Elektronische Agenten, o.tel.o, verunsicherte Mitarbeiter und das Informationsmonopol der Deutschen Bank #meinweginsweb

o.tel.o

In der Interview-Serie #meinweginsweb von Annette Schwindt habe ich in aller Kürze meinen beruflichen Einstieg ins Internet beschrieben:

Seit Mitte der 1990er Jahre bin ich online aktiv, damals noch in Funktionen als Pressesprecher und Leiter der Unternehmenskommunikation.

In meiner Zeit bei o.tel.o (als die Firma noch als Firma existierte – heute ist das nur noch eine Marke im Vodafone-Imperium) folgte dann 1997/98 ein Projekt, was es wohl damals so in keinem anderen Unternehmen gegeben hat – sag ich jetzt einfach mal etwas prahlerisch.

Als Abteilungsleiter ging mir bereits damals die Haltung des Top-Managements auf den Keks, Mitarbeiter in der Informationspolitik am Nasenring vorzuführen. So glaubte der Vorstand von o.tel.o, mit dem Intranet könne man nur die Botschaften in die Firma streuen, die von der Kommunikationsabteilung zugelassen werden. Dabei hatte ich mit einem Entwicklerteam bereits elektronische Agenten eingeführt, mit dem jeder Mitarbeiter sein eigenes Informationsmenü festlegen konnte – mit internen und externen Quellen. In Deutschland waren wir wohl die ersten, die dieses System namens „Backweb“ vom Anbieter Autonomy etablierten. Mit der Agententechnologie konnte man nach bestimmten Inhalten im Intranet und Internet suchen sowie Infos automatisch empfangen – dazu gehörten Meldungen von Presseagenturen und Nachrichten-Websites (hört sich heute wie kalter Kaffee an, in den 1990er Jahren waren wir von dem Dienst elektrisiert). Trotzdem wollte die o.tel.o-Chefetage erste Agenturmeldungen über Verkaufsgerüchte, die sich später bewahrheiteten (wir sind an Mannesmann-Arcor vertickt worden), nicht ins Intranet stellen. Begründung:

„Das könnte die Mitarbeiter verunsichern.“

Unsere elektronischen Agenten übernahmen den Job und die o.tel.o-Mitarbeiter waren verunsichert, warum die Meldungen nicht direkt von der internen Kommunikation verbreitet und kommentiert wurden. Spätestens am Zeitungskiosk oder in den Abendnachrichten von WDR Aktuell wäre die Belegschaft mit den Gerüchten konfrontiert worden. Da ist es wohl besser, die eigenen Leute vorher in Kenntnis zu setzen und qualifizierte Stellungnahmen des Top-Managements abzugeben.

Als ich in einem Arbeitskreis für Unternehmenskommunikation die Backweb-Lösung vorstellte, gab es einen heftigen Streit über die Möglichkeiten für o.tel.o-Mitarbeiter, ohne Filter und Weichzeichner direkt Informationen zu erhalten. Einige witterten gar Anarchie und Revolution. Andere sahen ihren Arbeitsplatz gefährdet, weil sie ihrer Funktion als Schönredner nicht mehr nachkommen konnten. Ein Vertreter der Deutschen Bank pochte auf sein Informationsmonopol. Es war also kein Wunder, dass in seiner Mitarbeiter-Zeitschrift der frühere Deutsche Bank-Chef Rolf Breuer grinsend mit dem Taktstock abgebildet wurde mit der sinnigen Unterzeile:

„Breuer gibt den Takt an.“

Und die PR-Chefin von Arcor war nach der o.tel.o-Übernahme entgeistert, dass ich ihre internen Propagandafibeln als anachronistisch titulierte. Die resolute Dame hatte eine Vorliebe für Firmenjubiläen, Rätselecken und Passfotos ihres übergewichtigen Vorstandsvorsitzenden.

Schon damals war meine Bereitschaft zur Hinnahme des Unterwerfungsanspruches des Arbeitgebers im Gehäuse der Hörigkeit nicht sehr ausgeprägt. Deshalb arbeite ich ja auch nur noch als Freiberufler 🙂