Über das Wesen der Zeitung: Eine Utopie

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Der IT-Unternehmer Jörg Friedrich hat sich für die Zeitung in Printform ins Zeug gelegt. Am Wochenende in einem Gastbeitrag für die FAZ und in seiner The European-Kolumne. Sehr löblich, würde er nicht ein Ideal kommunizieren, dass es so schon Ewigkeiten nicht mehr gibt und vielleicht in seiner Reinform nie gab. Die Krise der Zeitung beruhe darauf, dass das Internet das Medium Papier überflüssig mache. Aber wer Zeitung mit Printmedium gleichsetzt, habe das Wesen der Zeitung nicht verstanden, meint Friedrich:

„Viele Menschen, die eine Zeitung lesen wollen, tun dies zu einem bestimmten Zeitpunkt im Tagesablauf, und zu diesem wünschen sie sich das Paket der Informationen, Hintergrundanalysen und Kommentare. Durch den Verzicht auf zeitintensive Produktions- und Verteilungsprozesse einer Papier-Zeitung gewinnt die Zeitung in Zukunft zwar Zeit, so dass der Zeitpunkt des Redaktionsschlusses mit dem des Erscheinens dichter zusammenrücken kann, aber das Besondere der Zeitung wird immer eben dieser Redaktionsschluss sein und die Tatsache, dass er für das ganze Paket gilt, der – wie effektiv auch immer die Produktion einer Online-Zeitung einmal sein wird – einen gewissen Abstand zum Erscheinen der Zeitungsausgabe haben wird, ein Zeitraum, der Abstand schafft zwischen Ereignis und Bericht“, so Friedrich in der FAZ.

Das eigentliche Produkt einer Zeitungsredaktion sei die Ausgabe, die regelmäßig erscheint.

„Regelmäßig heißt, dass der Erscheinungstermin einer Regel folgt, auf welche die Leser sich mit ihrem Lebensrhythmus einstellen können, und dass der Produktionsprozess selbst, der im Erscheinen der Ausgabe mündet, bestimmten Regeln unterworfen ist. Dadurch werden die Qualität und die Individualität jeder Zeitung sichergestellt. Und das macht ihren eigenständigen Wert überhaupt nur möglich“, führt Friedrich weiter aus.

Wie wertet der Autor Zeitungen, die schon seit Jahren und auch vor der Popularisierung des Internets die abgestandene Nachrichtenbrühe der Tagesschau vom Vorabend servieren? Und Redaktionen für den Politik- und Wirtschaftsteil, die sich mit Agenturmeldungen über Wasser halten, die am Vortrag schon von morgens bis abends über Internet, Fernsehen und Radio runter genuldet wurden? Wie viele Artikel beruhen auf Primärquellen? Wie viele Nachrichten wurden von den Redaktionen recherchiert und nicht irgendwo kopiert? Mit Wirtschaftsbloggern war ich mir einig, dass es keinen großen Aufwand macht, Meldungen über Wirtschaftswachstum oder Eurokrise über die jeweiligen Primärquellen zu bekommen. Da muss man sich nur etwas von seiner eigenen Bequemlichkeit verabschieden und den direkten Draht zu Bundesbank, Statistischem Bundesamt, Instituten, Regierungsstellen und sonstigen Institutionen aufbauen.

Wie das Ideal einer Zeitung aussehen soll, hat WAZ-Verlagschef Bodo Hombach skizziert: Die klassischen Medien müssten Gelenkstelle zwischen allen Räumen des öffentlichen Lebens sein, Drehscheibe für Ideen, Arena, Forum, Nische und Nest, Rumpelkammer für Exkurse ins Fantastische, frech, präzise, zivil, Sendbote zwischen Ein- und Ausgeschlossenen, Dolmetscher zwischen oben und unten, Gestern und Morgen, Rand und Mitte, Vor- und Nachdenker, Instrument der Auseinandersetzung und des Zusammengehens, aktuell, flexibel, empfindsam und hart, mit Leidenschaft und Kühle, Katheter für sozialen Problemstau, Kompostecke für Kulturabfall, Schredder für Abgelegtes, Abgenutztes, Abgestandenes, Seismograf für feinste Beben auf der nach oben offenen “Richter-Skala” des Geistes, offen für jede Bitte, aber verschlossen für jeden Befehl.

Also all das, was man in der Blogosphäre schon wahrnehmen kann durch die Vielfalt, durch das kreative Chaos und der Inspiration der Basis. Kein Territorialverhalten, keine selektive Nachrichtenauslese, kein Auflagendruck, kein Bestreben nach dem absoluten Medienscoop.

Die klassischen Medien “jagen im Rudel”, so Hombach”.

“Kampagnenjournalismus muss nicht mehr organisiert werden. Es ergibt sich wie von selbst. Die Neidhammel umkreisen den Sündenbock.“

In vielen Blättern und Sendern werden Agenturberichte ungeprüft übernommen.

“Man hört und sieht und liest denselben Bericht. Das empfinden die meisten als Bestätigung. Mancher glaubt sogar dem selbst erfundenen Gerücht, wenn es zu ihm zurückkehrt.“

Was Zeitungen permanent als Aufmacher ins Blatt nehmen, ist eine bloße Erinnerung an den Fernsehabend zuvor. Nur noch halb so groß sollten die Tageszeitungen berichten über die Reden von Politikern und die Verlautbarungen von Parteien und Verbänden, forderte der große Journalistenausbilder schon vor einigen Jahren, als das Wort „Zeitungskrise“ noch gar nicht so richtig diskutiert wurde.

“Es gibt weder eine Journalistenpflicht noch ein heißes Leserinteresse, täglich groß gedruckt zu sehen, was da an Versprechungen und Verunglimpfungen abgelassen wird, an Retourkutschen, unseriösen Prognosen und durchschaubaren Lügen. Über politische Sprechblasen wahrheitsgemäß berichten heißt ja: In redlicher Absicht die Zeitung mit Schönfärbereien und Irreführungen füllen; je weniger sie davon druckt, desto höher steigt also ihr Wahrheitsgehalt”, erklärt Wolf Schneider.

Halbiert würde dabei auch die schiere Langeweile. Die Zeiten, in denen eine saturierte Abonnementszeitung durch journalistische Langeweile gar nicht ruiniert werden konnte, seien vorbei: “Omas Zeitung liegt im Sterben”. Wie gesagt, Wolf Schneider ist kein Nerd, sondern ein erfahrener Journalist, der das wohl ganz gut beurteilen kann, was in den Redaktionen abläuft. Mit Häme über den Niedergang des Zeitungsjournalismus hat das nichts zu tun – eher mit Trauer.

Selbst die FAZ kommt finanziell in eine Schieflage. Mit Google hat das übrigens nichts zu tun, wie turi2.de berichtet:

„Das Blatt fährt in diesem Jahr offenbar einen Verlust im zweistelligen Millionen-Bereich ein. Medien-Insider Kai-Heinrich Renner schreibt in seiner Abendblatt-Kolumne von 10 bis 20 Millionen Euro, die am Ende fehlen werden. Grund für den Verlust ist hauptsächlich der Einbruch im Stellenmarkt der FAZ, der für Umsatz und Gewinn des Blattes von immenser Bedeutung ist.

Plädieren jetzt die FAZ-Herausheber für ein Schutzgesetz, um bei Monster & Co. abzukassieren?

Buchpiraterie ignorieren? Ein neuer Kopisten-Fall erregt die Gemüter #Gut-Raub

„Zum Auftakt der AKEP-Konferenz in Berlin hat Sascha Lobo der Branche Ratschläge zum „Buchstabenverkauf“ der Zukunft mit auf den Weg gegeben und diese historisch fundiert – um am Ende die Zuhörer mit der Ankündigung zu überraschen, selbst einen Verlag zu gründen“, schreibt der Buchreport in seinem Bericht „Ignoriert Piraterie“:

Verleger müssten ihr Geschäft vom Produkt zum Service entwickeln, mit der Tendenz, am Ende einen Produktpreis von 0 Euro anzusetzen. Dieses Prinzip habe es schon im 17. Jahrhundert bei Lesezirkeln, der Vermietung von Zeitschriften, gegeben, einem kostenpflichtigen temporären Zugang zur Lektüre.

„Die wohl knackigste – und unter den Zuhörern besonders umstrittene – These: Verlage sollten Piraterie ignorieren. Es werde immer Leute (’15 bis 20% der Menschen sind Arschlöcher‘) geben, die kopiergeschützte Bücher knacken. Diese gezielt zu ignorieren, verschaffe den Verlegern einen besseren Schlaf und weniger Feinde. Wenn Bücher zunehmend zu Services ausgebaut würden, seien diese ohnehin nicht mehr kopierbar – und bei einem Preis von 0 Euro für das Buch an sich sei Piraterie dann nicht mehr umsatzrelevant.“

Sinnvolle Vorschläge. Aber meine aktuellen Recherchen stimmen mich nachdenklich. Die Buchbranche hat nach den folgenden Fakten wohl die Schlacht gegen Buchpiraten bereits verloren. Aufgedeckt wurde dieses schamlose Kopistentum von einem renommierten Schriftsteller. Folgendes ist mir zugespielt worden.

Auch Professoren zählen zur Kopisten-Mafia!

„Heutzutage verführt die Leichtigkeit der Vervielfältigung zu allen möglichen Dingen.“

Selbst Wissenschaftler an deutschen Hochschulen seien in diesem Kopisten-Netzwerk verstrickt. Da werde dann schnell von der Aufzeichnung einer Zweistundensendung im Hörfunk ein Plagiat erstellt. Das habe einer kopiert und in hoher Stückzahl an seine Freunde verschenkt. Der Schriftsteller erwähne das nur als Spitze des Eisberges, um zu dokumentieren, wie das simple Gefühl für Recht und Unrecht schon aufgeweicht ist, wenn so etwas an dürrem Professorenholze schon geschieht.

Auch Hörfunksender sind Teil des Kopisten-Netzwerks

Selbst Hörfunksender würden das machen und entsprechende Exemplare seiner Vorträge an Zeitschriften verschicken, die das seitenlang abdrucken – ohne das Ganze autorisieren zu lassen oder zu entlohnen. Erst auf Druck des Verlage sei eine Zeitschrift dann bereit gewesen, wenigstens einen kleinen Betrag zu bezahlen. Freiwillig waren die nicht dazu bereit. Autoren sind ständig solchen Nötigungen und Vergewaltigungen ausgesetzt. Hier schlage eine zweifelhafte Denkweise und Gesinnung durch. Der Schriftsteller lasse sich seitdem vom Hörfunk grundsätzlich erstmal schriftlich geben, dass die keine Exemplare von seinen Ein- oder Zweistundensendungen erstellen. Erlauben würde er nur fünf oder sechs Exemplare für die Sprecher und eins fürs Archiv, „damit ist wenigstens ein legales Löchlein verstopft…“. Das sei eine erste Maßnahme, aus der zumindest sein Protest hervorgeht gegen dergleichen. Denn wie und wo zu ein in korrigierter Form erscheinen soll, würde gerne der Schriftsteller bestimmen. Völlig verantwortungslos sei auch das Verhalten der Zeitungen im Umgang mit diesen Raubkopien, die das ohne Gegenprüfung übernehmen und sogar im Literaturteil besprechen würden. Teilweise würden die Diebe den gestohlenen Mantel mit einer solchen Eleganz tragen, dass Fragen zum eigentlichen Besitzer gar nicht mehr aufkommen.

Sättigung durch Schwarzmarkt-Angebote macht zweite Auflagen fast unmöglich!

In dieses Regime der Raubkopien sind also vielfältige Kreise verstrickt. Völlig unmöglich sei es, eine wirklich gute zweite Auflage von den eigenen Werken auf den Markt zu bringen.

„Was soll jetzt werden, können wir noch eine zweite Auflage machen, wenn der Markt gesättigt wird auf unrechtmäßige Weise.“

So viel Kopisten-Dreistigkeit gegen die kreativen Leistungen eines Autors lassen einen sprachlos zurück. Ich habe nur ein Bruchteil der Beweise über das Kopisten-Netzwerk in Deutschland dokumentiert.

Empörte sollten gar nicht mehr weiterlesen!

Aber auch ich bin ein übles Collage-Ferkel. Die Dokumentation stammt aus dem Jahr 1970 und betrifft die analoge Kopisten-Mafia unter den Raubdruckern. Die stark abgewandelten Aussagen habe ich den Gesprächen von Gunar Ortlepp mit dem Schriftsteller Arno Schmidt entnommen. Sie waren dann Basis für den Spiegel-Artikel „Gut Raub“, der auch 1970 erschien (Nr. 37, S. 216 bis 217). Vielleicht liest ja der Eine oder Andere nicht bis zum Schluss und entwickelt daraus eine neue Skandalgeschichte über das digitale Piratentum – das würde mir sehr gefallen 🙂

Bernd, der blöde Blogger und die seriösen Zeitungsnachrichten: Bayerische Grundschüler lernen Medieninkompetenz

Stefan Niggermeier hat wieder einmal einen medialen Goldschatz gehoben. Es geht um ein Projekt der bayerischen StaatsLandesregierung. Grundschüler der dritten und vierten Klasse sollen Medienkompetenz lernen. Über einen Medienkompetenzführerschein können die lieben Kleinen unter Beweis stellen, wie man sich in der bösen Medienwelt zurechtfindet. Als Unterrichtsmaterial steht eine Broschüre zur Verfügung mit dem Titel „Schau genau hin“. Niggemeier hat genau hingeschaut und Erstaunliches entdeckt: Da gibt es den blöden (sorry, steht so nicht in der Broschüre) Blogger Bernd, der bei einem Fallbeispiel praktisch alle Fakten verdreht und nichts auf die Reihe bekommt.
„Das ist kein Wunder, denn im Internet werden ja, anders als bei der Zeitung, die Informationen vor der Veröffentlichung nicht überprüft. Oder wie es im Begleitmaterial für die Lehrer heißt:
Die Kinder sortieren die einzelnen Schritte der vorgeschlagenen Nachrichtenwege. Danach vergleichen sie: Einmal sind es drei, einmal vier Schritte. Welcher Schritt fehlt bei dem Nachrichtenweg ins Internet im Vergleich zum Weg in die Zeitung? Antwort: Es ist die Überprüfung der Information. Der Journalist hat bei der Polizei nachgefragt, die Fakten gesammelt und erst dann veröffentlicht.
(…)
Beim Blog-Text werden die Informationen ungeprüft ins Netz gestellt. Vielleicht hat Bernd einiges missverstanden oder erinnert sich nicht mehr genau. Fakt aber ist, dass seine Informationen nicht geprüft sind. An dieser Stelle bietet sich auch der Vergleich zu dem Spiel ‚Stille Post‘ an. Auch da gehen Informationen auf dem Weg der Übermittlung verloren. Natürlich können auch Journalisten etwas falsch verstehen. Deshalb können in einer Zeitung ebenfalls fehlerhafte Informationen stehen. Sollte dies vorkommen, werden dort in der Regel aber Falschmeldungen korrigiert.“

Wer also zufällig seine Elaborate auf den Produkten der Holzindustrie veröffentlichen kann, ist ein seriös und gewissenhaft recherchierender Journalist. Wer im Netz publiziert, leidet unter Alzheimer und spielt „Stille Post“.

„Schau genau hin!” heißt die Lerneinheit. „Zu ihren ehrenwerten Zielen gehört es, dass die Kinder (jedenfalls im Internet) auf den Urheber einer Nachricht achten sollen, um die Glaubwürdigkeit von Informationen bewerten zu können. ‚Firmen verfolgen eigene Interessen‘, warnt das Begleitmaterial, ‚und werden vor allem sich selbst oder ihre Produkte ins rechte Licht rücken.‘
In der Tat. Herausgeber der Unterrichtseinheit ist übrigens zufällig der Verband Bayerischer Zeitungsverleger (VBZV)„, schreibt Niggemeier.

Beim VBZV war übrigens die verantwortliche Dame nicht zu erreichen – sie ist erst am Donnerstag zu sprechen. Auch die Pressestelle des bayerischen Kultusministeriums hat mich noch nicht zurückgerufen (kein Vorwurf). Einige Fragen habe ich noch:
Wer finanziert diesen Spaß, der nicht nur als vbzv_presse abrufbar ist, sondern auch in gedruckter Form an die Grundschüler in Bayern verteilt wird? Wer hat das Blättchen mit dem Märchen von der heilen Printwelt politisch abgesegnet? Wer hat das Ganze redaktionell begleitet?
Im Impressum steht lediglich folgende Info:
Impressum:
© 2010 mct media consulting team, Dortmund
Konzeption: Prof. Dr. Günther Rager, Anke Pidun
Inhalt: Anke Pidun
Gestaltung: Rosalie Schnell, Miriam Schmikowski
Zeichnungen: Laura Martin
Pädagogische Fachberatung: Claudia Pidun-Martin

Und dann noch abschließend: Wie hoch sind die Kosten und wer hat die Kosten getragen?

Nachtrag: Ein Ministeriumssprecher hat mich gerade angerufen und will mir im Laufe des Tages die Fragen beantworten.

Zweiter Nachtrag: Der Ministeriumssprecher hat noch einmal angerufen und mich an die Staatskanzlei verwiesen.

Dritter Nachtrag: Habe gerade die Staatskanzlei angerufen. Heute ist Kabinettssitzung. Werde wohl erst so gegen 15 Uhr zurückgerufen.

Vierter Nachtrag: Nun der Schlusspunkt meiner bayerischen Recherche-Reise. Einen Rückruf der Staatskanzlei habe ich nicht erhalten. Stattdessen wurde meine Anfrage wieder an den Verband Bayerischer Zeitungsverleger weitergeleitet. Um 17,30 Uhr rief mich der VBZV-Geschäftsführer Dr. Markus Rick an. Die Printlastigkeit der Broschüre könne nicht überraschen, da ja der VBZV der Herausgeber sei. Das ist nachvollziehbar. Da das Projekt aber modular aufgebaut sei, würden auch die anderen Medienformate nicht zu kurz kommen. Die Staatskanzlei hatte die Initiative für einen Medienführerschein wegen mehrerer Vorkommnisse gestartet. Dazu zählt auch der Amoklauf von Winnenden. Hier sah die Landesregierung politischen Handlungsbedarf. Mittlerweile lägen Erfahrungen mit dem Medienführerschein in 30 Pilotschulen vor und man werde das Projekt auf freiwilliger Basis ausweiten. Steuergelder wurden dafür nach Angaben von Rick nicht in Anspruch genommen. Das wird über die Zeitungsverlage finanziert. Das Printmodul sei dem Kultusministerium vorgelegt und geprüft worden. Es würde den Lehrplänen der dritten und vierten Klasse entsprechen. Die Darstellung der Bloggerwelt hält Rick für eine pointierte Verkürzung. Als zentrale Botschaft soll vermittelt werden, dass es sich bei der Zeitung um ein geprüftes Produkt handeln würde.

Ende der Durchsage. Ich werde das jetzt mal nicht weiter kommentieren.

Unterstützen! Appell gegen die Angriffe auf WikiLeaks

Die tageszeitung und andere Medien veröffentlichen einen Appell gegen die Angriffe auf Wikileaks.

 Das findet natürlich auch meine Unterstützung!

1. Die Angriffe auf Wikileaks sind unangebracht

Die Internetveröffentlichungsplattform Wikileaks steht seit der Veröffentlichung der geheimen Botschaftsdepeschen der USA unter großem Druck. In den USA werden die Wikileaks-Verantwortlichen als „Terroristen“ bezeichnet, es wird sogar ihr Tod gefordert. Große internationale Unternehmen wie Mastercard, Paypal und Amazon beenden ihre Zusammenarbeit mit Wikileaks – ohne dass eine Anklage gegen die Organisation vorliegt, geschweige denn eine Verurteilung. Gleichzeitig wird die technische Infrastruktur von Wikileaks anonym über das Internet attackiert.

Dies sind Angriffe auf ein journalistisches Medium als Reaktion auf seine Veröffentlichungen. Man kann diese Veröffentlichungen mit gutem Grund kritisieren, ebenso die mangelnde Transparenz, welche die Arbeit der Plattform kennzeichnet. Aber hier geht es um Grundsätzliches: die Zensur eines Mediums durch staatliche oder private Stellen. Und dagegen wenden wir uns. Wenn Internetunternehmen ihre Marktmacht nutzen, um ein Presseorgan zu behindern, kommt das einem Sieg der ökonomischen Mittel über die Demokratie gleich. Diese Angriffe zeigen ein erschreckendes Verständnis von Demokratie, nach dem die Informationsfreiheit nur so lange gilt, wie sie niemandem wehtut. 


2. Publikationsfreiheit gilt auch für Wikileaks

Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbriefte Publikationsfreiheit ist eine Grundlage der demokratischen Gesellschaften. Sie gilt nicht nur für klassische Medien wie Zeitungen oder Fernsehanstalten. Das Internet ist eine neue Form der Informationsverbreitung. Es muss den gleichen Schutz genießen wie die klassischen Medien. Längst hätte es einen weltweiten Aufschrei gegeben, wenn die USA ein Spionageverfahren gegen die New York Times, einen finanziellen Kreuzzug gegen den Spiegel oder einen Angriff auf die Server des Guardian führen würden.

3. Recht auf Kontrolle des Staates

Die Kriminalisierung und Verfolgung von Wikileaks geht über den Einzelfall hinaus. Die Veröffentlichung als vertraulich eingestufter Informationen in solchen Mengen soll verhindert werden. Denn die Menge an Dokumenten liefert der Öffentlichkeit einen weit tieferen Einblick in staatliches Handeln als bisherige Veröffentlichungen in klassischen Medien. Der Journalismus hat nicht nur das Recht, sondern die Aufgabe, den Staat zu kontrollieren und über die Mechanismen des Regierungshandelns aufzuklären. Er stellt Öffentlichkeit her. Ohne Öffentlichkeit gibt es keine Demokratie. Der Staat ist kein Selbstzweck und muss eine Konfrontation mit den eigenen Geheimnissen aushalten.
Wir fordern alle Staaten und auch alle Unternehmen auf, sich diesem Feldzug gegen die bürgerlichen Rechte zu widersetzen. Wir fordern alle Bürger, bekannt oder unbekannt, in politischen Positionen oder als Privatpersonen, auf, für die Einstellung der Kampagne gegen die Meinungs- und Informationsfreiheit aktiv zu werden. Wir laden alle ein, sich an dem Appell für die Medienfreiheit zu beteiligen.

Döpfner und der Nutzen des Parasiten

„Wer liberal ist, verteidigt geistiges Eigentum“, mit diesem Credo eröffnet Springer-Chef Mathias Döpfner in einem Gastbeitrag für die NZZ ein wahres Zitaten-Panoptikum, um die Verteidigungslinie gegen die bösen Web-Kommunisten, die Kostenlos-Parasiten im Netz und die Aufmerksamkeit-statt-Geld-Prediger aufzubauen. Letztlich geht es doch nur um die Bewahrung der Verlagsmonopol-Renditen, die man über Jahrzehnte eingefahren hat. Die Web-Kommunisten sind nicht verantwortlich für den Niedergang der alten Geschäftsmodelle der Verlage. Das hat der Journalismus-Professor Stephan Ruß-Mohl sehr gut beschrieben:

„Die Verlagsmanager haben sich an entscheidenden Stellen verkalkuliert. In der ‘guten, alten’ Zeit hatten die meisten Blätter regionale oder lokale Oligopole oder Monopole, also eine marktbeherrschende Stellung. Damit konnten sie bei den Anzeigenpreisen kräftig zulangen. Über Jahrzehnte hinweg erzielten sie Traumrenditen, von denen nicht nur viele Verleger, sondern auch so manche Redakteure in ihren Nischen wie die Maden im Speck lebten. Im Internet herrscht dagegen Wettbewerb. Der Konkurrent, der auf dieselben Anzeigenkunden hofft, ist nur einen Mausklick entfernt. Deshalb schrumpfen bei den Werbeumsätzen die Margen, aus denen sich früher Redaktionen großzügig finanzieren ließen“, so Ruß-Mohl.

Für die Werbetreibenden seien das paradiesische Zustände. Sie könnten ihre Zielgruppen ohne allzu große Streuverluste über das Internet sehr viel besser erreichen und müssten das Geld nicht mehr zum Fenster rausfeuern. Und noch ein Trend schröpft die Verlage: Wer nach einer neuen Freundin Ausschau hält oder sein Auto zum Verkauf anbietet, kann online inzwischen gratis oder für wenig Geld seine Ziele erreichen. Hier hilft die Silo-Taktik der Verlagsmanager nicht weiter. Die entsprechenden Portale laufen auch ohne Nachrichten-Content! Da wird auch das Leistungsschutzrecht, Verwertungsgesellschaft, Abmahnterror, Gebühren-Abzocke und sündhaft teure Payment-Strategien nicht weiterhelfen. Für die auswechselbaren Tagesnachrichten der Gesternmedien helfen die Schutzwälle nicht weiter, sie werden zu einer Innovationsstarre der Verlage führen und sie zu Dinosauriern der Medienwelt degradieren.

Parasiten, Hacker, Daten-Piraten, Wissensdiebe, Kopisten und Collage-Künstler sind in diesem Spiel höchst nützliche Zeitgenossen. Sie stören die Monopolisten – das liberale Mimikry von Herrn Döpfner ist dabei nur ein Ablenkungsmanöver: „Die Macht suchte und sucht das Zentrum einzunehmen. Wenn sie von diesem Zentrum aus wirken, ihre Wirksamkeit bis an die Grenzen des Raumes entfalten, wenn sie bis an die Peripherie reichen soll, so ist es notwendig, dass es kein Hindernis gibt (Web-Kommunisten, Herr Döpfner), dass der Raum um ihre Aktion homogen ist. Kurz, der Raum muss frei von Rauschen, von Parasiten sein. Um Gehorsam zu finden, muss man gehört, muss man verstanden werden, muss die Ordnungsbotschaft Stille vorfinden. Man muss Stille schaffen (mit dem Leistungsschutzrecht, gs). Man muss die Parasiten vertreiben (um wieder die alten Monopolrenditen zu verdienen, gs)“, schreibt der Philosoph Michel Serres in seiner Abhandlung „Der Parasit“.

Das Verbrechen der Wissensmonopolisierung in allen seinen Varianten verlangt nach Wiedergutmachung, so Serres; diese funktioniert jedoch nicht nach dem traditionellen paternalistischen Modell (Lehrer-Schüler Verhältnis), sondern komme von der Peripherie; von jenen also, die bislang vom Wissen ausgeschlossen wurden. Die Zirkulation des Wissens könne man nicht durch Copyrights bändigen. Das technische Potenzial provoziert immer auch seine uneingeschränkte Nutzung – und sei es durch die parasitäre Piraterie. Der Parasit als Störfaktor kann seinen Wirt veredeln aber auch töten, Herr Döpfner. Wenn er nutzlos wird, sucht sich der Parasit einen neuen Wirt.

Siehe auch: Döpfners Klage über die Gratis-Kultur und was der Springer-Chef vom Götterboten Hermes lernen könnte.

dmexco: Online-Werbemarkt auf dem Niveau von Zeitungen


Der deutsche Online-Werbemarkt wird in diesem Jahr um 19 Prozent auf über fünf Milliarden Euro wachsen. Davon geht die neue Bruttoprognose des Online-Vermarkterkreises (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) aus. Die Schätzung ist durch den überdurchschnittlich hohen Anstieg im ersten Halbjahr um fünf Prozentpunkte angehoben worden. „Besonders die klassische Online Display-Werbung hat im Vergleich zum Vorjahr von 2,3 Milliarden auf 2,9 Milliarden Euro deutlich zugelegt“, sagte OVK-Vorsitzender Paul Mudter zur Eröffnung der Kölner Fachmesse dmexco.

Ein Treiber dieser Entwicklung seien Video- und Premium-Werbeformate. „So ist die Bewegtbild-Werbung im Internet in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um 95 Prozent gewachsen“, so Mudter. Der Anteil am Gesamtwerbekuchen ist auf einen Anteil von 18,8 Prozent gestiegen und konnte den Abstand zur klassischen Gattung Zeitung mit 19,5 Prozent deutlich verringern. Beim Suchwortmarketing wird das Wachstum bei 15 Prozent liegen und sich von 1,6 Milliarden auf 1,9 Milliarden Euro steigern.

Auch die mobile Werbung sei schon längst kein Nischenthema mehr. So wurden im ersten Halbjahr 2010 über 50 Prozent mehr mobile Display-Kampagnen umgesetzt als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Anzahl der Werbungstreibenden hat sich in um 28 auf 137 erhöht. „Hier dominieren die Branchen Medien, Telekommunikation und Automobil. Aber auch die Energie und Finanzen haben ihre Aktivitäten ausgebaut“, erklärte Thomas Mendrina, Leiter des Mobile Advertising Circle im BVDW.

Der europäische Online-Werbemarkt brauche würde sich mittlerweile auf Augenhöhe mit den USA befinden. Darauf verwies der BVDW-Präsident Arndt Groth. „Im Gegensatz zu Europa kämpft der amerikanische Markt immer noch mit den Auswirkungen der Finanzkrise. Durch die ungebrochen positive Tendenz in Europa hat sich der Abstand deutlich verringert. Es dauert nicht mehr lange, dann haben wir das Niveau der USA erreicht.“

Social Media-Marketing werde von fast allen Entscheidern als relevant angesehen. Hier sieht der Großteil der Agenturen einen Anteil von zehn Prozent und mehr in 2015. Dabei soll der Hauptanteil der Budgets aus digitalen und klassischen Marketing-Budgets stammen. Bei aller Aufmerksamkeit, die das Thema Social Media derzeit genießt, sei die Frage nach den werblichen Potentialen noch lange nicht beantwortet. Das Ganze sei aber schon jetzt ein fester Bestandteil der Markenkommunikation und der Agenturleistungen.

Auf die Aussage von Philipp Welte, Zeitschriftenvorstand von Burda, dass die klassische Werbung im Netz weder sonderlich verkaufsfördernd noch wirklich markenbildend sei, reagierte der BVDW-Vorstand gelassen. Er würde halt die Interessen der Zeitschriften vertreten. „Ich respektiere die Meinung von Herrn Welte.“ Etwas zugespitzter formulierte es Thomas Knüwer:

„Burda will die Inhalte seiner Print-Produkte im Web ablaichen – am besten wahrscheinlich noch gegen Geld. Nix ist mit multimedialen Erzählformen, und auch Beteiligungen an interessanten Web-Unternehmen wird es wohl seltener geben. Philipp Welte spielt nicht mehr mit. Somit erklärt sich so manches, vielleicht gar der völlig unerwartete Abgang des hoch angesehenen Digital-Lenkers Ulli Hegge jüngst.“

Die nackten Zahlen sprechen ohnehin gegen Zeitschriften. Nur noch sechs Prozent der 14 bis 29jährigen liest regelmäßig Zeitungen. Die durchschnittliche Lesedauer pro Tag liegt nur bei sechs Minuten. Der Marktanteil am Werbekuchen liegt bei den Publikumszeitschriften bei 12,9 Prozent – ist also von Online-Werbung schon deutlich überholt worden. Fachzeitschriften erreichen den mageren Wert von 1,7 Prozent. Gute Nacht, Herr Welte.

Hier die Aufzeichnung der Pressekonferenz des BVDW zum Auftakt der dmexco.

Slow Media und was Zeitungsverlage von Marshall McLuhan lernen könnten

In einer beschleunigten Welt wächst die Sehnsucht nach Entschleunigung. Wie man das in Zeiten der Echtzeitkommunikation bewerkstelligen kann, stellten Jörg Blumtritt und Benedikt Köhler auf der Start-Konferenz in Duisburg vor. Die Initiatoren des Blogs „Slow Media“ berufen sich auf den Philosophen Odo Marquard.

Je höher die Innovationsgeschwindigkeit ist, desto weniger veraltungsanfällig sind alte Lebensformen, so das Diktum von Marquard. Die moderne Wandlungsbeschleunigung würde selber in den Dienst der Langsamkeit treten. So sollte man sich beim modernen Dauerlauf Geschichte – je schneller sein Tempo wird – unaufgeregt überholen lassen und warten, bis der Weltlauf – von hinten überrundend – wieder bei einem vorbeikommt. „Der Wartende ist dann wieder an der Spitze der Bewegung“, sagte Köhler. So wachse gerade durch Langsamkeit die Chance, up to date zu sein. Das sei der Trick von Slow Media, bestimmte Dinge zu antizipieren, die wiederkommen.

„Selbst in Technologiebranchen sollte man ab und an Innehalten und sich an den klugen Sätzen von Odo Marquard orientieren. Ich habe das schon in den stürmischen Tagen der New Economy in meinem Buch ‚Change‘ erwähnt. Es gibt keine Zukunft ohne Herkunft. Besonders die neuen Medien benötigen alte Fertigkeiten. Das hat allerdings nichts mit dem Antimodernismus der Jammerathleten, Klagegenies und Kassandren vom Dienst zu tun. Beim programmatischen Ansatz von Slow Media geht es wohl darum, sich auf seine wahren Kompetenzen zu besinnen und sich von Dingen zu verabschieden, die bedeutungslos werden“, so der Bitronic-Chairman Peter B. Záboji. Slow heiße also nicht Maschinenstürmerei, sondern zielt auf einen möglichst intelligenten und sinnvollen Gebrauch von neuen wie alten, bewährten Technologien ab.

Bei den klassischen Medien müsse man allerdings erst einmal den Wandel der Mediennutzung zur Kenntnis nehmen, betonten Blumtritt und Köhler. So verliere die Zeitung als Medium schon seit Jahrzehnten an Bedeutung. Sie hatte ihren Höhepunkt 1973 in einem reifen Markt wie den USA: „Seit diesem Zeitpunkt gehen alle Industrieindizes, die man mit den Zeitungsverlagen in Verbindung bringen kann, langsam aber sicher runter. Die Zeitung verlor also lange vor dem Eintritt des Internets ins tägliche Leben an Relevanz. In Deutschland ist dieser Prozess ungefähr seit 1990 zu beobachten“, erklärte Blumtritt.

Die Medienmacher sollten die geänderten Lebenswelten der Menschen mehr zur Kenntnis nehmen. Ein interessantes Modell zur veränderten Mediennutzung sei die Tetrade von Marshall McLuhan. „Es gibt vier Entwicklungsstufen. Jedes Medium löst irgendein anderes Medium ab. Das Auto löst die Kutsche als Transportmittel ab. Digitale Medien treten an die Stelle von gedruckten Medien. Beim Auto ist es aber gar keine Substitution der alten Fortbewegungsmittel, sondern man kann mit dem motorisierten Gefährt lauter Sachen machen, die mit dem Pferd nie möglich waren. Es entstehen neue Funktionen, die es vorher nicht gab“, sagte Blumtritt. Jedes neue Medium bringe neue Qualitäten hervor. In Blogs sei es zum Beispiel der persönliche und manchmal sehr langlebige Kontakt und Austausch zwischen Autor und Leser, der in anderen Medien wie zum Beispiel Zeitschriften nicht in dieser Form gegeben ist. Aber gleichzeitig werden bestimmte Dinge in den Hintergrund gedrängt. Im Falle von Twitter werde zum Beispiel die zeitliche Dimension der Nachrichtenproduktion und Nachrichtendistribution obsolet.

Im dritten Entwicklungsschritt passiere mit einem Medium irgendetwas, wenn man es auf die Spitze treibt. Bildschirmmedien würden beispielsweise der mündlichen Kommunikationskultur wieder Auftrieb verschaffen. Dann passiere ein Rückschlag und es folge der vierte und spannendste Entwicklungsschritt. Jedes Medium rücke verdrängte Effekte oder Eigenschaften wieder in den Vordergrund. „Bei Twitter ist man gezwungen, sich kurz zu fassen. Das verlangt extrem viel Sprachfähigkeit. Damit die Tweets mit nur 140 Zeichen wahrgenommen werden, muss man einen aphoristischen Stil entwickeln. Das ist eine hohe Kunst“, stellte Blumtritt fest (wie lyrisch der Twitter-Kosmos sein kann, belegt das neue Büchlein „Das Leben in 140 Zeichen“, erschienen bei Pons).

Gute Twitter-Streams seien wie Lyrik lesbar. Das, was andere Medien überflüssig gemacht haben, kehre also wieder. Ein weiteres Beispiel hierfür sei das Telegramm. „Das Telegramm war im 19. Jahrhundert, bevor Telefone und später dann E-Mails einer großen Masse zugänglich waren, eindeutig das schnellste Medium. Wenn man jemandem sehr schnell etwas mitteilen musste, hatte man ein Telegramm geschickt. Vor einiger Zeit hat die Deutsche Post das Telegramm neu erfunden und dabei eine Qualität in den Vordergrund gebracht, die zuvor nur eine untergeordnete, wenn nicht sogar ausgesprochen lästige, Rolle gespielt hatte: die persönliche Übergabe der Nachricht wird zum neuen Alleinstellungsmerkmal. Das Telegramm hat sich also vom schnellsten in das persönlichste Mitteilungsmedium verwandelt. Aber diese Metamorphose war nur möglich, weil sich in der Zwischenzeit neue Medien herausgebildet haben, die dem Telegramm eine neue Bedeutung geben konnten“, führte Köhler aus.

Medienevolution sollte man systemisch denken. Bei Zeitungen im Internet sei es ja nicht die Nachricht, die Zeitungen unverwechselbar macht. Die bekomme man auf allen Kanälen präsentiert. Das Archiv mache die Identität der Zeitung aus. Mit diesem Tafelsilber könnten die Verlage mehr machen. Mit der Echtzeitkommunikation in Konkurrenz zu treten, sei hingegen sinnlos. Da sei auch ein Slow Media-Konzept, welches Wert auf Qualität legt, überflüssig. Wenn sich die Info übe einen Flugzeugabsturz über Twitter ausbreitet, interessiert doch nicht die Qualität der Recherche. Wenn man allerdings für einen eigenen Bericht auf Archivquellen beispielsweise der FAZ zurückgreifen will, muss man für einen einzigen Artikel zwei Euro zahlen. Das sei schon Wucher. Dann fange das schwachsinnige Paymentsystem erst bei fünf Euro an. „So hätte ich noch zwei weitere Artikel kaufen müssen. So etwas brauche ich nicht. Dann lass ich es halt. Dann wird die FAZ eben nicht zitiert. Das ist ein typisches Beispiel für verpasste Chancen“, resümierte Blumtritt.

Wer sich nach dem Slow Media-Prinzip den kompletten Vortrag anhören will, kann das hier machen. Dauer gut 40 Minuten. Am Anfang mit einigen störenden Nebengeräuschen, da keine Tische zur Verfügung standen. Musste das Aufnahmegerät in der Hand halten.

Forderungen für ein lebenswertes Netz versus Zensur-Phantasien – Ich drücke die NZZ-Reset-Taste

Viele der Visionen des Chaos Computer Clubs (CCC) sind inzwischen nicht nur Realität, sondern Selbstverständlichkeiten in der Mitte der Gesellschaft geworden: „Der Einzug des Internets in den Alltag fast der gesamten Bevölkerung hat uns Datenschutzsorgen gebracht, aber auch zu einer Demokratisierung, einer Bereicherung aus wissenschaftlicher, sozialer und künstlerischer Sicht geführt. Die Selbstheilungskräfte des Internets haben dabei viele befürchtete dystopische Auswüchse ohne staatliches Eingreifen verhindern können. Aus unserer Sicht liegt der aktuellen Diskussion eine Fehleinschätzung zugrunde, an welchen Stellen Regulierungsbedarf notwendig ist und an welchen nicht“, schreibt der CCC in einem elf Thesen umfassenden Beitrag mit Forderungen für ein lebenswertes Netz.

„Wir haben daher in klare Worte gefaßt, welche Errungenschaften erhalten und welche aktuellen Mißstände unserer Meinung nach angepackt werden müssen, welche Risiken für die Zukunft einer wettbewerbs- und lebensfähigen Gesellschaft im Netz wir sehen und wohin die Reise gehen soll. Diese Reise kann natürlich nur unter Mitnahme aller Bürger, die ausreichend schnell, unzensiert und unbevormundet an ein interaktives Netz angeschlossen sind, Fahrt aufnehmen“, so der CCC. Sympathisch finde ich die Forderung, auf die Selbstheilungskräfte des Netzes zu setzen.

Ganz anders, als es etwa heute die NZZ in einem Meinungsbeitrag ausführt. „Mehr Mut zur Zensur“ fordert der Autor. Er findet es richtig, wenn eine US-Zeitung eine Eintrittsgebühr verlangt, wenn jemand auf ihrer Online-Ausgabe seine Meinung hinterlassen will. Der NZZ-Kommentator glaubt nicht an die Selbstregulierung des Internets. „Schön wär’s. Spinner und Fanatiker machen den Vernünftigen das diskursive Leben schwer. Etliche Internet-Medien sahen sich bereits gezwungen, wieder Barrieren aufzurichten, um Drohungen, unflätige Äußerungen oder faktenfreie Behauptungen abzuwehren.“

Was waren das noch für Zeiten, als die Leserbrief-Redaktion noch die Zuschriften von pensionierten Studienräten, bildungsbeflissenen Zeitungslesern und Schlaumeiern auswählen konnte, um dann wenigen Auserwählten im gedruckten Blatt ein kleines Fleckchen einzuräumen. Welch eine Errungenschaft des Dialoges mit der Printkundschaft. Sinnigerweise erscheinen die NZZ-Leserbriefe direkt neben den Todesanzeigen, die allerdings den dreifachen Umfang haben….Liebe NZZ, die Zeiten, in denen eine saturierte Abonnementszeitung durch journalistische Langeweile gar nicht ruiniert werden konnte, sind vorbei.

Eure Leserbriefe sind im Vergleich zu den millionenfachen Content, den die „Ich-Sender“ im Netz kreieren, eine Lachnummer. Sicherlich gibt es einige Hardcore-Pöbler, die sich kräftig in Foren austoben. Wie hoch ist der Prozentsatz? Akzeptanz in der Social Media-Welt haben die Meckerer vom Dienst sicherlich nicht. Das Web 2.0-Prinzip hat wohl der NZZ-Autor immer noch nicht kapiert. Die digitale Öffentlichkeit kennt keine Leser, Hörer oder Zuschauer, die von ihr zu unterscheiden wären – siehe das sehr lesenswerte Büchlein von Stefan Münker: Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Hier sind die Medien, dort die Menschen – diese Differenz kann man nicht mehr ziehen. Die NZZ wird wohl sagen: „Leider“. „Die Angebote im Web 2.0 sind digitale Netzmedien, deren gemeinschaftlicher Gebrauch sie als brauchbare Medien erst erzeugt“, so Münker. Die Inhalte werden von vielen Millionen Nutzern in der ganzen Welt zusammengetragen, bewertet und geordnet – eine Leserbrief-Redaktion hat da eben nichts mehr zu melden. Das Internet ist eben das, was seine Nutzer aus ihm machen. Mit Egalitätswahn und digitalem Maoismus hat das nichts zu tun. Es ist ein ständiger demokratischer Abstimmungsvorgang. Klassische Medien produzieren etwas, ohne die Rezipienten zu fragen. Sie senden und drucken, egal ob wir uns das anschauen oder lesen. Youtube sendet nur, wenn ich klicke und auch nur das, womit Nutze die Seite bestücken. „Wie im berühmten Schachautomaten des 18. Jahrhundert (Kempelen!) ist die Schaltzentrale des Web 2.0 der Mensch“. Schöne Analogie von Stefan Münker!

Der NZZ-Autor sieht sich hingegen umgeben von kniehohen Wortmüll (den man allerdings auch in der NZZ findet). „So drohen unterhalb der offiziellen Medienangebote bizarre Parallelgesellschaften zu entstehen“. Ich weiß ja nicht, auf welchen Plattformen sich der Redakteur tummelt. Er leidet wohl unter einer um sich greifenden Krankheit in Massenmedien: Kontrollverlust. Er will wieder die Kontrolle zurückhaben – ist ja schlimm, dass wir ihm das Sandförmchen geklaut haben. Gebühren für Kommentare reichen dem NZZler übrigens nicht. „Ergiebiger scheint mir jedoch die gelenkte Demokratie: ein Forum, wo jemand das letzte Wort hat und die Spreu vom Weizen trennt“. Man brauche mehr Mut zur Zensur. Zum Nutzen der Allgemeinheit. Ok. Ich drücke die NZZ-Reset-Taste 🙁

Oder lese lieber die NZZ-Blogs: Da könnte auch der Medien-Redakteur der NZZ was lernen.

Welt Kompakt: Eine Zeitung von gestern oder vorgestern?

Die Definition von Altpapier bekommt bei der heutigen Lektüre der „Welt Kompakt“ eine ganz neue Bedeutung. Überrascht uns doch das Springer-Blatt mit einer Story von Benjamin von Stuckrad-Barre. Er „mag im Urlaub die Nachrichten von gestern, deshalb liest er Zeitung.“ So überraschend ist die Erkenntnis nun allerdings doch nicht. Denn Zeitungen sind per se „Gestern-Medien“ – anders geht es wegen der technischen Abläufe nicht. Es sei denn, die Verlage entschließen sich, wieder Abendzeitungen auf den Markt zu schmeißen – wäre eigentlich eine ganz gute Überlegung. Die Kopisten der „Welt Kompakt“ haben allerdings einen kleinen Fehler in die Stuckrad-Barre-Story eingebaut. Sie hätten das Stück in ihrem Mutterblatt vom Samstag besser lesen sollen. Dort heißt es korrekter: „Wer in der Zeitung von heute die Neuigkeiten von vorgestern liest, der ist im Urlaub – Benjamin von Stuckrad-Barre über seinen letzten Sommer ohne iPad“.

Ansonsten ist das Stück natürlich wieder höchst amüsant geschrieben und ich möchte die Vorfreude nicht schmälern. Blöd ist nur, dass die „Welt Kompakt“ das Plädoyer für die Unschuld des Spätinformierten arg gekürzt hat. Das ist halt jetzt nicht mehr zu ändern. Wer zu spät Printmedien kauft, wird nur halb informiert. Wer wissen will, was vorgestern in der Zeitung stand, darf halt keine Gestern-Zeitungen erwerben. Vielleicht gibt es noch Chancen beim Fischverkäufer, der ja ein Herz für Altpapier haben soll.

Für Stuckrad-Barre hoffe ich, dass es zumindest ein doppeltes Honorar gab.

Wider die Hausmeister des öffentlichen Diskurses – Zur Zeit-Debatte über das Internet

Stoppschild-Rhetoriker versus Internet-Freigeister
Stoppschild-Rhetoriker versus Internet-Freigeister
Zeit-Autor Heinrich Wefing plädiert in seinem Beitrag unter dem Titel „Wider die Ideologen des Internets“ für ein Ende der Rechtlosgkeit im Internet – fürsorglich pädagogisch fügt er noch an „schon im Interesse der Netzgemeinde“. Die Freiheit im Netz sei zwar wichtig, wie großzügig, und doch müsse das Internet endlich allen Regeln des Rechtsstaats unterworfen werden, fordert der Hohepriester Wefing. Die Aktionen gegen Internetsperren, gegen Zensur, gegen Onlinedurchsuchungen, gegen virtuelle Verbotsschilder – das alles ist nach Ansicht von Wefing wohl eher Ausfluss einer Web-Heilslehre, einer Ideologie vom wilden, freien, unabhängigen Internet, in dem keine Regeln gelten. „Und keine Regeln gelten sollen“, so der Internet-Skeptiker.

Libertäre Bombenleger des Internets?
Libertäre Bombenleger des Internets?
Als Beleg für die anmaßende und suggestive Cyberspace-Wurschtigkeit zieht Wefing den Grateful Dead-Songschreiber John Perry Barlow heran, der es wagte, sich von Regierungen und der industriellen Welt abzugrenzen mit den Worten: „Im Namen der Zukunft bitte ich euch, Vertreter einer vergangenen Zeit: Lasst uns in Ruhe! Ihr sei bei uns nicht willkommen. Wo wir uns versammeln, besitzt ihr keine Macht mehr. Wir besitzen keine gewählte Regierung, und wir werden wohl auch nie eine bekommen….Ihr habt hier kein moralische Recht zu regieren, noch besitzt ihr Methoden, es zu erzwingen, die wir zu fürchten hätten.“ Ja wie schlimm, Herr Wefing, ist das jetzt ein Beleg für Regellosigkeit und grenzenlose Anarchie? Oder vielleicht eher ein Bekenntnis zur Förderung der Meinungsfreiheit im Internet, wie es Barlow eigentlich meinte (BlueRibbon, FSO)? Innnerhalb der Internet-Gemeinde „the Well“ gab es Tausende von Deadheads, die miteinander tratschten, sich beschwerten, einander Trost spendeten oder sich auf die Nerven gingen, Tauschgeschäfte tätigten, Religion betrieben, Liebesaffären anfingen oder beendeten und gegenseitig für ihre kranken Kinder beteten. Sie suchten Lebensglück in der Selbstorganisation – was für ein Verbrechen….Ist man deshalb schon der Apologet einer radikalen Internetsekte, die keine Schranken kennt? Sind die Gegner von Internetsperren automatisch unverbesserliche Pädophile? Man sollte vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass man sich gegen staatliche Repression zur Wehr setzt, die Web-Nutzer unter Generalverdacht stellt. Gegen Kinderpornographie muss mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Verursacher vorgegangen werden. Täter müssen von einem ordentlichen Gericht verurteilt und ins Gefängnis gesteckt werden, dafür brauchen wir keine „Zensursula“ als moralische Instanz.

Ich habe selbst vier Kinder und weiß, wie wichtig es ist, solche Kriminellen hinter Gitter zu stecken. Hausmeister-Verbotsschilder im Internet sind dafür nicht nötig. Sind Freigeister auf eine Stufe zu stellen mit den Finanzjongleuren und Heuschrecken, die sich jede Einmischung ahnungsloser Politiker verbitten? Gab es denn keine Einmischung des Staates in Finanzgeschäfte, Herr Wefing? Fragen Sie doch mal die Vorstände der Landeszentralbanken, der KfW, der FED. Fragen Sie die Herren Clinton und Schröder, welche Maßnahmen zur Ausbreitung fauler Kredite und zu den Heuschrecken-Attacken in Deutschland führten.

Sie können ja schreiben und denken was Sie wollen. Das Internet bekommen Sie nicht mehr in den Griff mit Kontrollen, Hierarchie, Befehlsfluss, Plänen und Regeln. Was können Sie tun gegen einen Lebenssinn, der sich an Bartleby, einer Romanfigur von Hermann Melville anlehnt: „I would prefer not to.“ Oder wenn man die Lebensweisheit des Dadaisten Walter Serner im Kopf hat: „Tüchtig ist, wer nicht gegen die Gesetze sich vergeht. Tüchtiger, wer sich nicht auf sie verlässt. Am Tüchtigsten, wer immer wieder daran sich erinnert, dass nur staatliche Funktionäre sie ungestraft übertreten dürfen“.

Hinter dem Internet steht keine Ideologie und auch kein Masterplan. „Das Internet ist nicht mehr und nicht weniger als das Internet. Aber es hat den Menschen ein außergewöhnlich effizientes Kommunikationsinstrument in die Hand gegeben, Menschen, die so lange ignoriert wurden und unsichtbar waren, dass sie erst einmal ausprobieren, was sie damit anfangen können. Sehr amüsant: Ohne Gesetz, ohne Plan, ohne Management finden sie viel schneller als Regierungsbehörden, wissenschaftliche Institute, Medienkonglomerate und Erfolgsunternehmen heraus, welche Möglichkeiten das Internet bietet“, so die Autoren des Cluetrain Manifestes Rick Levine, Christopher Locke, Doc Searls und David Weinberger. Und genau das macht die Wefings und Co. so nervös. Entspannt Euch doch einfach, lehnt Euch zurück, ändern könnt Ihr sowieso nichts.

Philosoph ohne missionarischen Eifer
Philosoph ohne missionarischen Eifer

Blättert doch einfach mal die Schriften des Philosophen Odo Marquard durch. Er wählt einen sehr pragmatischen Pfad, den eines ironischen, entzauberten und durch und durch skeptischen Liberalismus, der die Moderne annahm und bekräftigte, ohne sonderlich viel von ihr zu erwarten.