Der Social Media-Siegeszug und die Veränderung des Kommunikationsverhaltens – Web-Services statt störende Anrufe

Das Wachstum sozialer Medien wie Facebook oder Twitter scheint bisher keine Grenzen zu kennen. Das berichtet der FAZ-Netzökonom Holger Schmidt: „Nach einer Messung des Marktforschungsunternehmens Comscore ist die Besucherzahl auf den Seiten sozialer Netzwerke in den vergangenen zwölf Monaten um 23 Prozent auf 945 Millionen in aller Welt gestiegen. Auch in Deutschland gewinnen diese Seiten weiter an Popularität. Die Besucherzahl stieg auf 37,9 Millionen im Juli, 47 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Nur in den Vereinigten Staaten und China besuchen mehr Internetnutzer soziale Medien.“ Interessant ist der Befund, dass das Social Media-Wachstum auch von älteren Menschen angetrieben. „Während die Nutzung in der Gruppe der 18 bis 29 Jahre alten Menschen mit fast 90 Prozent schon sehr hoch ist und nur wenig Wachstumsmöglichkeiten hat, hielten sich die älteren Menschen lange zurück. Nach einer Untersuchung des Pew Internet & American Life Project drängt nun aber auch die Generation der Menschen, die älter als 50 Jahre sind, in die sozialen Netzwerke. In den Vereinigten Staaten ist der Anteil der Menschen dieser Altersgruppe, die auf Facebook, Twitter oder anderen sozialen Medien unterwegs sind, in den vergangenen zwölf Monaten von 22 auf 42 Prozent gestiegen“, so Schmidt.

Von einem reinen Digital Native-Phänomen kann man also nicht mehr sprechen. Noch viel spannender dürften die Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten sein. So sagt Clive Thompson in einem Beitrag für die Zeitschrift „Wired“ den baldigen „Tod des Telefonanrufs“ voraus. Er stützt sich dabei unter anderem auf eine Studie des Beratungsunternehmens Nielsen. „Demzufolge ist die Zeit, die Amerikaner am Telefon verbringen, seit 2007 stetig gesunken. Stattdessen kommunizieren sie immer mehr über SMS, E-Mails und Instant Messenger“, schreibt Zeit Online.

Der Autor glaubt, das Telefon könnte in absehbarer Zeit ganz verschwinden – und hätte es nicht anders verdient. Die ganze Erfindung „Telefon“ leide an einem Konstruktionsfehler. Den hätten die neuen Medien nur offensichtlich gemacht. Das größte Versäumnis des Telefons sei nämlich die fehlende Statusanzeige. Schon lange habe das einleitende „Guten Tag, hier spricht …“ eine Frage wie: „Störe ich grad?“ abgelöst. „Stören – genau, hier liegt das Problem. Auf eine E-Mail kann der Angesprochene antworten, wann immer es ihm beliebt. Das Telefon lasse diese Form asynchroner Kommunikation nicht zu“, so Zeit Online. Oder wie Axel Rühle in der Süddeutschen schreibt: „Jemanden abends um elf anzurufen, hat etwas vom Eintreten der Wohnungstür. Wie elegant und diskret ist zu solchen Tageszeiten dagegen die SMS oder Mail, sie gleicht einem vorsichtigen Anklopfen, während das Telefon zu solcher Uhrzeit wie ein akustischer Sprengsatz mitten in der Wohnung hochgeht.“

Nachrichtenschreiben sei beliebter, weil es weniger soziale Überwindung kostet. „Zum einen muss man nicht fürchten, den anderen zu stören, weil es ihm überlassen bleibt, wann und ob er antwortet. Außerdem verrät man aufgrund der Kanalreduktion zwar weniger von sich und fühlt sich nicht so schnell aufgrund irgendwelcher sozialer Unterschiede eingeschüchtert, man gerät dafür auch noch schneller in einen persönlichen Ton und traut sich eher, genauer nachzufragen“, führt Zeit Online weiter aus. Menschen hätten also zwar das Bedürfnis nach Kontakt, sonst würden Mails und Facebook-Nachrichten nicht so ungebremst zunehmen. Aber offensichtlich haben sie auch nichts dagegen, diesen Kontakt beizeiten eher abstrakt zu gestalten.

Das gilt doch auch für die Kundenkommunikation. Call Center haben das allerdings noch nicht kapiert. Ich hatte das schon vor einigen Jahren auf einer Veranstaltung in Bonn angeführt. Ich habe einfach keine Lust, von irgendwelchen Agenten angerufen zu werden oder bei eigenen Anrufen in der Warteschleife zu hängen sowie umständlich meine Serviceanliegen zu schildern und sich mit inkompetenten Mitarbeitern herumzuschlagen.

„Menschen sind offensichtlich tatsächlich offener, wenn sie mit anderen vor ihren Rechnern kommunizieren, als wenn sie sich direkt gegenübersitzen. Über die Gründe dafür gibt es mehrere Hypothesen, eine besonders gut überprüfte scheint zu sein, dass computerbasierte Kommunikation zu direkteren Nachfragen führt als im direkten Gespräch“, so Zeit Online. Das sollten sich Call Center hinter die Ohren schreiben. Amazon hat es begriffen. Die Servicebranche noch nicht.

Siehe auch:
Social Media, Apps und die Verschlafenheit der Call Center-Branche – Chancen für innovative Serviceanbieter.

Sind Apps ein Phänomen von gestern?

„Apps wird es nur so lange geben, bis die mobilen Browser leistungsfähiger und die Datenverbindungen schneller sind. Apps sind ein Übergangsphänomen“, sagt Carsten Frien, Geschäftsführer von Madvertise, nach einem Bericht des FAZ-Netzökonomen Holger Schmidt.

Obwohl die App-Economy boomt und Milliarden in den App-Stores umgesetzt werden – technisch gesehen seien Apps von gestern: Damit die Anwendung gut funktioniere, muss sich der Nutzer jede Software einzeln auf sein Mobiltelefon laden. Da es Dutzende von App-Stores, konkurrierende Betriebssysteme und Hunderte verschiedene Handys gibt, müsse eine App in vielen verschiedenen Versionen entwickelt werden. Das mache nicht nur Produktion und Marketing teuer, sondern mindert auch die Chance, eine große Reichweite zu erzielen. Erlangt der Anbieter eines App-Stores zudem eine (zu) große Marktmacht, könne er als Türwächter die Bedingungen für die Entwickler wie Verlage oder Spieleproduzenten diktieren, wie es Apple gerade versucht. „Wenn die Anwendung in einem Web-Browser läuft, genügt eine einzige Version, auf die alle Nutzer zugreifen können. HTML5 heißt das Zauberwort der Web-Fraktion. Diese neueste Version der Hypertext Markup Language könnte die große Herausforderung für die App-Economy werden. Zwar lassen sich mit HTML5 noch nicht so schöne Apps für das ganze Web wie für die einzelnen Plattformen bauen, doch die ökonomischen Vorteile liegen klar auf Seiten der offenen Variante. Parallel zum Entwicklungsaufwand sinkt auch die Abhängigkeit vom Betreiber des App-Stores“, berichtet die FAZ. Die Experten sind da aber wohl noch geteilter Meinung. Siehe meinen Bericht vom Mai. Hier noch einmal die wichtigsten Statements:

Björn Behrendt, Geschäftsführer der Service-Community sieht allerdings auch Grenzen der Entwicklung, wenn es um mobile Anwendungsszenarien geht: „Android, Phone 7, Symbian, iPhone OS, RIM und MeeGo werden den Markt der Betriebssysteme unter sich aufteilen, und der App-Hype ist bald vorbei. Das Blatt wird sich in Richtung browserbasierter Anwendungen wenden. Android unterstützt Flash 10.1, ein mobiles Adobe Air kommt und Opera oder Firefox ermöglichen mobile Anwendungen mit HTML 5/CSS. Zudem warten Datenengpässe auf uns, denn Smartphone-Verkäufe wachsen 30 Prozent je Quartal mit einem 16-prozentigen Weltmarktanteil. Gartner sagt voraus, dass es 2013 mit 1,82 Milliarden mehr Smartphones geben wird als PCs. Die Internetnutzung auf diesen Geräten ist fünfmal höher als bei anderen. So ergibt sich ein Datenvolumen, das nur über Netztechnologien wie 4G und große Infrastrukturinvestitionen abgefedert werden kann. Es wird sich zeigen, ob Netzbetreiber oder die Softwaregiganten diese Investitionen vornehmen und neue Geschäftsmodelle finden. Erste Experimente von Google mit einem 1-Gigabit-Breitbandinternet laufen.“

Bernhard Steimel, Sprecher der Voice Days plus und der Smart Service Initiative, glaubt nicht an dieses Szenario. Browserbasierte Anwendungen werden Apps nicht verdrängen. Aus Entwicklersicht ist es sicherlich eine Horrorvorstellung, Programme direkt für mehrere mobile Plattformen und Endgerätekonfigurationen entwickeln zu müssen. Darum ist es nicht verwunderlich, dass browserbasierte Anwendungen erwünscht sind. Die rein technische Sicht blendet jedoch das Gesetz der kritischen Masse und die Nutzersicht aus.
Für die Werbewirtschaft sei der App-Store von Apple mehr als nur ein dynamisch wachsendes Warenhaus für kleine Softwareprogramme. In Kombination mit iTunes stellt es ein eigenes Ecosystem mit hohem Entertainment-Wert dar, dass in perfekter Weise M-Commerce-Anwendungen integriert. Die App-Stores von Apple und Google haben längst die kritische Masse überschritten, um für jeden weiteren Nutzer ihren Wert ständig zu steigern. Das erzeugt Markentreue, hohes Involvement und hohe Nutzungsstabilität der Benutzer. Hohes Involvement ist für Unternehmen ideal, um mit Nutzern in Interaktion zu treten. Nutzungsstabilität ermöglicht erstmals permanente Optimierung im Mobile Marketing“, so Unternehmensberater Steimel.

Für die Nutzer seien das Smartphones zu einem Schweizermesser geworden. Das Produkt-Erlebnis werde durch den Mehrwert und die Attraktivität der Apps maßgeblich mitgeprägt. Der WOW-Effekt entstehe meinst dadurch, dass smarte Apps auf Endgerätefunktionen zugreifen, wie zum Beispiel Lokation oder Adressbuch. Das werde in naher Zukunft durch keine browserbasierten Lösungen möglich sein.

Auch Software-Größen wie Nuance rechnen nicht mit einem Ende der App-Economy: „Unsere Spracherkennungs-Anwendung Dragon Dictation für das iPhone ist ein Hit in den USA. Warum dieser App so erfolgreich ist? Mit dieser Spracherkennung für das Handy kann der Anwender einfach und schnell SMS und E-Mails diktieren, und auch Texte für Facebook und Twitter per Sprache erstellen. Bald wird es auch möglich sein, per Sprache durch sein Handy zu navigieren und bestimmte Features aufrufen und bedienen kann. Das ist nicht nur interessant für den Anwender, sondern auch für die Telefongesellschaften, da durch diese Spracherkennungs-Lösung mehr SMS und E-Mails erstellt und verschickt werden. Erste Tests zeigen, dass die Nutzung von SMS mit Dragon Dictation signifikant gestiegen ist“, so die Erfahrung von Michael-Maria Bommer, General Manager DACH bei Nuance. Die deutsche Version hat übrigens Michael Spehr von der Technik & Motor-Redaktion der FAZ positiv besprochen.

Wie wichtig Apps für den Verkauf von Endgeräten geworden sind, sieht man an den Schwierigkeiten von Nokia. „Der durchschnittliche Verklaufspreis eines Smartphones von Nokia betrug in den ersten drei Monaten des Jahres inklusive der damit verbundenen Dienste und Apps 155 Euro und damit 18 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Innovationskünstler Apple dagegen kommt auf 460 Euro pro Gerät samt Diensten“, schreibt Handelsblatt-Redakteurin Sandra Louven.

Eine Erklärung für den gravierenden Unterschied liefert Greger Johansson vom Marktforschungsunternehmen Redeye: Nokio-Smartphones seien einfach nicht gut genug, deshalb können sie keine höheren Preise nehmen. Welch eine Überraschung. Aber weit wichtiger als die Benutzerfreundlichkeit und der Design-Kultstatus des iPhone sind eben die Apps für jede Lebenslage, die der Steve Jobs-Konzern mittlerweile bietet. Hier sieht nicht nur Sandra Louven einen grundlegenden Wandel im Markt für Gerätehersteller. Gegen die 130.000 Apps, die Apple bietet, kann Nokia über den Online-Shop Ovi gerade einmal rund 9.500 Dienste dagegensetzen. Nokia habe erkannt, so das Handelsblatt, dass Apple oder auch Google bei Apps weit voraus sind und versucht deshalb, den Fokus weg von den Geräten hin zu Software und Diensten zu verlagern. Wirkliche Erfolge seien bislang aber noch nicht zu sehen.

Drittes Netzwerk statt Facebook? Die Thesen von Stowe Boyd sollten eingehender beleuchtet werden

Abgesehen von den Prognosen zum baldigen Untergang von Facebook hat der Informatiker Stowe Boyd im Interview mit dem FAZ-Netzökonomen Holger Schmidt ein paar interessante Thesen zur Weiterentwicklung des Internets angeführt, die man etwas mehr beleuchten sollte. Er redet vom „dritten Netzwerk“: „Das ist die Welt, die zwei Schritte von uns entfernt ist. Also nicht meine Freunde oder deren Freunde, sondern die Freunde der Freunde der Freunde. Das sind Millionen Menschen, aber was diese Menschen tun und denken, beeinflusst uns über die Netzwerke. Meist nimmt man diesen Einfluss gar nicht bewusst wahr, aber er ist vorhanden – selbst wenn man nur einen von 100 Menschen aus diesem Netzwerk kennt. Noch gibt es keine Instrumente, die herausfinden, was im dritten Netzwerk geschieht. Auch die Unternehmen schauen nicht darauf, was die Social-Network-Forschung herausfindet. Aber sobald sie das tun, werden wir eine Revolution erleben. Das ist ein großer Fortschritt, der uns erwartet“.

Das klingt ja sehr stark nach den Thesen des Soziologen und Organisationswissenschaftler Mark Granovetter, die er in seinem legendären Artikel „The Strength of Weak Ties“ 1973 zum Ausdruck gebracht hat. In Kurzform kann man seine Erkenntnisse so beschreiben, dass starke Beziehungen – also Kontakte zu seinem engeren Freundes-, Bekannten- oder Kollegenkreis für die Netzwerkbildung nicht so stark als Brücken dienen können. Viel wichtiger für Ideen, Innovationen, Wissensmanagement, Recherchen, Informationen oder Marketing sind allerdings die schwachen Beziehungen. Bei den starken Beziehungen gibt es die Gefahr von Überschneidungen – man schmort im eigenen Saft. So wird der Freundeskreis von A redundant sein mit dem Freundeskreis von B, wenn A und B schon dicke Freunde sind. Wenn A und B aber nur entfernte Bekannte sind, wird es diese Überschneidungen kaum geben. Nach Ansicht von Granovetter eignen sich daher schwache Beziehungen, um neue „Netzwerkbrücken“ zu bauen.

Das ideale Netzwerk besteht aus einem Kern von starken Beziehungen und einer umfangreichen Peripherie von schwachen Beziehungen (siehe auch den Buchbeitrag von Andrew McAffee in dem Sammelband „Die Kunst, loszulassen – Enterprise 2.0″). Und wenn dann die schwachen Beziehungen weitere Brücken bauen, entsteht das, was der Sozialpsychologe Stanley Milgram in seiner Small World-Hypothese beschrieben hat. Aber genau diese Effekte löst Facebook aus – im Gegensatz zu Google. Insofern ist mit einem schnellen Untergang des Zuckerberg-Imperiums nicht zu rechnen – es sei denn, der Facebook-Gründer fällt dem Größenwahn anheim. Denn ein Aspekt könnte Facebook sehr schnell das Genick brechen. Die Tendenz der Plattform, sich abzuschotten, um andere zu verdrängen. Tim O’Reilly hat das kritisiert. Boyd sieht das ähnlich: „Tim macht sich Sorgen um die vielen Daten, die diese Unternehmen haben. Das ist sekundär. Aber er hat im Prinzip Recht: Es gibt einen Plattform-Krieg. Es besteht die Gefahr, dass die Unternehmen versuchen, die Interoperabilität mit anderen Plattformen zu verhindern, so wie es bei Handy-Netzbetreiber versucht haben, als es nicht möglich war, eine Nachricht von einem Handy-Netz in ein anderes Netz zu senden“, so Boyd gegenüber der FAZ.

So etwas würde die Facebook-Gemeinde wohl sehr schnell mit Abwanderung sanktionieren. Beispiele für solche Fehleinschätzungen hat Boyd parat: „Vor Jahren hatte Adobe die Gelegenheit, aus der Dominanz ihres Flash-Players mehr zu machen und zum Beispiel ein Instant Messaging-System aufzubauen. Sie waren auf jedem Computer präsent. Aber sie haben es versäumt, daraus ein soziales Netzwerk aufzusetzen. Und für Microsoft ist Windows 7 eine interessante Ausgangsposition. MySpace hatte vor Jahren geglaubt, der Sieger zu sein. Aber so schnell, wie die Leute hereingekommen sind, gehen sie auch wieder heraus. Das kann Facebook jetzt auch passieren.“ Ja mein Gott, wenn es so kommt, soll es mir egal sein. Die kollaborativen Effekte sozialer Netzwerke werden damit nicht verschwinden. Es gibt auch ein Leben nach Facebook.

Unklar ist mir allerdings, was für eine Revolution wir erleben werden, wenn Unternehmen stärker darauf schauen, was die Social-Network-Forschung so alles herausfindet. Diesen Punkt sollte Boyd etwas genauer erklären. Was denkt Ihr?

Mobilfunk-Krieg!

Ich habe schon vor Jahren die Unfähigkeit der Netzbetreiber thematisiert, neue Geschäftsmodelle im Mobilfunk zu etablieren. Etwa in Kooperation mit der Funkschau. Bei einem Expertengespräch sagten damals die TK-Experten, dass neue Impulse vor allen Dingen von Unternehmen aus mobilfunkfremden Branchen zu erwarten seien. Die Strategie der Mobilfunkbetreiber, die Hand auf allem, was sich Mehrwertdienst schimpft, zu halten und zu sagen das „ist meins und ich entscheide allein darüber, was der Kunde bekommt oder nicht bekommt und was es kosten soll“ – ist nicht aufgegangen und es ist auch keine Überraschung. Die Chance liegt darin, dass die Netze geöffnet werden, auch für fremde Mehrwertdienste, eigentlich beliebige Dienste. Man kann das gut mit dem Internet vergleichen. Jeder kann anbieten was er will. Er kann seine Angebote verkaufen oder kostenlos vertreiben. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, technische Standards zu etablieren. Wie kann ich Mehrwertdienste auf möglichst einfache Art und Weise in ein Mobilfunknetz integrieren? Welche Dienste erfolgreich sein werden, einen tatsächlichen Mehrwert, gute Umsätze und Erträge generieren, ist nur schwer vorher zu sagen und zählt nicht zu den Kernkompetenzen der Netzbetreiber. Für bestimmte Altersgruppen können es Spiele sein, für wiederum andere sind es vielleicht Börsenanwendungen. Der Phantasie dürften an dieser Stelle keine Grenzen gesetzt sein.

Der ehemalige Funkschau-Chefredakteur Bausewein sah einen Bedarf für Applikationen, die sich im Internet längst etabliert haben und sich großer Beliebtheit erfreuen. Das Billingunternehmen acoreus sagte, dass die Annnahme der Mobilfunkbetreiber falsch sei, einschätzen zu können, welche neuen Geschäftsmodelle erfolgreich sein könnten und welche nicht. Das funktioniere nicht mehr. „Die Vielfalt wird es machen, der Markt wird selbst selektieren, was erfolgreich ist und was nicht. Wichtig ist, diese Vielfalt möglich zu machen. Die Plattform dazu anzubieten. Der Verbraucher wird dann schon selektieren, was er gut findet und wofür er bereit ist, Geld zu zahlen und wofür nicht. Da müssen alle ein gutes Stück weit umdenken. Es muss ein Markt geöffnet werden für Mehrwertdienste“, so der damalige Vorstandschef von acoreus, Omar Khorshed in der Funkschau-Diskussionsrunde.

Die Mobilfunkbetreiber sollten sich nicht als Medienunternehmer, als Entertainer oder als Logistiker verstehen, nur weil sie Kommunikationsnetze betreiben. Nun kippen die Machtverhältnisse im Mobilfunk um, wie im Vorfeld des Mobile World Kongresses in Barcelona schon berichtete. Siehe: App-Fieber führt zu Schüttelfrost bei Netzbetreibern und Google greift die Konzerne der Telekommunikation an: Der Suchmaschinen-Gigant ist schon längst ein Netzbetreiber!

Zu einem ähnlichen Befund kommt heute der FAZ-Netzökonom Holger Schmidt: „Auf der weltgrößten Mobilfunkmesse in Barcelona gibt in diesem Jahr der Google-Chef Eric Schmidt den Ton an, während der Telekom-Vorstandsvorsitzende René Obermann nicht präsent ist. Nichts könnte symptomatischer für das aktuelle Kräfteverhältnis in der Mobilfunkbranche sein. In nur wenigen Jahren haben Google, Apple und der Blackberry-Hersteller RIM die Spielregeln des Marktes neu geschrieben und damit den Rest der einst stolzen Mobilfunkbranche in die Defensive getrieben“, kommentiert Schmidt.

Das gelte für die Gerätehersteller wie Nokia oder Motorola, noch mehr aber für die Netzbetreiber wie T-Mobile oder Vodafone, die allesamt in der Krise stecken. Denn während die Handyhersteller „nur“ ihre Geräteentwicklung an das Innovationstempo von Apple und Google anpassen müssten, sind die Netzbetreiber gezwungen, sich früher oder später ein ganz neues Geschäftsmodell zu suchen.

„Mobilfunknetze sind teuer und erfordern stetige Investitionen, zum Beispiel noch in diesem Jahr in die UMTS-Nachfolgetechnik LTE. Schließlich sollen die Netze immer mehr Daten übertragen, und das auch immer schneller. Dumm nur, dass sich damit immer weniger Geld verdienen lässt. Zumindest in den gesättigten Märkten der Industrieländer gehen die Umsätze der Netzbetreiber aus ihrem Kerngeschäft langsam, aber stetig zurück, weil die Preise für Mobilfunkgespräche wegen des Wettbewerbs sinken. Die mobilen Datendienste, die diese Lücke schließen sollen, wachsen zwar kräftig, unterliegen aber ebenfalls einem starken Preiswettbewerb“, so Schmidt.

Die bescheidenen Versuche der Netzbetreiber, neben der Datenübertragung neue Geschäftsfelder im mobilen Internet zu erschließen, seien bisher kläglich gescheitert. Siehe oben die Einschätzung der Experten vor rund drei Jahren.

Apple und Google seien nach Ansicht des FAZ-Netzökonomen kaum noch einzuholen. „Wie man es im Mobilfunkmarkt richtig macht, haben erst Apple, Google und RIM gezeigt. Mit innovativen, aber dennoch sehr einfach zu bedienenden Programmen, welche die gewohnte Webnutzung mobil gemacht haben. Mit eigenen Handy-Betriebssystemen, die ihnen einen großen Teil der Wertschöpfung sichern. Mit einem Zahlsystem, das von den Nutzern akzeptiert wird. Und mit dem Coup, ihre Systeme für Applikationen („Apps“) von externen Entwicklern zu öffnen, was lebendige Öko-Systeme geschaffen hat, aus denen stetig neue Ideen die Produkte verbessern“, schreibt Schmidt und bestätigt die Analyse von Booz & Co., die bei einem Pressefrühstück im Vorfeld der Mobile World vorgestellt wurde.

Die richtigen Schlüsse habe wohl Nokia gezogen. „Für fünf Milliarden Euro hat Nokia den Landkartendienst Navteq übernommen, eigentlich mit dem Ziel, Navigationsprodukte teuer an ihre Handykunden zu verkaufen. Als Google die Navigation kostenlos machte, zog Nokia nach. Auch ihr Betriebssystem Symbian verschenken die Finnen inzwischen – weil auch Google sein Android-System verschenkt. Das Ziel: mehr Geräte zu verkaufen, mehr Betriebssysteme im Markt zu haben oder einfach: mehr Nutzer und Kunden zu gewinnen. Nokias Wandel wurde sogar schon belohnt. Zuletzt hat das Unternehmen im lukrativen Marktsegment der hochwertigen Smartphones sogar wieder Marktanteile gegen Apples iPhone gewonnen. Und damit das Signal gesetzt, dass auch Apple und Google nicht unbesiegbar sind. Wenn man den Mut hat, nach den neuen Spielregeln zu spielen“, resümiert Schmidt. Siehe auch den NeueNachricht-Bericht: Hersteller von Navigationsgeräten verlieren ihre Geschäftsgrundlage – Experten rechnen mit neuen Vermarktungsplattformen. Unterdessen formiert sich nach einem Bericht der FTD eine neue Front gegen Apple. Mobilfunker paktieren gegen Apple. 24 führende Telekomkonzerne haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam Apps zu entwickeln. So soll der Erzrivale Apple eingedämmt werden. Ob sich Steve Jobs warm anziehen müsse, wie die FTD vermutet, bezweifle ich allerdings. Die spielen doch nur Trittbrettfahrer ohne in der Lage zu sein, ein solch schlagkräftiges Ökosystem aus nutzerfreundlichen Endgeräten, Apps und der Plattform iTunes aus dem Hut zu zaubern.

Nexus One: Mit Spracherkennung die Hoheit über das mobile Web gewinnen

Das Google-Handy Nexus One hat viele Experten enttäuscht. Einzig die Spracherkennungsfunktion könne überzeugen. Ansonsten sei der Wow-Effekt, den man vom Suchmaschinen-Konzern gewöhnt ist, ausgeblieben. Der FAZ-Netzökonom Holger Schmidt hat allerdings einen wichtigen Aspekt in die Diskussion gebracht. Viel wichtiger als der kurzfristige Verkaufserfolg sei für Google die langfristige Strategie dahinter.

„Das mobile Internet wird in einigen Jahren größer als das stationäre Web sein, weil es zusätzlich den lokalen Bezug hat. Google treibt diesen Markt wie kein anderes großes Internetunternehmen voran. Die Entwicklung des frei verfügbaren Handy-Betriebssystems Android war der erste Schritt, der jetzige Einstieg in den Verkauf der Geräte sicher nicht der letzte. Schon bald wird es viele (günstige) Google-Geräte mit vielen (kostenlosen) Google-Programmen geben, in denen das Unternehmen seine Werbung plazieren kann“, schreibt Schmidt. Das Ziel sei der Aufbau eines mobilen Werbenetzes, das ähnliche Dimensionen wie im stationären Web hat. „Konkurrent Apple will in dieselbe Richtung; andere Gerätehersteller scheinen in diesem Wettbewerb der Technikgiganten schon heute nicht mehr mithalten zu können. Wenn Google aber erst anfängt, Geräte mit Werbeeinnahmen zu subventionieren, wird es für die Konkurrenz erst richtig düster“, resümiert Schmidt. Einen weiteren Punkt kann man anfügen. Das die Spracherkennung bei der Nexus One-Präsentation den Genius von Google aufblitzen ließ, ist kein Zufall. Das System ermöglicht das Diktieren von E-Mails, Navigationsbefehlen und anderen anderen Eingaben ermöglicht. Nach Auffassung von Holger Schmidt könnte damit das mühsame Tippen auf den Smartphones weitgehend überflüssig gemacht werden. Das ist der Plan von Google, die dafür die besten Sprachtechnologie-Entwickler vorweisen kann:

„Mit dem Handy kommen Menschen ins Internet, die den Weg über den PC nie genutzt haben oder nutzen werden. Aufgrund des Formfaktors, den Screengrößen, Bedienungslimitierungen und verfügbaren Bandbreiten muss die Suche, also der primäre Zugang zu allen Inhalten und Diensten, auf dem Handy erschwerten Anforderungen gerecht werden. Sie muss sich zur Antwortmaschine weiter entwickeln, die aus der Verknüpfung von Web 2.0 und dem Semantischen Web richtige ‚Antworten’ produziert, statt lange Linklisten auszuspucken. Zudem muss die mobile Suche einfach zu bedienen sein“, weiß Voice Days plus-Sprecher Bernhard Steimel.

Hier habe Google die Nase vorn. Es sei eine geniale Strategie, mit GOOG411 im weltgrößten ‚Freiland-Versuch’ das eigene Sprachmodell zu validieren und mit einer exzellenten Qualität aufzuwarten.

Twitter und die Kluft der Manager zur Web 2.0-Welt

Die Nielsen Online-Studie ist ja schon hoch und runter gelaufen, die möchte ich hier nicht weiter kommentieren. Sehr nützlich ist dazu auch der Blog-Beitag des FAZ-Netzökonomen Holger Schmidt. Hier findet man einen interessanten Kommentar von Michael Leibrecht, der auch meinen Beobachtungen entspricht:
„Doch wie bringen wir das den Unternehmern und Managern aktiv näher? Die Kluft zwischen aktiven Online-Marketing-Leuten und traditionellen Managern mit der Einstellung ‚das macht alles meine Sekretärin‘ wird immer größer. In Seminaren, Workshops und Beratungen erlebe ich täglich wie wichtig eine breite ‚Web 2.0 Lobby‘ wäre. Firmen müssen auf einfache und verständliche weise lernen welchen Nutzen ihnen in Zukunft das Internet bringen kann.“

Es gibt sogar noch Manager, die sich von ihrer Sekretärin die E-Mails ausdrucken lassen und noch stolz darauf sind – das gilt nicht nur für ältere Semester. Oder die mit Argwohn den Trend zu Enterprise 2.0-Technologien betrachten und auch bekämpfen, weil beispielsweise Agententechnologie ungefiltert an Mitarbeiter Informationen vermittelt. Da können viele nicht mehr so stark mit dem Taktstock fuchteln. Siehe dazu auch den Artikel „Kollaborieren oder kollabieren?“.