Hallo Frau Kreft, ich bin internetsüchtig, gehe aber nicht ins Männerkaufhaus

Auweia, mit welcher Netz-Kompetenz ist eigentlich Anne Kreft von der Kölner Drogenhilfe gesegnet. Und ich möchte diese Dame jetzt nicht als fortschrittsfeindlich bezeichnen oder ins Lager der Internetausdrucker einsortieren. Aber ihre Äußerungen gegenüber WDR 2, die gerade gesendet wurden, sind mehr als peinlich:

„Der eine geht in eine Männer-Kaufhaus, das ist der Baumarkt, die Frauen gehen vielleicht irgendwo anders shoppen. Und, äh, das ist auch in Ordnung. Dass heißt, wenn ich mich gut oder schlecht fühle, dann kann ich Kompensationsmittel einsetzen“, palaverte Kreft im Interview mit dem WDR.

Krankhaft werde es, wenn wir uns selbst dabei nicht mehr kontrollieren können. Wenn das Surfen im Netz oder das Online-Spielen ein Mittel zur Problembewältigung werde.

„Wenn ich aber immer dann, wenn ich ein Problem habe, dieses Mittel einsetze (was denn für ein Mittel, Frau Kreft? gs) und es nicht mehr steuern kann, dann kann aus einer Suchthaltung ganz schnell eine Sucht entstehen. Leider haben wir keine Lampe auf dem Kopf, die dann rot wird, wenn wir es merken, sondern das ist schleichend“, so die Drogenexpertin in Kölle.

Rot werden konnte man schon bei der Bemerkung mit dem Männerkaufhaus, Frau Klischee-Phrasendrescherin. Ich hasse Baumärkte. Als Kompensation gehe ich jetzt also ins Internet. Jo und das nach dem Prinzip Always On. Wie mache ich das nur. Egal, wo ich geh oder steh, ich komme immer an dieses verfluchte Suchtmittel ran. Zuhause ist das ja nicht so schwer.

Aber unterwegs muss ich heimlich zu kleinen Ampullen greifen, um mir regelmäßig einen ordentlichen Schuss zu versetzen, ohne für größeres Aufsehen zu sorgen.

Jetzt gerade kompensiere ich den eben im Radio gehörten Sprech-Durchfall und katapultiere mich über WordPress in die unendliche Dimension des virtuellen Rausches. Glücklicherweise bin ich immer weniger papierabhängig, um mir diesen semantischen Müll, den so genannte Drogenexperten über das Internet produzieren, über Printmedien durch die Nase ziehen zu müssen.

Rund 560.000 Menschen sollen von der schleichenden Internetsucht befallen sein. Noch nicht eingerechnet sind die Social Media-Junkies – aber das will wohl die Bundesregierung in ihrem Suchtbericht demnächst nachholen. Gibt es eigentlich auch Sondergruppen? Also jene, die beispielsweise ständig auf tagesschau.de abhängen und Zeitungsverleger zur Weißglut bringen. Oder Kurzprosa-Gangs, die von Twitter nicht loskommen. Oder willenlose Strickfans, die sich kaum noch gegen http://www.strickenlernen.info zur Wehr setzen können. Oder Blogger, die sich mit Sprüchen über das Topfschlagen die Zeit vertreiben. Frau Kreft, ist eigentlich schon die immer größer werdende Sekte der E-Book-Leser statistisch erfasst worden? Auch hier entwickeln sich ganz niederschmetternde Schicksale. Wie schaut es mit Soundcloud aus? Da kann ich ja sogar Radiobeiträge abrufen. Bäh. Hörfunk im Netz, eine ganz subtile Form, Menschen in die Web-Audio-Falle zu locken. Siehe auch das Interview mit dem Gaming-Experten Christoph Deeg:

Gibt es auch Suchttherapien für Drogenbeauftragte, die von Männer-Kaufhäusern labern?

Literatur vom Rande des Universums: Neuseeland war da – in Bonn!

Neuseeland, wo sich die Kulturen der Europäer, der Maori und der pazifischen Völker begegnen, ist in diesem Jahr Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Motto: „Ich lebe am Rande des Universums, wie jeder andere auch“ beschreibt eine Welt ohne Zentrum, in der jeder zugleich im Mittelpunkt und am Rand steht. „Der Mensch ist ein Körnchen Sternenstaub, global vernetzt und unermüdlich kommunizierend“, schreibt Elsemarie Maletzke in der Literaturbeilage der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Zum Auftakt der Buchmesse veranstaltete das Literaturhaus Bonn im voll besetzten Forum der Bundeskunsthalle eine Lesung mit vier höchst unterschiedlichen neuseeländischen Autoren. Ein guter Querschnitt, um sich einen ersten Einblick über die Literatur dieses Landes zu verschaffen.

Den Anfang machte Eleanor Catton (Jahrgang 1985), die mit ihrem Roman „Die Anatomie des Erwachens“ (Arche Verlag) große Erfolge feierte.

Mit Lloyd Jones (Jahrgang 1955) trat einer der bekanntesten neuseeländischen Romanciers auf. Für seinen Roman „Mr. Pip“ erhielt er 2007 den Commonwealth 
Writers’ Prize. „Die Frau im blauen Mantel“, sein neuer Roman, der im August 2012 auf Deutsch erschien (Rowohlt), erzählt von den Lebenslügen und Wahrheiten der hellhäutigen und sommersprossigen Afrikanerin Ines auf ihrer abenteuerlichen Reise durch die Festung Europa nach Berlin. Moderiert wurde die erste Runde von WDR-Redakteur und Facebook-Freund David Eisermann.

In der zweiten Runde, die vom Verleger Stefan Weidle geleitet wurde, startete mit Carl Nixon wieder ein jüngerer Autor.

Sein Roman „Rocking Horse Road“ erschien im Juli 2012 auf Deutsch (Weidle Verlag): Ende 1980 wird die 17-jährige Lucy Asher tot am Strand von The Spit angespült. Sie wurde erwürgt. In der Mitte dieser Landzunge vor Christchurch verläuft die Rocking Horse Road. Eine Gruppe 15-jähriger Jungen findet die Leiche. Die Suche nach dem Mörder schweißt sie für immer zusammen. 1981 macht Neuseeland eine traumatische Erfahrung: Das südafrikanische Rugbyteam tourt im Land. Protest gegen das Apartheidsregime erhebt sich. Es kommt zu Zusammenstößen mit der Polizei. Als Rugby-Fans erleben die Jungen das Geschehen hautnah mit.

Am Schluss der gestrigen Lesung folgte mit dem Maori Witi Ihimaera (Jahrgang 1944) der Höhepunkt des Abends. Der Autor ist in Deutschland vor allem bekannt durch seinen Roman „Whale Rider: Die magische Geschichte vom Mädchen, das den Wal ritt“ (Rowohlt 2003), dessen Verfilmung sehr erfolgreich war. Das Maori-Mädchen Pai lehnt sich darin erfolgreich gegen die männlich geprägten Traditionen auf und erkämpft sich unter Einsatz ihres Lebens die Anerkennung ihres Großvaters. „Ich stehe in der Verantwortung meiner Vorfahren und habe ein stillschweigendes Abkommen mit ihnen. Es lautet, die Maori-Geschichte zu erzählen, die eine andere ist als die Pakeha-Geschichte. Die Maori-Geschichte ist diejenige der ungelösten historischen Fragen, der Konfiszierung des Landes und der daraus folgenden wirtschaftlichen Verarmung mit all den kulturellen und sozialen Konsequenzen“, zitiert Maletzke den sehr sympathischen und weisen Schriftsteller, der nicht nur eine sehr schöne sonore Stimme hat, sondern auch die Tradition des Maori-Gesanges pflegt. Man braucht sich nur meine Audioaufzeichnung anhören, um sich einen kleinen Eindruck zu verschaffen.

Die deutschen Übersetzungen wurden jeweils vom Schauspieler Ulrich Noethen vorgetragen. Ein echter Hörgenuss!