. Und ich könnte ab und zu sogar mal einen Film aus dem Internet streamen. Ob’s dann wirklich ein Porno für mich ist oder Bibi&Tina für meine Tochter, sollte dann wirklich egal sein.

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