Wer die Masse zu repräsentieren vorgebe, kämpfe in Wirklichkeit darum, sie zu erziehen

Lust am Diskurs
Lust am Diskurs

Erst marxistisch, dann daneben. Der Publizist Peter Gente hielt sich nicht an die Regeln – und schuf so ein erfrischend GUT gelauntes Lebenswerk.

Lesenswert der Luhmann-Band „Archmides und wir”. Nachgeholfen hatte der Luhmann-Schüler Dirk Baecker mit einem Brief an Gente:

„Heute würde ich Ihnen gerne zwei Buchprojekte vorstellen, die sehr GUT in Ihre Tradition innovativen Traditionsverzichts passen würden. Im ersten Projekt handelt es sich um einen kleinen Band mit den gesammelten Interviews von Niklas Luhmann. Sie haben sicherlich mitverfolgt, zum Beispiel in der FR und in der taz, dass Luhmann einen sehr kühlen und ironischen, manchmal bissigen und in der Selbstkommentierung an ‚Monsieur Teste’ erinnernden Interviewstil entwickelt hat, der diesem Genre wieder etwas literarischen Schwung verleiht. Allesamt immer etwas launige, auf Tagesgeschehen und – eindrücke bezogene Kommentare, können sie doch auch als Einführungen in den spezifisch luhmannschen Theoriestil dienen“, so der Auszug des Becker-Schreibens, abgedruckt im neuen und äußerst lesenswerten Felsch-Band „Der lange Sommer der Theorie – Geschichte einer Revolte 1960 – 1990“, erschienen im C.H.Beck-Verlag.

Baecker und Georg Stanitzek liefern in der Einleitung des Luhmann-Buches noch eine kleine Epistemologie des Interviews. So könne man von dem Systemtheoretiker lernen, dass Kommunikation immer auch eine Operation der Beobachtung füreinander unerreichbarer Köpfe ist.

In kaum einer Gesprächsform werde dies anschaulicher als im Interview. Es wird nicht der Versuch unternommen, Köpfe kurzzuschließen. Die Gesprächsform lebt von der Zufälligkeit der Fragen, was allerdings durch Autorisierungen oder vorgefertigte Skripte häufig genug in eine aseptische und damit ungenießbare Metamorphose kippt.

Diskurse ohne Volkerziehung

Zur Merve-Kultur zählte immer die Lust am Diskurs und nicht die Volkserziehung. Das brachte Michel de Certeau, ein weiterer sehr wichtiger Autor des Berliner Verlags, trefflich zum Ausdruck: Wer die Masse zu repräsentieren vorgebe, kämpfe in Wirklichkeit darum, sie zu erziehen, zu disziplinieren und zu gruppieren.

Peter Gente und Heidi Paris kultivierten ihre GUTE Laune:

„Wir wollen ein kleiner Verlag, unscheinbar und daneben sein, und das macht irre Spaß.“

Sie nutzten das Kontrollvakuum und erfreuten sich an der Partisanenexistenz ihrer Leser. Das wird auch nach dem Tod von Gente und Paris weiterleben. Zeitlose Bände mit hoher Diskurs-Dynamik auf billigem Papier. Paperbacks, bei denen man Sätze gegen den Strich lesen kann. Schlüsse aus den Texten ziehen von denen die Texte nichts wissen und einer Kunst des Lesens aus dem Geist der Respektlosigkeit frönen. Liebwerteste Gichtlinge sollten Merve-Bände lesen.

Ausführlich in meiner The European-Kolumne nachzulesen. Drum teilet und kommentiert das heutige Stück 🙂

Sympathisch respektlos die Blogrebellen: Warum Social-Media oft zum Kotzen ist und was du daran ändern kannst.

Vom Nutzen des Störenfrieds – Top-Management in Deutschland mit Schafen im Wolfspelz

Störenfried mit Superkräften oder doch eher Spargel-Tarzan?
Störenfried mit Superkräften oder doch eher Spargel-Tarzan?

Warum der Cebit Störenfriede guttun, habe ich in zwei Beiträgen näher erläutert. Etwa in meiner The European-Kolumne und hier im ichsagmal-Blog. In meinen Recherchen bin ich dabei auf ein interessantes Gespräch zwischen dem Soziologen Dirk Baecker und dem ehemaligen Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger gestoßen, veröffentlich in der sehr lesenswerten Zeitschrift „Revue – Magazine for the Next Society“. Beide haben die Notwendigkeit des Störens sogar auf die gesamte Wirtschaft bezogen – aus gutem Grund. Das ist ein probates Mittel für schwerfällige Unternehmen, um aus verkrusteten Bahnen auszubrechen und einen neuen Erfindergeist aus der Pionierzeit ihres eigenen Erfolges wieder zu entdecken. Was Konzerne wie Telekom, SAP und Co. umtreibt, sind letztlich Effizienzinnovationen:

„Also immer besser, schneller, höher, weiter – aber halt mehr vom Selben“, kommentiert der ehemalige Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger.

Die reine Effizienz-Denke, die auch in Konzernen der Autoindustrie vorherrscht, konnte dann aber nicht verhindern, dass ein Wettbewerber wie Toyota auf diesem Feld noch ein Stückchen besser ist. Vielleicht liegt es an unserer traditionellen Ausbildung der Ingenieure und der Dominanz der vertrockneten Betriebswirtschaftslehre, die zur Monotonie im Denken beitragen. Manager zelebrieren sich in der Aufrechterhaltung von Routinen, meint Sattelberger.

Es sind in der Mehrheit eher Schafe im Wolfspelz. Umgekehrt wäre es besser, da nur Wölfe in neuen Territorien streunen. Die reale Welt funktioniere anders als das gesprochene Wort des Top-Managements suggeriert, betont Sattelberger.

„Was macht die deutsche Telekom angesichts des hochprofitablen Siechtums im Mobilfunk und Festnetz? Was macht die deutsche Automobilindustrie mit der Einsicht, dass ihr Profit weitgehend von den Launen der ‚neuen Reichen‘ in Südamerika oder Asien abhängt? Da versagen die Firmen auf ganzer Linie.“

Insofern braucht das satte und arrivierte System viele kleine Störenfriede, die den alten Säcken auf die Nerven gehen und sie herausfordern. Honoratioren, die sich in der Pracht ihrer eleganten Dienstwagen suhlen und von der Protzigkeit ihrer eingebauten Turbotechnik ganz besoffen sind, können sehr leicht von den anarchischen Geisternder Netzszene demontiert und entlarvt werden. Wer in Seilschaften von Davos bis Brüssel im eigenen Saft herum mauschelt, verliert die Kraft für Neues.

Hacker, Blogger und Gründer als Verbündete

Eine große Chance für den nach wie vor lebendigen Mittelstand in Deutschland, Allianzen mit Hackern, Bloggern und Gründern einzugehen, Raum für Projektemacher zu schaffen, Nährboden für Startups zu bilden und Hotspots für verrückte Ideen ins Leben zu rufen, in denen geniale Konzepte für das nächste große Ding gedeihen. Das zählte zum Credo meines kleinen Cebit-Auftritts.

Von den Schnöseln im Dreireiher mit Einstecktuch ist das nicht zu erwarten. Die liebwertesten Gichtlinge der Deutschland AG verhandeln gerade über die Größe ihres nächsten Dienstwagens oder streiten über die Höhe der Abfindung ihres Fünfjahres-Vertrages. Gleiches gilt übrigens für viele Marketing-Fuzzis, die sich cool und smart in der Social Media-Szene tummeln. Ihr Targeting-Geschwalle bringt nicht einen guten Gedanken zum Vorschein. Die hemdsärmeligen und direkten Hacker sind mir da lieber.

Wir hören und sehen uns spätestens im nächsten Jahr auf der Cebit bei einem Sonderprogramm von Bloggercamp.tv mit dem Schwerpunkt “Blogger, Hacker, Gründer und die Transformation der Wirtschaft”: Klassik trifft dort real auf Tech-Revoluzzer.

Vielleicht auch ab sofort ein schönes Format, um die vernetzte Ökonomie neu zu denken. Hättet Ihr Lust auf einen Sofortstart? Meldet Euch einfach, um illustre Gesprächsrunden virtuell auf die Beine zu stellen.

Siehe auch:

Die CeBIT ist nicht die SXSW – und das ist auch gut so! Oder: Wer Äpfel mit Birnen vergleicht.

Mal schauen, ob Gesche Joost als Internet-Botschafterin der Bundesregierung genügend Störenfried-Potenzial besitzt oder brav ihre Meetings absolviert.

Im Bundestag klappt es wohl nicht.

Wie Rationalitätsmythen zu Bürokratismus führen

Foto von Hannes Schleeh
Foto von Hannes Schleeh

Von Professor Rupert Hasenzagl gibt es eine vernichtende Prophezeiung für das Management:

“Wir bedienen uns derzeit eines toxischen Systems und fahren mit 300 Stundenkilometer gegen die Wand.”

Wir könnten uns noch gar nicht vorstellen, wo wir in fünf Jahren stehen würden, weil uns die Dimensionen fehlen. Weil wir uns in einem enormen Umbruch befänden. Weil Unsicherheit und Angst zunähmen. Weil es vielen Managern an der Profession fehle, um die Komplexität zu erfassen. Stattdessen würden wir die Dosis an Macht und Bürokratie erhöhen.

In diesen bürokratischen Organisationen blühe zudem die Rationalitätsphantasie, nachzulesen in dem Sammelband Corporate Entrepreneurship, herausgegeben von Hermann Frank, erschienen im Facultas Verlag 2006. Sie verschanzt sich hinter Controlling-Kennzahlen, Erbsenzähler-Monitoring-Systeme, ISO-Normen, Zertifikate, Testate und sonstige Hilfsmittel der Planungsgläubigkeit. Wer sein Unternehmen mit diesen starren Instrumenten führt, scheitert an dem Unvorhersehbaren. Der Nutzen eines Werkzeugs kann nur darin liegen, dass es auf Phänomene anwendbar ist, die in der Vergangenheit stabil waren. In Phasen vollkommener Stabilität muss man lediglich wissen, wie man die Werkzeuge richtig einsetzt. Doch in Zeiten, die von raschem Wandel geprägt sind, darf man ihnen nicht mehr vertrauen.

„Heute kann man es sich nicht mehr leisten, die Rolle von Zufällen und die komplexen Voraussetzungen ihrer Ausbeutbarkeit zu unterschätzen“, schreibt der Soziologe Dirk Baecker in seinem Buch „Postheroisches Management“.

Der amerikanische Organisationspsychologe James C. March plädiert für eine „Technologie der Torheit“. Er meint damit aber nicht Albernheit, sondern Verspieltheit, um Raum für Experimente zu schaffen. Organisationen kommen nicht ohne Wege aus, Dinge zu tun, für die sie keine guten Gründe haben. Es existiert in allen Entscheidungssituationen eine Menge Unsicherheit und Konfusion, die von den traditionellen Managementkonzepten und verstaubten BWL-Theorien ignoriert werden.

„Beim Spielen gibt es keine Hemmungen. Wenn wir spielen, können wir Dinge tun, die uns sonst nicht erlaubt sind. Wenn wir aber nicht spielen und die gleichen Dinge tun wollen, müssen wir unser Verhalten rechtfertigen. Gelegentliche Torheit erlaubt es uns, Erfahrungen mit einem möglichen neuen Ich zu machen – aber bevor wir eine Veränderung dauerhaft in die Realität umsetzen, müssen wir Gründe dafür liefern“, so March im Interview mit Harvard Businessmanager.

Warum Zertifikate zu Bürokratismus und Machtverkrustung führen, werde ich in den nächsten Tagen am Beispiel der Verpackungsentsorgung in Deutschland darlegen. Eine Fortsetzungsstory 😉 Wer weitere Beiträge zum ISO-Controlling-Zertifikats-Planbarkeits-Bürokratismus beisteuern möchte, ist herzlich eingeladen, mit mir Hangout-Interviews zu führen. Da kommen bestimmt recht lustige Geschichten zustande.

Die kulturellen Katastrophen der Computer-Kommunikation: Luhmann lesen

Der Soziologe Dirk Baecker hat die kulturkritischen Töne zum Internet in einem FAZ-Interview recht hübsch widerlegt, auch wenn der Fragesteller vielleicht anderes beabsichtigte. Als System-Theoretiker bewahrt sich Baecker den Blick für das Wesentliche. Seit Einführung der Schrift werde eine Überforderung durch neue mediale Möglichkeiten beschrieben. „Platon schaut nach Ägypten und befürchtet die Bürokratisierung der griechischen Polis und das Erkalten der menschlichen Kommunikation, wenn man beginnt, sich auf die Schrift und damit eine mechanische Gedächtnisstütze zu verlassen. Das Gegenteil war der Fall. Die Griechen erfanden in der Auseinandersetzung mit der Schrift die Philosophie, und die frühe Neuzeit erfand in der Auseinandersetzung mit dem Buchdruck die Welt der Gefühle“.

Nach allem, was man bisher erkennen könne, wird diese Gesellschaft ihre sozialen Strukturen auf heterogene Netzwerke und ihre Kultur auf die Verarbeitung von Schnelligkeit einstellen. „Heterogene Netzwerke treten an die Stelle der eher homogenen Funktionssysteme, wie wir sie von der modernen Gesellschaft kennen. Wir bekommen es mit unwahrscheinlichen Clusterbildungen, mit seltsamen Verknotungen von Geschichten, Milieus, Leuten und Organisationen zu tun, mit Possen, die die Gesellschaft durchkreuzen, ohne dass man wüsste, woher sie kommen und wohin sie verschwinden. Unsere Kultur wird sich von der Vernunft der Moderne noch weiter verabschieden und sich stattdessen mit einer Komplexität anfreunden, mit der man die Berührung suchen muss, ohne auf ein Verstehen rechnen zu können“, so Baecker.

Soziale Netzwerke seien die Spielform der nächsten Gesellschaft. Hier könne jeder ausprobieren, was es heißt, im Medium der vernetzten Computer zu kommunizieren. Sie seien so wichtig wie die Computerspiele. Kommunikation, Interaktion und Wahrnehmung werden hier neu verschaltet, neue Befindlichkeiten und neue Begrifflichkeiten einstudiert.

Google oder das Internet machen uns nicht blöd, wie es Feuilletonisten herunterleiern. So war der große Systemtheoretiker Niklas Luhmann von der Computerkommunikation regelrecht begeistert, obwohl er gar keinen hatte, sondern mit seinem legendären Zettelkasten operierte.
Der Bildschirm des Computers sei das einzige Interface, das uns mit der Tiefe der Rechner und ihrer Netzwerke verknüpft. „Google is making us smart, wenn wir nur darauf achten, dass wir erst seit Google anfangen, uns über die Intelligenz von Netzwerkeffekten Gedanken zu machen, und auch erst seit Google darüber nachdenken, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Welt weniger der Normalverteilung von Gauß als vielmehr den Potenzgesetzen von Zipf folgen“, erklärt Baecker.

Mit der Computerkommunikation, so Luhmann, wird die Eingabe von Daten und das Abrufen von Informationen soweit getrennt, dass keinerlei Identität mehr besteht. Wer etwas eingibt, weiß nicht, was auf der anderen Seite entnommen wird. Die Autorität der Quelle wird entbehrlich, sie wird durch Technik annulliert und ersetzt durch Unbekanntheit der Quelle. Ebenso entfällt die Möglichkeit, die Absicht einer Mitteilung zu erkennen und daraus Verdacht zu nähren oder sonstige Schlüsse zu ziehen, die zur Annahme oder Ablehnung der Kommunikation führen könnten. Die moderne Computertechnik greift auch die Autorität der Experten an. Fast jeder hat mittlerweile die Möglichkeit, die Aussagen von Wissenschaftlern, Journalisten, Unternehmern oder Politikern am eigenen Computer zu überprüfen. Die Art und Weise, wie Wissen in den Computer kommt, lässt sich zwar schwer überprüfen. Sie lässt sich aber jedenfalls nicht mehr in Autorität ummünzen. Und genau das treibt einige autoritäre Denker, Einpeitscher und Debatten-Dompteure an die Decke. Man braucht das Internet nicht überhöhen oder kultisch in Web 2.0-Ideologie gießen. Man muss das Internet auch nicht heilig sprechen. Wo die kulturellen Katastrophen der Computer-Kommunikation enden werden, kann kaum jemand vorhersehen oder beeinflussen. Das macht das Ganze ja so reizvoll.

Siehe auch:
Interessantes Interview mit Dirk Baecker über die Krisen der Computer-Gesellschaft. Hier der Teil 1 von 6 Teilen.

Technomanager und die selbstkonstruierte Wirklichkeit: Warum Entscheider der ITK-Branche auf herumschwirrende Ideen achten sollten

„Die Vernunft, das haben wir von Kant gelernt, ist das auf die Spitze getriebene Vermögen, sich selbst nicht über den Weg zu trauen“, so Dirk Baecker, Professor für Kulturtheorie und Kulturanalyse an der Zeppelin Universtät in Friedrichhafen. Technomanager scheinen diese Selbstskepsis nicht an den Tag zu legen. Sie vertrauen ihrem eigenen Expertenwissen mehr als externe Erkenntnisse. Persönliche Erfahrungen sind für Entscheider der ITK-Branche nach Erkenntnissen des Unternehmensberaters Bernhard Steimel von MIND Consult die wichtigste Wissensquelle. Das könne schnell in die Hose gehen. Die interne Sicht über Marktmechanismen und Kundenzufriedenheit sollte durch externe Erkenntnisse ergänzt werden. Eine solche Außensicht liefere oftmals wichtige Erkenntnisse abseits bequemer Wahrheiten. Entscheider sollten aufpassen, nicht Opfer einer selbstkonstruierten Wirklichkeit zu werden.

Nur jedes zehnte Unternehmen bewertet den Grad der Informiertheit als unzureichend. Diese subjektiv positive Einschätzung sollte allerdings nicht mit dem tatsächlichen Ausmaß der Marktforschung gleichgesetzt werden. „Besonders im Vergleich mit reiferen Branchen sollten die ITK-Unternehmen den Grad ihrer Informiertheit kritisch hinterfragen“, so der Rat von Steimel. Siehe auch das Youtube-Video:
Interview mit dem Berater Bernhard Steimel

Wer nur im eigenen Saft schmort, läuft Gefahr, zu erstarren und wichtige Entwicklungen des Marktes zu verschlafen. Oder systemisch ausgedrückt „Intelligenz und Innovation in Unternehmen hängen davon ab, welche Informationen beobachtet werden und wie die wichtigen Informationen ihren gebührenden Stellenwert erhalten – was man leider erst im Nachhinein wissen kann“, schreibt Professor Winfried W. Weber in seinem Buch „complicate your life“ (Verlag Sordon).

Der Managementdenker Peter Drucker kritisiert die Sichtweise von Managern, die sich eng nur auf das eigene Unternehmen bezieht. „Viele Manager leben noch im 19. Jahrhundert, als Neuerungen aus der Firma oder aus der Branche kamen. Heute hingegen sind es im Wesentlichen die Veränderungen um das Unternehmen herum, die die Geschicke der Firma beeinflussen.“ Innovationen entstünden nicht nur aus Fortentwicklungen und Patenten innerhalb des eignen Fachspektrums. Heute kämen in viel stärkerem Maß als früher gesellschaftliche Entwicklungen hinzu, die als Ausgangspunkt für Innovationen erkannt werden müssten (nachzulesen im Buch „Peter Drucker – Der Mann, der das Management geprägt hat“, herausgegeben von Professor Weber).

Ein kluger Manager führt im richtigen Moment herumschwirrende Ideen mit Akteuren zusammen, nutzt Marktungleichgewichte, erkennt die Lücke und setzt die Innovation durch oder übernimmt im richtigen Moment das Risiko einer nicht sicheren aber vielversprechenden Entscheidung. „Das unterscheidet ihn vom Verwalter, der die organisatorische Routine oder die organisatorisch geronnene Reduktion von Komplexität nicht mehr in Frage stellen kann“, erläutert Weber. Wie bei den Schachgroßmeistern gehe es im Management einer komplexer werdenden Welt darum, ein reiches und komplexes Spielfeld zu erhalten. „Die Disziplin verlässt die Entscheidungskultur des one-best-way, des Alles-im-Griff-haben-Wollens. Wer es versteht, sich von der Komplexität nicht überfordern zu lassen, wer erkennt, dass man immer weniger durchschaut, wer sein Spielfeld pflegt und damit rechnet, dass bald die Lücke kommt, kann dann sofort entscheiden, ohne zu zögerlich zu sein“, führt Weber aus. Oder in den Worten des Kybernetikers Heinz von Foerster: „Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst.“

Enzensberger und das Alphabet der Krise

title_121In der Literaturbeilage der Wochenzeitung „Die Zeit“ hat Hans Magnus Enzensberger ein entzückendes Alphabet der Krise veröffentlicht.

Da heißt es zu Berater, der; „Bankangestellter, der ebenso im Nebel stochert wie seine Kunden, aber wenigstens solange der Umsatz stimmt, Geld damit verdient, statt es einzubüßen.“

Oder Analyst, der; „einer, der es aus guten Gründen nicht wagt, sich einen Analytiker zu nennen. Wehe dem, der sich einem Therapeuten anvertraut, dem selber auf keiner Couch mehr zu helfen ist.“

Noch schöner Wirtschaftsweisen, die; „eine staatlich geprüfte Ansammlung von hochdotierten Kaffeesatz-Lesern“. Jawoll. Nur staatlich geprüft sind die doch gar nicht, sondern staatlich alimentiert….Siehe Haushaltsplan S. 13 ff.

Im Heft findet sich eine schöne Besprechung von Wirtschaftsbüchern zur Krise. So wird deutlich, dass der hochgelobte Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman (Die neue Weltwirtschaftskrise, Campus-Verlag) ein höchst eigenwilliges Verständnis von ökonomischen Prozessen hat und eigentlich auch nur zur profanen Gattung der Makro-Klempner zählt. Die Politik müsse nur an den richtigen Stellschrauben drehen und schon funktioniert alles wieder von alleine. Krugman ist also auch nur ein VWL-Mechaniker. Man schaut nach dem defekten Einspritzer oder einer kaputten Kurbelwelle und schon kann der kapitalistische Reparaturbetrieb zur Geltung kommen.

akerlofGanz anders positionieren sich die Ökonomieprofessoren George Akerlof und Robert Shiller in ihrem Opus „Animal Spirits – Wie Wirtschaft wirklich funktioniert“, ebenfalls im Campus Verlag erschienen. Sie grenzen sich vom simplen Machbarkeitsglauben eines Paul Krugman ab, der sicherlich bei den staatsgläubigen Lenkern und Denkern Hochkonjunktur hat. Unternehmer und Verbraucher sind eben keine emotionslos kalkulierenden Roboter, wenn sie sich von Moden, Gruppendruck und Massenhysterie beeinflussen lassen. Deshalb kann das ständige Auf und Ab der Wirtschaftskonjunktur nicht durch das Drehen von makroökonomischen Schrauben gesteuert werden. Mit diesem Konzept der Globalsteuerung ist man schon in den 1970er Jahren auf die Schnauze gefallen. „Wer weiß schon, wie sich eine Herde wilder Pferde im nächsten Moment verhalten wird“, schreibt der Zeit-Rezensent Wolfgang Uchatus. Wird sie wirklich friedlich grasen oder durch die Gegend springen? Kann die staatliche Zentralbank mit einer Senkung der Leitzinsen die unternehmerischen Investitionen ankurbeln, wie Alan Greenspan jahrelang glaubte, oder sorgt sie eher für eine Spekulationsblase an den Finanzmärkten, wie es tatsächlich der Fall war?

Akerlof und Shiller sind die richtigen Ratgeber, um der Wissensanmaßung in der Wirtschaftspolitik zu widerstehen. Sie sollte eher als Staatskunst verstanden werden, als schwere und mitunter nicht erfüllbare Aufgabe. Die beiden Autoren holen den Faktor „Ungewissheit“ wieder zurück in die Volkswirtschaftslehre, die immer noch glaubt, dass die Wirtschaft berechenbar sei und sich mehr dafür interessiert, an mathematischen Formeln zu feilen und die Beobachtung der Realität vernachlässigt.

3593379260Liebe VWL-Professoren, Akerlof und Shiller sollten Sie lesen, dazu noch eine Portion Niklas Luhmann und das von mir schon mehrfach zitierte Werk von Stephan Grünewald, „Deutschland auf der Couch – Eine Gesellschaft zwischen Stillstand und Leidenschaft“. Und liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie sollten nicht nur verkopfte Spieltheoretiker als Berater ins Kanzleramt holen, sondern einige profilierte Wirtschaftspsychologen – dann läuft es auch mit der Motivation der Bevölkerung besser oder kopieren Sie einfach Barack Obama.